Freiheit heißt Verantwortung

Der Staat hat die Aufgabe, die Freiheit aller zu schützen und zugleich den Schutz aller zu gewährleisten. Eine Gratwanderung während der Pandemie, doch es gibt ethische Maßstäbe für die Entscheidungsfindung.

Freiheit – in der dritten Strophe der Deutschen Nationalhymne steht sie an dritter Stelle: Einigkeit und Recht und Freiheit. Wenn es etwas gibt, worin sich in den westlichen Gesellschaf­ten die meisten Menschen einig sein dürften, so scheint das die Überzeugung, dass Individualität, Freiheit und Selbstbestimmung zu den wichtigsten Werten gehören. In allen anderen Staatsformen wird diese Überzeugung aufs Äußerste gefürchtet, wie tagtäglich zu hören und zu lesen ist.

Wie wichtig Freiheit ist, unterstreicht die Wortwahl, wenn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als freiheitlich-demokratische Grundordnung genannt und von den Grund- und Freiheitsrechten gesprochen wird. Freiheit gibt es nicht einfach so – sie ist nicht einfach da. Sie muss erkämpft werden. Mehr als 30 Jahre ist es her, dass die friedliche Revolution auch den Menschen in der DDR Freiheit brachte. Und vor mehr als 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, der Deutschland von der Diktatur des Nationalsozialismus befreite. Im Lichte eines wieder erstarkenden Antisemitismus gilt: Freiheit muss verteidigt werden – wenn wir sie nicht verlieren wollen.

Die Grenzen der Freiheit

Zur Freiheit gehört Verantwortung. Der Mensch ist per Definition ein Wesen, das Verantwortung übernimmt, sein Handeln reflektiert – und nachdenkt, bevor er etwas tut. Freiheit und Verantwortung gehören deshalb zusammen, weil die Freiheit nie grenzenlos ist. „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“, hat der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) einmal gesagt. Der Dichter Matthias Claudius (1740-1815) formuliert es so: „Die Freiheit besteht darin, dass man alles das tun kann, was einem anderen nicht schadet.“

Die Freiheit existiert also nie absolut. Das gilt auch in der Corona-Pandemie. Dabei hat der Staat die Aufgabe, die Freiheit aller zu schützen und zugleich den Schutz aller zu gewährleisten. Um die Balance zu wahren, gilt es, folgende Maßstäbe bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen: Nicht die Freiheit muss begründet werden, sondern ihre Einschränkung. Das Wohl der Schwächsten zu sichern, ist ein Grundprinzip. Und: Konsens und Kompromiss stärken den Zusammenhalt.

Beispiel Klimadebatte

Auf ein anderes Konfliktthema – die Klimadebatte – übertragen bedeutet dies: Wenngleich Deutschland „nur“ mit zwei Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß beteiligt ist, so müssen wir uns dennoch der Verantwortung stellen. Wer behauptet, unser Umweltverhalten sei im Lichte dieser zwei Prozent gleichgültig, handelt nicht verantwortlich und missbraucht seine Freiheit, indem er sie über die Freiheit anderer stellt.

Zur Freiheit gehört Vielfalt. Vielfalt ist ein Kennzeichen von Demokratie. Sie ist ihr Erfolgsgarant. Wenn Vielfalt eingeschränkt wird, ist auch die Demokratie in Gefahr. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat 2018 davon gesprochen, dass eine „illiberale Demokratie“ ein Widerspruch in sich sei. „Eine Demokratie ist entweder liberal oder sie ist nicht.“ Man könnte auch sagen: Freiheit und Demokratie gibt es nur zusammen. Die Medien, die Justiz und auch die Zivilgesellschaft – also wir alle – garantieren, dass unsere Demokratie Freiheit gewährt: Dass dies auch in Zukunft so bleibt, dafür müssen wir gemeinsam eintreten!

Udo Hahn, Pfarrer und Publizist, ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing. Beim Kongress widmet er sich der Frage nach den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft.

E-Mail: hahn@ev-akademie-tutzing.de
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