Foto: © TK-Landesvertretung Nordrhein-Westfalen

Digitalisierung im Gesundheitswesen – mit den Versicherten!

Die Entwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen befindet sich weiterhin auf der Überholspur. Es ist ein hart umkämpfter Markt, dessen Währung vor allem unsere Daten sind.

Die Unternehmen der Google-Mutter Aphabet, Fitbit und Google, bauen ihren Zugriff auf medizinische Daten von Patient:innen kontinuierlich aus. AmazonCare und AmazonPharmacy verstärken ihre Präsenz im Gesundheitswesen. Apple will mit seiner Health-App nicht bei der Sensorik für Körpertemperatur und Blutzuckermessung aufhören. Daneben weiten Facebook, Microsoft und Walmart ihre Angebote kontinuierlich aus und auch auf dem asiatischen Markt sind Unternehmen wie Ping An Healthcare, Samsung, Huawei, Alibaba und Tencent tief im Gesundheitswesen verankert. Das Tempo des Wettlaufs der Unternehmen nimmt unvermindert zu, und es bleibt ein Wettlauf ohne Ziellinie.

Hier stärker geregelter Markt

Zum Glück ist der europäische, vor allem aber der deutsche Gesundheitsmarkt bisher für diese Tech-Giganten nur schwer zu erobern. Hier existiert ein weitgehend geregelter Markt, der den Datenschutz, ethische und soziale Aspekte und insgesamt den Schutz der Versicherten großschreibt. Datensammelnde Unternehmen stehen vor nochmals höheren Hürden, wenn sie in den Bereich vordringen wollen, der von den gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert wird.

Aber auch dieser geschützte, regulierte Bereich hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt und befindet sich in einem kontinuierlichen Wachstumsprozess. Es ist kaum möglich, den Überblick zu behalten und es wird für die Einzelnen immer schwerer zu entscheiden, was man braucht, was gut für einen ist, was hilft und was am Ende überflüssig oder sogar schädlich ist.

Orientierung fällt vielen schwer

Gerade ältere Menschen, die mit Krankenscheinheft, Wählscheibe samt Schnur am Telefon in einer weitgehend analogen Welt sozialisiert wurden und die auch beruflich keinen Zugang zu neuen Medien hatten, stehen dem neuen digitalen Gesundheitssystem oft orientierungslos gegenüber. Die Schere bezüglich der eHealth-Literacy geht immer weiter auseinander. Wenn wir dem nicht entgegensteuern, entscheidet Bildung nicht nur über Berufs- und Aufstiegsmöglichkeiten, sondern im digitalen Gesundheitssystem auch über den Zugang zu gesundheitserhaltenden und gesundmachenden Angeboten.

Ältere oft abgehängt

Schon 2012 zeigte der „European Health Literacy Survey“ die großen Defizite hinsichtlich der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung auf. Bezüglich digitaler Gesundheitskompetenz sind diese noch viel größer. Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2019 stellte fest, dass sich nur circa 41 Prozent der 60- bis 69-Jährigen und nur rund 36 Pro-zent der über 70-Jährigen sicher im Internet fühlen.

Unsere elektronische Patientenakte (ePA) „TKSafe“ steht seit Anfang des Jahres in den App Stores zum Download bereit. Nach ersten Auswertungen wird sie bisher zu 44,2 Prozent von Frauen und zu 55,8 Prozent von Männern genutzt. Die 26- bis 35-Jährigen unter den Versicherten belegen mit knapp 29 Prozent Platz 1, gefolgt von den 46- bis 59-Jährigen mit knapp 25 Prozent und von den 36- bis 45-Jährigen mit knapp 22 Prozent. Bei den über 70-Jährigen, für deren präventiven wie kurativen Gesundheitserhalt eine ePA enorme Vorteile bringen kann, liegt die Nutzer-Quote bei erst 3,6 Prozent.

Deswegen ist es die Aufgabe aller Akteure im Gesundheitssystem, die Menschen mitzunehmen und ihnen die Kompetenz und Möglichkeit zu geben, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

Frauen stärker nutzenorientiert

In der Geschlechterbetrachtung fällt derzeit eines besonders auf: Männer interessieren sich häufiger für das technisch Machbare, Frauen hingegen mehr für das individuell konkret Nutzbringende. In der analogen Welt waren und sind Frauen häufiger die konkrete „Gesundheitsinstanz“ der Familie, dies scheint in der digitalen Welt auch so zu bleiben.

Deswegen wird es zunehmend wichtig, die Menschen mit ihren Bedarfen bei ihrem digitalen Kenntnisstand abzuholen und den Einstieg zu begleiten.

Der Gesetzgeber hat dies erkannt und den Krankenkassen seit Mai 2021 die „Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz“ als Aufgabe übertragen. Die TK hat darauf kurzfristig reagiert und mit dem DiSK-Coach (Digital, Selbstbestimmt, Kompetent) ein konkretes Angebot installiert, mit dem Versicherte mehr über den sinnvollen Umgang mit digitalen Gesundheitsanwendungen lernen können. Der Coach bietet in Dialogform einen Überblick über die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und hilft dabei, deren Qualität einzuschätzen.

Zielgruppengerechte Angebote


Versicherte können sich beim Installieren der Versicherten- App, dem Aktivieren ihrer ePA oder einer DiGA natürlich auch die Unterstützung eines Familienmitglieds holen oder von einem professionellen Helfer aus der Gesundheitsbranche beraten lassen. Entscheidend für alle Akteure ist, die Zielgruppen der Anwendungen tatsächlich im Blick zu haben. Nicht das technisch Machbare, sondern das von der entsprechenden Zielgruppe Nutzbare muss realisiert werden.

Wenn jetzt nach den DiGAs die DiPAs (Digitale Pflegean­wendung) den Markt erobern wollen, müssen sie daher für Pflegebedürftige auch mit geringeren digitalen Kenntnissen angewendet werden können. Wir haben in der App „TK-Pflege­Kompakt“ versucht, genau dies umzusetzen. Alles übersichtlich unter einem Dach, leicht Schritt für Schritt beschrieben und sowohl für Pflegebedürftige wie auch für Angehörige eine Unterstützung in allen Bereichen: ob Antragstellung oder Pflege­dienstsuche, ob Angebote bei psychischer Belastung oder Tipps für die alltäglichen Tätigkeiten. Natürlich bedeutet alt zu sein nicht gleich pflegebedürftig zu sein, aber so wie in dieser App müssen die Versicherten in der Digitalisierung mitgenommen werden.

Nutzer:innen einbinden

Deshalb befragen wir regelmäßig unsere Versicherten, welche digitalen Angebote ihnen fehlen, befragen Nutzer:innen der ePA, welche Angebote sie gerne als Nächstes im kassen­individuellen Teil der Akte hätten. Die Menschen beteiligen und einbeziehen ist der beste Weg – nicht das technisch Mach­bare, sondern das, was den Menschen am meisten helfen kann, auch wirklich auf die Straße zu bringen. Es ist und bleibt aber eine gemeinsame Herausforderung für alle.

Barbara Steffens leitet seit Juli 2018 die Landesvertretung Nordrhein-Westfalen (NRW) der Techniker Krankenkasse (TK) in Düsseldorf. Davor war sie von 2010 bis 2017 Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, von 2000 bis 2010 gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion und von 1994 bis 2000 Landesvorstandssprecherin NRW der Partei Bündnis 90/Die Grünen.

E-Mail: barbara.steffens@tk.de
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