Zunehmend sinnvolle Digitalisierung: Chance zur Mitgestaltung und Weichenstellung jetzt nutzen

Nicht erst seit der Corona-Pandemie wird häufig über die Digitalisierung des Gesundheitswesens, über digitales Lernen, Lehren und Arbeiten berichtet. Aber sind die Entwicklungen rund um die digitale Medizin für uns Ärztinnen und Ärzte alle relevant?

Zunehmend mehr Prozesse im Gesundheitssystem sind digitalisiert. Auch politische Rahmenbedingungen ändern sich und weisen uns Ärzt:innen neue Aufgaben zu. Das wohl gerade prominenteste Beispiel: digitale Gesundheitsanwendungen, die wir verschreiben dürfen – Apps auf Rezept. Doch nicht nur das sollte uns dazu bewegen, uns mit der Digitalisierung zu beschäftigen. Die intrinsische Motivation, medizinische Möglichkeiten besser auszuschöpfen und zu beforschen, weckt das Interesse an der Digitalisierung aus der Ärzteschaft heraus.

Die Zukunft ist schon da
Beispielsweise soll in Berlin in einem Forschungsprojekt ein intelligenter Alarmoptimierer für Intensivstationen entwickelt werden, um die relevantesten Alarme herauszufiltern: eine Technik, die Personal unterstützt und die Patient:innensicherheit erhöht. Ein anderes, schon teilweise etabliertes Verfahren sind Televisiten, bei denen Pflegepersonal beispielsweise eine Hausärzt:in per Videomodul dem Altersheim und somit der Patient:in zuschaltet. Dies ermöglicht eine qualitativ hochwertige Versorgung selbst über eine weite Distanz.

Digitalisierung benötigt eine gute Steuerung
Digitale Angebote können zudem ärztliche Arbeit flexibilisieren. Außerdem treiben die Ansprüche der jüngeren Patient:innengeneration die Digitalisierung der Medizin voran. Nicht zuletzt gibt es ökonomische Entwicklungen, welche die oft mit der Hoffnung auf Kostenreduktion verbundene digitale Transformation ebenfalls beschleunigen. Daher ist es umso wich­tiger, dass wir uns aus unserer Profession heraus und mit medizinischer Expertise mit der Thematik beschäftigen. Digitale Werkzeuge können nur so sinnvoll sein wie der Prozess, in den sie integriert sind.

Genau hier besteht die Chance, dass wir unsere medizinischen Prozesse hinterfragen, ob diese für Patient:innen aktuell sind und ob eine digitale Komponente sie erleichtern oder ergänzen kann. In der Diabetesbehandlung etwa wird bereits lange mit Apps und webbasierten Anwendungen gearbeitet. Das ließe sich ausweiten, etwa auf die Migränetherapie, wo Apps neben der Behandlung auch zur Begleitung der Patient:innen und zur Edukation eingesetzt werden.

Ärztliche Perspektive einbringen
Damit Ärzt:innen Prozesse rund um die Digitalisierung mitgestalten können, steht an erster Stelle, dass wir uns mit der Thematik beschäftigen und Grundzüge von digitalen Kompe­tenzen erlangen. Des Weiteren können wir darauf hinwirken, dass bei Anwendungen künstlicher Intelligenz die Genderperspektive bedacht wird. Momentan wird selten auf genderspezifische Algorithmen geachtet, obwohl digitale Werkzeuge Genderaspekte manchmal bräuchten. Darum ist es ein zen­trales Anliegen, dass sich Ärzt:innen mit diesem Thema beschäftigen und in Entwicklungs- und Steuerungsgremien vertreten sind.

Insgesamt zeichnen sich zunehmend mehr sinnvolle digitale Versorgungsangebote ab, die mit ärztlicher Perspektive be­gleitet werden sollten. Auch wenn der Anschluss an die Infra­struktur und die Standardisierung holprig voranschreiten, macht der Gedanke an ein vernetztes Gesundheitswesen, in dem Patientinnen und Patienten selbstbestimmt ihre Daten verwalten, Hoffnung.

Jana Aulenkamp (30) ist Ärztin in Weiterbildung für Anästhe­siologie am Universitätsklinikum Essen und promoviert zu chronischen postoperativen Schmerzen. Sie hat einen Lehrauftrag zur „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ an der Hochschule Ravensburg-Weingarten inne und die Plattform match4healthcare mitgegründet. 2018 war sie Präsidentin der Bundesvertretung der Medizinstudierenden.

E-Mail: jana.aulenkamp@uk-essen.de
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