Operieren in der Schwangerschaft: Es kann möglich sein

Um operative Fächer für Frauen weiter attraktiv zu machen, müssen für die Kolleginnen vernünftige Rahmenbedingungen herrschen, die eine an die jeweilige persönliche Situation angepasste Facharztausbildung sicherstellen. Darum war es für mich als Direktor einer chirurgischen Universitätsklinik unerlässlich, Lösungen für den Mutterschutz zu finden.

Im Jahr 2020 waren von den 101 712 Medizinstudierenden in Deutschland rund zwei Drittel Frauen. Der Zuwachs an weiblichen Chirurginnen betrug in den Jahren 2012 bis 2020 fast 40 Prozent. Insbesondere die operative Weiterbildung während der Schwangerschaft stellte lange Zeit ein großes Problem dar: Das in meinen Augen unzeitgemäße Mutterschutzgesetz von 1952 führte dazu, dass sich viele Chirurginnen gezwungen sahen, ihre Schwangerschaft erst spät bekannt zu geben. Wurde sie offiziell, führte das zu einem strikten Operationsverbot und damit zu einer Verzögerung der Facharztweiterbildung und auch zu Einschnitten in der Karriereplanung.

Als Erstes: Genauer Plan

Anfang 2018 wurde das Mutterschutzgesetz endlich angepasst. Dies öffnete auch der Chefetage die Möglichkeit, die Facharztausbildung im OP trotz einer Schwangerschaft weiter anzubieten. Dennoch war der Weg durch die Regularien nicht einfach. Wir mussten zunächst gemeinsam mit dem betriebs­ärztlichen Dienst und der Klinik für Anästhesie einen Plan erarbeiten, um das neue Gesetz in der Universitätsklinik in Marburg umzusetzen. In der Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie wurden folgende Eckpunkte definiert, konsentiert und bis zur Corona-Pandemie umgesetzt:

Das Arbeiten im OP erfolgte auf ausdrücklichen Wunsch der Chirurginnen. Die OP-Dauer durfte maximal 3 Stunden nicht überschreiten. Eingriffe wurden klar definiert (etwa Struma, Galle, Leistenhernie, Hemikolektomie rechts). Alle Patient:innen für diese elektiven Operationen mussten zuvor negativ auf HBV, HCV und HIV getestet sein. Zu jedem Zeitpunkt bestand eine Auslösemöglichkeit für die Schwangeren.

Schutz exakt definiert

Zu den obligatorischen Schutzmaßnahmen während aller OPs gehörten doppelte Handschuhe mit Indikatorsystem sowie eine Schutzbrille oder Visier. Zusammen mit den Kolleg:innen der Anästhesie wurde ein „Schwangerensaal“ an 2 bis 3 Tagen in der Woche eingerichtet, in dem alle Narkosen als TIVA oder Regio­nal- bzw. Leitungsanästhesie gemacht werden mussten. In diesem Saal durften an diesen Tagen keine Gasnarkosen stattfinden.

Regierungspräsidium entschied

Nach Konsentierung und Verschriftlichung dieser Rahmenbedingungen erfolgte ein offizieller Antrag mit Prüfung des Konzepts beim Regierungspräsi­dium Hessen. Nach dessen Freigabe war dann das Operieren für unsere schwangeren Chirurginnen möglich. So konnten bis zum Beginn der Corona-Pandemie zwischen 2018 und März 2020 bisher 4 Chirurginnen ihre operative Tätigkeit an der Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie bis kurz vor der Niederkunft fortführen.

Zudem war auch Schwangeren aus der Klinik für Anästhesie und dem OP-/An­ästhesie-Pflegepersonal eine Weiterbeschäftigung im OP möglich. Hervorzu­heben ist, dass diese Umsetzung des Mutterschutzgesetzes in Marburg nur durch eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem betriebsärztlichen Dienst und der Klinik für Anästhesie gelang.

Leider machte die Pandemie in Hessen, wie auch in anderen Bundesländern, alle Erfolge kurzerhand zunichte: Bis heute wird für schwangere Ärztinnen ausnahmslos ein Beschäftigungsverbot verhängt. Meines Erachtens ist es dringend geboten, diese Regelung zügig zu überdenken und bundeseinheitliche Regeln festzulegen. Das ausnahmslose Beschäftigungsverbot stellt, obwohl in protektiver Intention verhängt, eine erheb­liche Benachteiligung für schwangere Chirurginnen dar.

Prof. Dr. med. Detlef K. Bartsch ist Direktor der Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitäts­klinikum Marburg und stellvertretender Direktor des Transplantationszentrums.

E-Mail: bartsch@med.uni-marburg.de
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