Transplantationsmedizin als medizinische, ethische und rechtliche Herausforderung

Auszug aus dem Vortrag von Dr. med. Doris Dorsel, M.A.,LL.M.

Dr. med. Doris Dorsel, M.A., LL.M., Leiterin Patientenberatung Westfalen-Lippe Münster. E-Mail
Fragen der Transplantationsmedizin wenden sich an jeden Einzelnen und an die Gesell­schaft: Jede und jeder kann in die Lage eines potentiellen Organspenders kommen oder – was wahrscheinlicher ist, aber meist weniger bedacht wird – auf ein Spenderorgan angewiesen sein. Transplantationsmedizin ist Hochleistungsmedizin par excellence, sie erfordert höchste Expertise, verursacht monetäre und gesellschaftliche Kosten und kommt nur wenigen Patienten zugute. Sie berührt Leben und Tod in einzigartiger Weise, indem Lebensrettung und Leidenslinderung vom Tod anderer Menschen oder der Schädigung gesunder Spender abhängig sind.

Zunehmende Leistungsfähigkeit der Medizin und dramatischer Mangel der Organe
Die Transplantationsmedizin kann und will Heilung nicht versprechen und den Tod nicht vermeiden, aber sie kann Leben retten und Leiden lindern. Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist sie angewiesen auf Solidarität und Vertrauen. Hinweise auf Missstände im Transplantationsgeschehen müssen geprüft und bei Bestätigung geahndet werden. Eine seriöse Berichterstattung ist notwendig, aber eine Skandalisierung ist selbst skandalös – diskreditiert und pauschalisiert sie doch die Transplantationsmedizin in unverantwortlicher Weise. Ihrer zunehmenden Leistungsfähigkeit steht ein dramatischer Mangel an Spenderorganen gegenüber, der sich als absolutes Defizit in verzweifelter Nachfrage und Sterben von Patienten auf den Wartelisten äußert.

Angesichts des anhaltenden Rückgangs der Spendebereitschaft in Deutschland müssen wir uns fragen: Was können, was dürfen, was wollen wir tun? Auch nach Novellierung des Transplantationsgesetzes muss die gesellschaftspolitische Debatte weitergehen. Wie steht es um die rechtliche und ethische Legitimation des Gesetzes? Wurden Alternativen als erlaubt, verboten oder gar geboten hinreichend geprüft? Sind die Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen der Regelungen zur postmortalen Organspende verfassungs­rechtlich haltbar? Offene Fragen auch bei der Lebendorganspende: Ist die Subsidiarität noch zeitgemäß – oder angesichts unvermeidbarer Spenderrisiken geboten? Wie steht es um die Öffnung gesetzlicher Regelungen gegenüber Pool- oder Bonussystemen? Darf die Sorge einer Ökonomisierung über dem Drama des Organmangels stehen?

Entscheidung für Organspende als Gesundheitsvorsorge begreifen
Zwar hielt sich die Spendebereitschaft in Deutschland auch vor den Manipulationen bei der Organallokation (nicht bei der Spende!) zurück, nimmt aber seitdem weiter ab. Verantwortlich seien auch Patientenverfügungen, die bei Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen nicht mit der postmortalen Organspende kompatibel wären. Dies scheint zumindest nicht hin­reichend, da erstens ihre Verbreitung noch gering ist und Rückschlüsse auf Inhalte nicht zulässt und zweitens bei sachgerechter Aufklärung die Verfügung der geeignete Ort der Be­kundung des umfassenden Behandlungswillens wäre. (Bundesärztekammer, Formulierungshilfen Bundesministerium der Justiz, Ärztekammer Westfalen-Lippe u. a.) Eher scheint ein Vermeidungsverhalten gegenüber Fragen von Sterben und Tod sowie gesundheitlicher und gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme eine Rolle zu spielen. In diesem Sinne: Entscheidung zur Organspende als Gesundheitsvorsorge – für sich und für andere!

Auch das Wiederaufflammen der Hirntoddebatte trägt möglicherweise zur Zurückhaltung bei. Neuere Erkenntnisse verweisen auf neurologische Residualzustände, welche das Hirntod­kriterium infrage stellen sollen. Bei Verständnis des Sterbens als Prozess, in dessen Verlauf eine imaginäre Grenze zwischen Leben und Tod irreversibel überschritten sei, steht der Hirntod als das notwendige Kriterium der Feststellung dieses Zeitpunkts außer Frage – nicht als Todesdefinition, die als metaphysische Bestimmung sich der Medizin als praktische Wissenschaft entzieht.

Ärztliche Teilnahme am Diskurs ist unverzichtbar
Der Skandal um verschiedene Transplantationszentren hat zu einem Rückgang der Organ­spende geführt: Obwohl die bisherigen Prüfungen nur minimale Auffälligkeiten ergaben, ist der Schaden maximal. Das Fehlverhalten einzelner führte zu einem Vertrauensverlust in ein System, das auf Freiwilligkeit aufbaut und ohne Vertrauen zum Scheitern verurteilt ist. Nur durch vertrauensbildende und -erhaltende Maßnahmen kann verlorenes Terrain zurück­gewonnen werden.

Was sollen, was wollen wir tun? Wenn die Transplantationsmedizin als therapeutische Option erhalten bleiben soll, müssen wir uns der Diskussion stellen. Neben persönlicher Meinungsbildung bedarf es professioneller Information. Nicht Druck und Überredung sind das Ziel, sondern fachkundige, ehrliche und transparente Beratung und Aufklärung durch Ärztinnen und Ärzte – mit dem Resultat der selbstbestimmten Entscheidung. Die ärztliche Teilnahme am gesellschaftspolitischen Diskurs ist unverzichtbar: Keine Transplantation ohne Organspende – zwei Seiten einer Medaille. Wir müssen uns positionieren, wie wir diese Seiten prägen und unseren Beitrag leisten wollen.
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