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Erneut hohes Krebsrisiko der prophylaktischen Hormontherapie in den Wechseljahren durch Gutachten bestätigt - Deutscher Ärztinnenbund fordert Um-Denken und Neu-Handeln

Köln, 01. 12. 2003
Wechseljahrshormone sind in Deutschland die am häufigsten verordneten Arzneimittel für Frauen zwischen fünfzig und neunundfünfzig Jahren. Etwa vier bis fünf Millionen Frauen nehmen sie ein, nicht nur wegen Wechseljahrsbeschwerden sondern auch zur Vorbeugung gegen Osteoporose oder Herz-Kreislauferkrankungen oder zur Gesunderhaltung.

Die inzwischen weltweite Kritik an der prophylaktischen Hormontherapie hat in Deutschland immer noch nicht zu einem grundlegend veränderten Bewusstsein und entsprechendem Paradigmenwechsel im Verschreibungsverhalten geführt.

"Es war unverantwortlich, wie selbstverständlich in unserem Land Frauen ohne gesicherte Erkenntnisse über Langzeitfolgen Hormone ‚ersetzt' bekamen, deren Spiegel ganz natürlich im Laufe des Frauenlebens sinkt," kritisiert Dr. Astrid Bühren, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Und weiter: "Wechseljahre sind keine Krankheit! Bereits seit langem weist der Ärztinnenbund auf die Risiken der weit verbreiteten routinemäßigen prophylaktischen ‚Behandlung' mit Hormonen hin."

Diese Risiken sind durch mehrere Studien in den letzten Jahren nachgewiesen worden, ebenso wie die Tatsache, dass der behauptete Nutzen zum großen Teil gar nicht nachzuweisen ist oder die Risiken diesen eventuellen Nutzen überwiegen.

Dr. Friederike Perl, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Vorstandsmitglied des Deutschen Ärztinnenbundes, bemängelt, dass die Hormontherapie zur Risikoprophylaxe bei im wesentlichen beschwerdefreien Frauen auf der einen Seite und jene zur Behandlung von gravierenden Störungen auf der anderen Seite in einen Topf geworfen wurden. "Alles, was die derzeitige Datenlage an Interpretation zulässt, ist nämlich, dass Hormontherapie in den Wechseljahren bei beschwerdefreien Frauen zur Risikoprophylaxe im Wesentlichen Unsinn ist, da sie, statt gesundheitliche Risiken zu verkleinern, diese noch erhöht. Dass die relativ kurzfristige und vorübergehende Behandlung von gravierenden Beschwerden mit messbaren Risiken einhergeht, ist bisher nicht festgestellt worden, insbesondere, wenn alleinige Östrogenpräparate angewandt wurden."

Ein weiteres Gutachten zu diesem Themenkomplex wurde letzten Freitag von der Enquetekommission "Zukunft einer frauengerechten Versorgung in NRW" veröffentlicht.

Prof. Dr. Greiser vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) bestätigt darin, dass die Erkenntnisse der "Million Women" Studie aus Großbritannien auf Deutschland übertragbar sind.

Auch die in Deutschland verordneten Hormonpräparate gegen Wechseljahrsbeschwerden weisen erhöhte Erkrankungsrisiken für Brust-, Gebärmutterschleimhaut- und Eierstockskrebs auf. In Deutschland erkranken derzeit jährlich etwa 46.000 Frauen an Brustkrebs, nach den Hochrechnungen von Professor Dr. Greiser sind davon etwa 10.000 Erkrankungen bei Frauen im Alter von 45 - 74 Jahren auf die Anwendung von Wechseljahreshormonen zurückzuführen. "Wenn die Datenlage mit den Hochrechnungen so übereinstimmen, ist es unbegreiflich, mit welcher Hartnäckigkeit viele sich diesen Erkenntnissen verschließen, den Kopf in den Sand stecken und gebetsmühlenartig alte längst widerlegte Argumente aufwärmen," so Ärztinnenbund-Präsidentin Frau Dr. Astrid Bühren. In der genannten britischen Studie ist eine erhöhte Sterblichkeit der Frauen, die unter Hormontherapie an Brustkrebs erkrankten, gefunden worden.

An manchen Punkten der derzeitigen Diskussion entsteht der Eindruck, dass Marktinteressen die ärztliche Ethik dominieren.

"Wechseljahre dürfen keine quasi automatische Hormonanwendung und dadurch verursachte medizinische Maßnahmen nach sich ziehen; Frauen mit Beschwerden, die die Lebensqualität stark einschränken und die mit Hormonen zu bessern sind (vor allem Hitzewallungen), müssen über Nutzen und Risiken gleichermaßen umfassend beraten werden, damit sie eine informierte Entscheidung selbständig treffen können", ergänzt Ärztinnenbund-Mitglied Prof. Dr. Martina Dören, Charité, Freie Universität Berlin.

Der Deutsche Ärztinnenbund fordert alle politisch Verantwortlichen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene und die Standesorganisationen der Ärzteschaft dringend auf, Verantwortung zu übernehmen und zügig für Verbreitung und Umsetzung dieser Erkenntnisse zu sorgen, damit nicht noch mehr Frauen durch ein falsches Therapiekonzept geschädigt werden.


Weitere Informationen:
http://www.landtag.nrw.de: Parlament - Enquetekommissionen
www.aerztinnenbund.de
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