Die akademische Welt fördert offenbar männliche Werte: Das sollten wir ändern

Das Gender-Leak in der Hochschule ist auch in Deutschland gut bekannt: 60 Prozent der Medizinstudierenden sind Frauen, am Ende sind aber nur 15 Prozent aller Medizinprofessuren weiblich besetzt. Ich möchte be­tonen, dass ich beobachtender Mann bin. Zu Beginn eine Anekdote: Ein junger aufstrebender Oberarzt war Vater geworden und beantragte Elternzeit für zwei Monate. Sein Chef sagte: „Da habe ich mich wohl in Ihnen getäuscht, ich dachte, Sie wollen sich habilitieren!“

So skandalös dieser Dialog ist, umso skandalöser ist es, dass eine Heerschar qualifizierter Frauen gar nicht erst ein­gestellt wird. Ich finde, wir müssen den Mut haben, neue Modelle von Arbeit und Führung auszuprobieren.

Teamarbeit statt Einzelkampf
Job-Sharing ist eine Option. Für mich sind es auch Teamstrukturen, in denen sich die Mitglieder gegenseitig flexible Freiräume ermöglichen. Das Leben ist nicht linear. Warum sollte es die Arbeitsbelastung sein? Forschung und Lehre sind Teamarbeit, nicht Einzelkampf.

„Nature“ veröffentlichte im Juni eine Arbeit, die zeigte, dass Frauen durch die Corona-Krise viel weniger publizieren. Der Grund: Sie hatten ihre Ressourcen stärker für Familien- und Gemeinschaftsaufgaben umgewidmet und steckten akademisch zurück. Männer in Führungspositionen hatten sogar tenden­ziell mehr Muße für die Wissenschaft.

Akademia bevorzugt scheinbar männ­liche Werte. Das sollten wir ändern. In dieser Auffassung hat mich das Gespräch mit einer engagierten Studentin bestärkt. Sie fand die Lehr- und Forschungsthemen schlicht uninteressant. Die Themen, von den meist männlichen Führungskräften gesetzt, gingen für sie als Frau an den wahren Fragen vorbei. Was in der Wissenschaft beforscht und gefördert wird, ist eine (für die Karriere) entscheidende Frage. Für mich wäre mehr Diversität in der Themensetzung ein wichtiger Wert. Dafür benötigen wir aber auch mehr Diversität in der Förderpolitik, den Fördergremien und bei den Begutachtenden.

Doch es gibt Lichtblicke: Eine gute Freundin, Mutter dreier Kinder auf dem Weg zur Habilitation, freut sich, dass Kongresse gerade nur online stattfinden und sie ihre Lehre digital von zu Hause aus erbringt. Dank einer guten Nachbarschaft ist für sie die Kinderbetreuung gerade kein Problem. Nicht reisen zu müssen, bringt ihr Zeit. Auch sieht sie sich beim Networking weniger im Nachteil, da ja alle zu Hause bleiben.

Ein wichtiger Aspekt, denn bisher war eine akademische Karriere eher eine Lotterie, deren Tickets durch einen massiven Verzicht an Freizeit und Jobsicherheit erworben werden. Eine klassische Selektion zugunsten von Männern. Die ausgewählten Männer fördern sich wieder gegenseitig. Netzwerke sind Schlüssel für die Karriere! So haben etwa viele Topathleten Angehörige oder Freunde aus dem Profisport. Wer von klein auf Tipps, Kniffe und die richtigen Kontakte hat, ist klar im Vorteil.

Drei Ideen für die Zukunft
Meine Vision für Geschlechtergerech­tig­keit in Forschung und Lehre in der neuen Dekade ist es,
  • die Chancen der Digitalisierung zu nutzen – nicht zur Überwachung oder Gewinnmaximierung, sondern als sozialer und gesellschaftlicher Türöffner,
  • Themen und Werte zu finden, die für uns alle relevant sind,
  • den akademischen Bereich nicht mehr als Förderung von sogenannten Alpha-Männchen mit Quoten-Frauen zu betreiben.
Wichtig wäre der Mut, langfristige Teams zu fördern und in den Wettbewerb untereinander zu bringen. Kurzum, es braucht eine Kultur der wertschätzenden Kooperation und Kommunikation, die allen Raum gibt, sich zu entfalten.

Dr. med. Thorsten Hornung ist Oberarzt der Klinik und Poli­klinik für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum Bonn und engagiert sich auch berufspolitisch unter anderem im Marburger Bund.

E-Mail: thorsten@th-hornung.de
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