Geschlechtsspezifische Aspekte in der Epidemiologie und Genetik der Adipositas

Auszug aus dem Vortrag von Priv.-Doz. Dr. med. Andrea Bäßler

Priv.-Doz. Dr. med. Andrea Bäßler ist Oberärztin und Fachärztin für Innere Medizin/Kardiologie sowie Gendermedizinerin (DGesGM) in Regensburg. E-Mail
Verschiedene Studien weisen auf Geschlechterunterschiede in der Ätiologie, der Pathophysiologie und der Therapie der Adipositas hin, die auch für die Ausbildung der Begleiterkrankungen bei Männern und Frauen relevant sind. So wurde gezeigt, dass genetische Faktoren die bei Mann und Frau unterschiedliche Körperfett-Verteilung mitbestimmen und dass das Fettverteilungsmuster das metabolische und kardiovaskuläre Gesundheitsrisiko entscheidend mitbestimmt. Der Vortrag beleuchtete geschlechtsspezifische Aspekte in der Epidemiologie und Genetik der Adipositas und verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Adipositasformen und der Entstehung der kardiometabolischen Folgeerkrankungen.

Adipositas als ernstzunehmendes Gesundheitsproblem?
Die Adipositas ist nicht nur ein kosmetisches Problem, sondern stellt aufgrund ihrer epidemieartigen Zunahme und den assoziierten kardiovaskulären und metabolischen Begleiterkrankungen ein ernstzunehmendes gesundheitspolitisches Problem dar, das auch bei Kindern und Jugendlichen immer dramatischer wird. So geht die Adipositas mit einem erhöhten Risiko für Hypertonie, koronare Herzkrankheit (KHK), Herzinsuffizienz, Schlaganfall, Diabetes mellitus, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Thrombophilie, Karzinomerkrankungen, Gelenkbeschwerden und psychischen Folgen einher.


Eine Adipositas besteht, wenn der Anteil der prozentualen Fettmasse am Körpergewicht bei Frauen 30 Prozent, bei Männern 20 Prozent übersteigt. Somit weisen Frauen bei gleichem Körpermasseindex (Body Mass Index, BMI) bereits von Natur aus einen zehn Prozent höheren Anteil an Fettgewebe auf als Männer. Da die exakte Bestimmung der Körperfettmasse nur mit relativ aufwendigen Methoden möglich ist, kann eine indirekte Abschätzung durch den Body Mass Index (BMI) erfolgen, der als Quotient aus Körpergewicht und Körpergröße im Quadrat einfach zu ermitteln ist. Bei einem BMI von 25-29.9 kg/m2 spricht man von Übergewicht. Ein BMI >= 30 kg/m2 wird als Adipositas bezeichnet, wobei man drei Schweregrade I°-III° unterscheiden kann. Geschlechtsspezifische Grenzwerte für den BMI gibt es nicht.

... und als die „neue Epidemie“ weltweit
Aufgrund der kontinuierlich steigenden Prävalenz in nahezu allen Populationen und allen Altersklassen bei Männern und Frauen wird die Adipositas als die „neue Epidemie“ weltweit bezeichnet. Daten aus der NHANES Studie in den USA ergaben im Jahr einen Anteil von 40 Prozent Adipösen, annähernd 75 Prozent der Bevölkerung waren mindestens übergewichtig mit weiter ansteigendem Trend. Bei der Analyse der Geburtenjahrgänge in derselben Studie fiel auf, dass jüngere Jahrgänge in immer jüngerem Alter häufiger und damit insgesamt länger in Bezug auf ihre Lebensdauer adipös sind und dass dieser Trend bei Frauen besonders ausgeprägt war (Lee JM et al., Int J of Obes, 2010). Auch in Deutschland sind Übergewicht und Adipositas weit verbreitet und nehmen mit steigendem Lebensalter zu. Ab dem 60. Lebensjahr sind vier von fünf Männern und Frauen übergewichtig oder adipös. Nur ein Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen haben ein normales Gewicht (Bundes-Gesundheitssurveys 1998 und Daten des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003).

Betrachtet man die Adipositas Prävalenz weltweit getrennt für Männer und Frauen, fallen gewisse regionale Unterschiede auf. So sind Männer in Kanada häufiger adipös als Frauen, während dies in den asiatischen Ländern, in weiten Teilen Afrikas und den Balkanländern umgekehrt ist. Die genauen Gründe hierfür sind bisher nicht eindeutig geklärt, wobei kulturelle Faktoren sicherlich eine Rolle spielen. Auch der Sozialstatus beeinflusst das Vorkommen einer Adipositas. Besonders alarmierend ist, dass insbesondere jüngere Frauen und Frauen mit niedrigem Sozialstatus immer häufiger adipös sind, während dieser Zusammenhang bei Männern nicht so ausgeprägt ist. Dies verdeutlicht, dass Personen mit niedrigem Sozialstatus, besonders Frauen, eine wichtige Zielgruppe für präventive und gesundheitsfördernde Massnahmen darstellen (Lampert et al., Dt. Ärzteblatt, 2010; Bundesweiter telefonischer Gesundheitssurvey 2003).

Eine Adipositas entsteht, wenn die Energieaufnahme den Energieverbrauch übersteigt, sei es durch ungünstige Ernährungsgewohnheiten, einen inaktiven Lebensstil, sozioökonomische und psychosoziale Einflüsse oder die Kombination all dieser Faktoren zusammen. Jedoch geht aus zahlreichen Studien hervor, dass neben diesen exogenen Faktoren genetische Faktoren bei der Entstehung von Übergewicht und Adipositas eine entscheidende Rolle spielen.

So unterscheidet man seltene monogene Adipositasformen, Syndrome, die mit Adipositas einhergehen und die polygene oder „common“ Adipositas. Die entsprechenden Mutationen der monogenen Adipositas betreffen v.a. Gene des Leptin-Melanocortin-Signalweges und führen auch ohne den Einfluss von Umweltfaktoren zu schwerer Adipositas mit frühkindlichem Beginn. Der Hauptteil der Adipositasfälle ist jedoch ploygen bedingt, d.h. durch das Zusammenwirken vieler verschiedener Gene mit jeweils kleinen Effekten in unterschiedlichen Signalwegen, die für die Hunger-Sättigungs-Regulation, die Nahrungsaufnahme, Appetitkontrolle, Gewichtsregulation und Energiehomöostase verantwortlich sind und mit Umweltfaktoren interagieren. Aus Zwillingsstudien ist bekannt, dass das Körpergewicht bis zu 70 Prozent durch Gene bestimmt ist. Hier liegt in der Regel kein eindeutiger Erbgang vor, was die Identifizierung der entsprechenden Gene umso schwieriger macht.

Möglich wurde die Identifikation solcher genetischer Varianten mit kleinen Effekten durch die Durchführung sog. genomweiter Assoziationsstudien (GWAS), in denen hochdichte SNP- Chips in großen Studienkollektiven genotypisiert werden, und so eine hohe statistische Power erzielt wird. Durch die Gründung großer Konsortien und den Übergang zu Metaanalysen ließ sich die Power weiter steigern, so dass es möglich wurde, bisher unbekannte Genloci mit kleinen Effekten (z.B. 6-11 Prozent der Gesamtvariabilität des BMI) direkt zu identifizieren und genetische Ursachen komplexer Erkrankungen zu entschlüsseln. Genetische Loci wie der FTO- oder MC4R-Locus wurden auf diese Weise identifiziert und konnten in weiteren GWAS reproduziert werden. Man erhofft sich, durch diese Strategie Hinweise für die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen zu bekommen.

Bedeutung des Fettverteilungsmusters - Apfel- oder Birnentyp
Man weiß inzwischen, dass der Fettmasseanteil bei gleichem BMI erheblich variieren kann und dass neben dem Ausmaß des Übergewichts, welches über den BMI erfasst wird, das Fettverteilungsmuster das metabolische und kardiovaskuläre Gesundheitsrisiko entscheidend mitbestimmt. Ein einfaches Maß ist der Taillenumfang, der eine hohe Korrelation mit der viszeralen Fettmasse zeigt(Han et al., BMJ 2006), die wiederum besonders eng mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Komplikationen korreliert (NHANES 1999-2000 cohort).

Wie bereits erwähnt, haben Frauen naturgemäß einen höheren Anteil an Fettgewebe als Männer. Abgesehen davon ist es so, dass sich das Fettgewebe bei der Frau auch bevorzugt an anderen Stellen befindet als beim Mann. Während Männer typischerweise ein bauchbetontes Übergewicht aufweisen mit Fettdepots um die inneren Organe herum, zeigen Frauen ihre Fettdepots typischerweise im Hüft- und Schenkelbereich. So unterscheidet man in der Medizin zwischen der abdominalen (zentralen) Adipositas (Apfeltyp) und der glutealfemoralen Form (Birnentyp). Hierbei geht die abdominale Adipositas deutlich häufiger mit kardiovaskulären Erkrankungen einher, während dies bei der glutealfemoralen Form nicht der Fall ist. Das bedeutet – „dick sein ist nicht gleich dick sein“, sondern entscheidend ist, an welchen Stellen des Körpers sich das überschüssige Fett befindet.

Aufgrund dieser Zusammenhänge wird empfohlen, bei Personen mit BMI>25 kg/m2 stets den Taillenumfang zu messen, um so das Risiko für metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen abzuschätzen. Im Gegensatz zum BMI gibt es sowohl für den Taillenumfang als auch für den Taille-Hüft-Quotienten geschlechtsspezifische Grenzwerte, die mit einem erhöhten Risiko für Adipositas-assoziierte kardiometabolische Störungen einhergehen.

Genetische Hinweise für die Fettverteilung
Interessanterweise gibt es inzwischen auch Hinweise dafür, dass das Fettverteilungsmuster eine genetische Grundlage hat. Im Rahmen des internationalen GIANT (Genetic Investigation of Anthropomorphic Traits )- Konsortiums haben Wissenschaftler verschiedene Genorte für die Fettverteilung im Bereich von Taille und Hüfte identifiziert. Einige dieser Geneffekte waren ausschließlich bei Frauen vorhanden oder bei Frauen deutlich stärker ausgeprägt als bei Männern. Die Untersuchungen gaben somit Hinweise dafür, dass die Unterschiede zwischen typisch weiblichem und typisch männlichem Fettverteilungsmuster, das heißt also zwischen der Apfel- und Birnenform u.a. genetisch bedingt sind.

Eine mögliche Ursache für das erhöhte kardiometabolische Risiko bei abdominaler Adipositas liegt in der höheren Stoffwechselaktivität des viszeralen im Vergleich zum subkutanen Fett (Matsuzawa, Proc. Jpn. Acad., 2010). So stellt ersteres eine Hauptquelle für zirkulierende freie Fettsäuren und Adipozytokine dar, d.h. für stoffwechselaktive Substanzen, die als Mediatoren die Entstehung der metabolischen und kardiovaskulären Begleiterkrankungen fördern und letztendlich die Entstehung des Metabolischen Syndroms bewirken.

Kardiometabolisches Risiko
In Studien wurde gezeigt, dass Patienten mit Metabolischem Syndrom häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben und darüber hinaus eine höhere Gesamt-Sterblichkeit haben als Personen ohne Metabolisches Syndrom (Lakka HM et al., JAMA 2002). Bei geschlechtsspezifischer Betrachtung ist festzustellen, dass die relativen Risiken für kardiovaskuläre Endpunkte (koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt, plötzlicher Herztod) und Diabetes bei vorhandenem Metabolischem Syndrom bei Frauen höher sind als bei Männern. Somit prädisponiert ein ungünstiges Fettverteilungsmuster zum Metabolischen Syndrom und ist mit einem erhöhten Risiko für kardiale Folgeerkrankungen und Typ 2 Diabetes assoziiert, insbesondere bei Frauen.

Literatur bei der Verfasserin.
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