Bewegung in der Genderdebatte in der Chirurgie

Operieren Ärztinnen besser als männliche Chirurgen? Eine kanadische Studie deutet erstmals darauf hin. Sie hat die Debatte um den Frauenanteil in der Chirurgie ebenso neu entflammt wie die Diskussion um einen Gender-Bias männlicher Ärzte zu Lasten von Patientinnen. Nun reagiert die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) – unter anderem mit neuen Regeln auf Kongressen.

Als „besorgniserregend“ bezeichnete Dr. Angela Jerath, Mitautorin der Studie, die Ergebnisse, die im Dezember 2021 in JAMA Surgery erschienen sind (doi: 10.1001/jamasurg.2021.6339). Schließlich sollte es für den Gesundheitszustand von Patient:innen nach dem Eingriff keinen Unterschied machen, ob sie von einem Mann oder einer Frau operiert worden sind. Tut es aber offenbar doch: Der Studie zufolge überstehen Angehörige beider Geschlechter Operationen generell besser, wenn eine Frau das Skalpell führt. Besonders stark profitieren weibliche Patienten.

Sogar das Sterberisiko steigt

Im Umkehrschluss heißt das: Männliche Chirurgen versorgen vor allem Frauen schlechter. In der Studie hatten Patientinnen, die von einem Chirurgen behandelt wurden, ein um bis zu 15 Prozent höheres Risiko für Komplikationen und ein um 32 Prozent höheres Sterberisiko als Frauen in den Händen von Chirurginnen. Das galt auch, nachdem mehrere mögliche Einflussfaktoren wie Alter oder chronische Grunderkrankungen herausgerechnet worden waren.

Um zu untersuchen, welche Auswirkungen das Geschlecht von Behandelnden und Patient:innen auf das Operationsergebnis hat, analysierten die kanadischen Forschenden retrospektiv die Behandlungsdaten von über 1,3 Millionen Erwachsenen ab 18 Jahren aus der kanadischen Provinz Ontario. Diese hatten sich zwischen 2007 und 2019 geplanten oder dringlichen chirurgischen Eingriffen unterzogen. Mehr als 2900 Chirurginnen und Chirurgen hatten diese Operationen vorgenommen.

Erste Studie dieser Art

Es ist die erste Studie dieser Art und ihre Ergebnisse haben die Debatte um die Geschlechterfrage in der Männerdomäne Chirurgie neu angeheizt – auch in Deutschland. Hier sind noch immer weniger als ein Viertel der Chirurg:innen Frauen. Im Vorfeld des 139. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) hatte sich darum Prof. Dr. Natascha Nüssler, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), zu dem Thema ge- äußert: Es sei auch aus anderen Fächern bekannt, dass sich ein Geschlechterunterschied zwischen Ärzt:in und Patient:in vornehmlich negativ auf die Gesundheit der weiblichen Behandelten aus- wirken kann, etwa beim Herzinfarkt. „Eine Erklärung wäre, dass Ärzte die Schwere von Symptomen ihrer Patientin- nen eher unterschätzen oder Frauen Hemmungen haben, gegenüber einem Arzt Schmerzen zu offenbaren“, sagte die Chefärztin für Allgemein- und Viszeralchirurgie der München Klinik Neuperlach.

Die Studienautor:innen selbst halten noch weitere Gründe für möglich; beispielsweise, dass weibliche und männliche Ärzte einen anderen Arbeitsstil pflegen, der sie zu verschiedenen Behandlungsentscheidungen führt. Auch unbewusst verankerte Rollenmuster und Vorurteile könnten dazu führen, dass vor allem Männer weibliche und männliche Patienten augenscheinlich unterschiedlich behandeln – während Chirurginnen das der Studie zufolge nicht taten. Bei ihnen standen Patientinnen und Patienten nach einer Operation gleich gut oder schlecht da.

Paritätische Sitzungsleitung

DGAV-Präsidentin Nüssler sieht gemischtgeschlechtliche Ärzteteams als Ausweg, um gesundheitsgefährdende Gendereffekte zu reduzieren. „Dafür müsste der Frauenanteil in der Chirurgie jedoch deutlich steigen“, sagte sie. Noch fehle es dort aber an weiblichen Vorbildern. „Während in der Viszeralchirurgie der Frauenanteil insgesamt bei knapp 30 Prozent liegt, sind Führungspositionen weiterhin nur zu wenig mehr als zehn Prozent weiblich besetzt“, konstatierte die Chefärztin. Sie präsentierte einen Ansatz, um Frauen in der Chirurgie für junge Ärztinnen sichtbarer zu machen: 2022 ließ die DGAV erstmals alle ihre Sitzungen auf dem Chirurgenkongress gemeinsam von einer Chirurgin und einem Chirurgen leiten. Zudem hat sich die DGAV verpflichtet, diese paritätische Verteilung der Sitzungsleitungen als Standard beizubehalten.

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