Berufskarriere von Ärztinnen: Gleiche Einflussfaktoren, aber bessere Rahmenbedingungen im Osten

30 Jahre nach der Wiedervereinigung scheint die Frage berechtigt, ob sich Einflussfaktoren auf die Karrieren von Ärztinnen für neue und alte Bundesländer unterscheiden.

Im Jahr 2016 hatten wir auf Basis einer von uns erhobenen qualitativen Längsschnittstudie über fünf Jahre mit 27 Ärztinnen und ihren Partnern Einflussfaktoren auf die Karrieren von Ärztinnen herausgestellt: Arbeitsbedingungen, individuelle Faktoren der Person, das soziale Umfeld und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Unsere Stichprobe stammte aus beiden Teilen Deutschlands. Wir haben damals nicht explizit nach Ost und West unterschieden. Darum gehen wir nun nur anhand des reichhaltigen Studienmaterials davon aus, dass die genannten Einflussfaktoren im Grundsatz für Gesamtdeutschland gelten, aber in ihrer Ausprägung zu Unterschieden beitragen. Im Jahr 1998 betrug der Anteil der Ärztinnen an allen Ärzt*innen der neuen Bundesländer 50,3 Prozent und der alten Bundesländer 36,9 Prozent (Reifferscheid/Kunz 1999). Zwanzig Jahre später liegt der Anteil bei 54 Prozent und 46 Prozent (Bundesärztekammer 2020).

Im Osten deutlich mehr Vollzeit
Mit statistischen Daten zur Lebens- und Arbeitssituation der Frauen in Deutschland kann angenommen werden, dass die positive Unterstützung der Erwerbstätigkeit von Frauen im Allgemeinen und von Müttern im Besonderen in der ehemaligen DDR sich bis heute in Geschlechtsrolleneinstellungen, in (Vollzeit-) Erwerbstätigkeit und in strukturellen Bedingungen wie insbesondere Kinderbetreuungseinrichtungen in den neuen Bundesländern niederschlägt. So waren 2017 Mütter mit Kindern unter drei Jahren in den alten Ländern zu 57 Prozent und in den neuen Ländern zu 72 Prozent erwerbstätig. Differenziert man zusätzlich nach Arbeitszeit, ist der Unterschied noch deutlicher: 9 Prozent versus 24 Prozent arbeiten Vollzeit und 12 Prozent versus 31 Prozent fast Vollzeit.

Das betrifft auch Ärztinnen: Ein Team um Benjamin Gedrose hat 2012 nachgewiesen, dass angehende Ärztinnen, die in den neuen Bundesländern studiert hatten, häufi ger eine Vollzeitstelle anstrebten als diejenigen, die in den alten Bundesländern studiert hatten. Vollzeit hat aber nicht nur Konsequenzen für das Einkommen, sondern erhöht auch die Karrierechancen.

Und Vollzeittätigkeit wird in den neuen Ländern durch die bestehenden Kinderbetreuungseinrichtungen wie auch durch die staatliche und private Unterstützung bisher stärker gefördert als in den alten Bundesländern. In unserer Stichprobe hatten 18 Ärztinnen eine starke Berufsmotivation, aber keine Karriereambitionen. Drei Ärztinnen besetzten schon eine Professur, während sechs Ärztinnen ihre ursprünglichen Karriereambitionen aus unterschiedlichen Gründen bisher nicht verwirklichen konnten: Meist wurde Elternschaft bei zugleich fehlender Unterstützung im Arbeitsumfeld für eine schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie genannt. Zwei Karriereärztinnen sind im Osten aufgewachsen, waren dann im Westen berufstätig, und eine Karriereärztin ist umgekehrt erst im Westen aufgewachsen, hat im Osten studiert und habilitiert und ist danach auf eine Professur in den Westen zurückgekehrt. Von den sechs weiteren Ärztinnen sind drei im Osten und drei im Westen sozialisiert worden und überwiegend auch dort geblieben.

Mobilität lohnt beruflich
Daraus lässt sich kein eindeutiger Trend ableiten, nur annehmen, dass Mobilität günstig für eine Karriereentwicklung ist. Insgesamt vermuten wir, dass die sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den neuen Bundesländern für eine Karriere von Ärztinnen förderlicher sein könnten.

Weiterführende Literatur bei den Verfasserinnen

Prof. Dr. phil. Dorothee Alfermann leitete die Leipziger Arbeits­gruppe des Projekts KarMed und war bis zur Emeritierung 2016 Direktorin des Instituts für Sportpsychologie und Sportpädago­gik der Universität Leipzig. Dr. phil. Swantje Reimann arbeitet am Institut für Angewandte Informatik (InfAI) e. V. an der Univer­sität Leipzig zu Genderthemen und hat am Projekt KarMed am Zentrum für Frauen­ und Geschlechterforschung mitgewirkt.

E-Mail: alfermann@uni-leipzig.de
E-Mail: swantje.reimann@uni-leipzig.de
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