Aufgabe für Frauen: Digitalisierung mitgestalten und erproben

Die Corona-Pandemie offenbart die Situation bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die Öffentlichkeit diskutiert zum Beispiel, ob wir in Deutschland in der Pandemie-Bekämpfung besser dastünden, würden wir in Gesundheitsämtern überall mit Nachverfolgungssoftware arbeiten. Weniger öffentlich, doch für uns Ärzt:innen wichtig: Wo positionieren wir uns im digitale Wandel?

Die Corona-Krise verlangt viel von uns Frauen, Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen. Hinzu kommt, dass die schleppende Digitalisierung effiziente Prozesse zur Pandemiebekämpfung verhindert. Einige Beispiele: Wäre die Datenlage zur Pandemie exakter, wenn die Laborschnittstelle des Robert Koch-Instituts (RKI) die PCR-Befunde schneller an (Corona-Warn-)Apps, Patienten und Gesundheitsämter übermitteln würde? Oder: Warum wird die Zettelwirtschaft in Impfzentren nicht mit einer digitalen Anwendung gelöst oder zumindest entbürokratisiert? Fünf Unterschriften pro zu impfender Person verlangsamen die Impfstraßen. Warum ist das Impfzertifikat noch nicht da und wie weit ist der digitale Impfpass?

Angst vor Datenmissbrauch


Woran liegt die zögerliche Digitalisierung? Unter anderem damit werde ich mich in meinem Vortrag beim Kongress beschäftigen. Eine Theorie lautet: Das Thema sei seit jeher vollumfänglich von Männern besetzt. Diese hätten meist eine rein technische Sicht auf das Gesundheitswesen. Gepaart mit deutscher Gründlichkeit und der „German Angst“ vor Datenmissbrauch behindere das längst überfällige Entwicklungen. Tatsächlich gehört es zu den Aufgaben im digitalen Wandel, skeptische oder verunsicherte Menschen abzuholen. Auch viele Ärzt:innen treibt ja die Sorge, durch Digitalisierung ersetzt zu werden – oder umgekehrt: noch mehr arbeiten zu müssen. Sie haben Bedenken, dass die Qualität der Medizin leiden könnte oder haftungsrechtliche Probleme auf sie zukommen. Zudem müssen sich Ärzt:innen immer mehr auf digitale Anwendungen verlassen: digitale Gesundheitsanwendungen (DIGAS), medizinische Informationsobjekte (MIOS) und die elektronische Pa­tientenakte (EPA).

Hinzu kommen neue Diagnose- und Therapieanwendungen, die mit Algorithmen arbeiten, die wir gar nicht mehr kennen. Dadurch erwachsen neue Fragen: Sind die Algorithmen genderkonform und gerecht? Wird Künstliche Intelligenz die Arbeit erleichtern oder dazu führen, dass Ärzt:innen sich den Algorithmen anpassen? Auch die Datenströme sind ein Thema, etwa welche Informationen ein Praxissystem weitergibt.

Doch eine neue Generation von Ärzt:innen hat Freude, die digitale Medizin zu nutzen und weiterzuentwickeln. Moderne Universitäten integrieren schon die Medizininformatik und Digitale Tools in ihre Vorlesungen und konzipieren Curricula, die in jedem Fach Innovation und Health-Data-Science zulassen. Immer mehr interessieren sich für Digital Clinician Scientist Programme, die erstmals Gelegenheit bieten, die Fachärztinnen-Anerkennung zu erhalten.

Pandemiebekämpfung profitiert


Doch es gibt viele Ärzt:innen, die schon immer gerne mit Daten gearbeitet haben: Public Health, Bioinformatik und Epidemiologie sind Fächer, die gerade in der Pandemie wichtiger denn je sind. Auf Basis von Daten aus klinischen Studien und Apps können wir den Pandemieverlauf modellieren und neue Erkenntnisse bei Therapie und Diagnostik weltweit austauschen. Global Health auf Basis FAIRer (findable, accessible, interoperable, reusable) und standardisierter Daten ist das Fach der Stunde! Folglich hat jede Ärzt:in auch die Pflicht, präzise Daten zu erheben und weiterzugeben. Wir Frauen sollten ohne Angst die Digitalisierung mitgestalten und erproben.

Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Sylvia Thun ist seit 2011 Professorin für Informations- und Kommunikationstechnologie im Gesund­heitswesen an der Hochschule Niederrhein und leitet dort das eHealth Kompetenzzentrum. Seit 2018 ist sie Charité-Visiting-Professor. Zusätzlich leitet sie die Core-Unit eHealth & Inter­operabilität am Berlin Institut of Health (BIH). Unter ande­rem ist sie zudem Vorsitzende des Spitzenverbandes IT-Standards im Gesundheitswesen (SITiG).

E-Mail: sylvia.thun@bihealth.de
Mehr zum Thema