Die elektronische Patientenakte aus frauenärztlicher Sicht
Die elektronische Patientenakte (ePA) soll bald für alle gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten verfügbar sein. Derzeit wird die ePA in etwa 300 Praxen, Apotheken und Kliniken in Hamburg, Franken und einigen Regionen Nordrhein-Westfalens auf ihre Praxistauglichkeit getestet. Hier geht es vor allem um die Technik und die Einflüsse auf den Behandlungsablauf.
Getestet wird, wie Inhalte in der ePA gespeichert werden sollen, aber nicht welche. Es gibt Themenbereiche, die Patientinnen und Patienten im Vertrauen auf die ärztliche Schweigepflicht ansprechen. Sollen die Diagnosen, die sich dabei ergeben, in der ePA gespeichert werden? Überwiegt der medizinische Nutzen durch die vollumfängliche Verfügbarkeit aller Informationen oder das Risiko, dass auch Ärztinnen und Ärzte die Diagnosen kennen, die nicht mit dem jeweiligen Fall betraut sind? Gerade in der frauenärztlichen Sprechstunde gibt es viele solcher Themen. Aus der Sicht eines Frauenarztes nenne ich ein paar Beispiele:
Schwangerschaftsabbrüche: In der geburtshilflichen Anamnese wird sowohl nach der Zahl der geborenen Kinder gefragt als auch nach den ungeborenen. Handelte es sich bei ungeborenen Kindern um eine Fehlgeburt oder eine Interruptio? Für viele Frauen ist diese Frage unangenehm, vielleicht sogar mit traumatischen Erlebnissen verknüpft. Für die ärztliche Betreuung aber ist die Unterscheidung wesentlich. Da die ePA der Patientin gehört, darf sie bei der Vorlage in der Praxis bestimmte Einträge verbergen. Verbirgt sie Interruptiones, zieht die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt aus einer Differenz zwischen der Anzahl der Schwangerschaften und der Anzahl der Geburten möglicherweise die falschen Schlüsse. Die ePA verliert an dieser Stelle ihre medizinische Bedeutung. Die betroffene Frau befindet sich in einem Dilemma.
Humangenetische Beratung: Hat die Patientin eine BRCA1/2-Mutation und somit ein massiv erhöhtes Brustkrebsrisiko, darf die Praxis diese Diagnose erst nach schriftlicher Aufklärung in der ePA speichern. Diese Diagnose mag die Betroffene als stigmatisierend empfinden, aber für die Planung von Früherkennungsuntersuchungen ist sie richtungsweisend. Darüber muss in der Frauenarztpraxis gesprochen und eine Entscheidung getroffen werden.
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr: Soll der ICD-10-Code N94.1 für organisch bedingte Schmerzen in der ePA stehen oder gar der Code F52.6 für nichtorganische Dyspareunie? Wenn die Betroffene ihre elektronische Gesundheitskarte in der hausärztlichen Praxis einliest, so hat diese gemäß der gesetzlichen Opt-Out-Regelung 90 Tage Einsicht in die komplette ePA. Soll die Hausärztin/der Hausarzt überhaupt von der bestehenden Problematik wissen? Was ist, wenn andere Familienmitglieder, z. B. der Ehepartner, von derselben Hausärztin/demselben Hausarzt betreut werden? Wenn die Einsicht in die ePA an dieser Stelle verwehrt wird, werden auch alle anderen Diagnosen unlesbar. Das gilt im Übrigen auch für Medikamente. Da diese Diagnosen in der frauenärztlichen Praxis gestellt werden, muss die behandelnde Frauenärztin oder der behandelnde Frauenarzt die Patientin beraten, wem sie das Lesen der ePA gestatten soll. Glücklicherweise geht aus einer ePA für die annehmende Praxis nicht hervor, welche Teile gelöscht oder verborgen wurden: Datenschutz.
Beckenbodenschwäche: Hinter dem ICD-10-Code N81.0 verbergen sich auch verschiedene Formen der Inkontinenz. Dar-über spricht eine Frau nicht mit ihrer Zahnärztin/ihrem Zahnarzt oder auch nicht mit der Hausärztin/dem Hausarzt. Will sie, dass dies nur die Frauenärztin oder der Frauenarzt lesen können soll? Die gynäkologische Praxis kann die Betroffene beruhigen: Eine anlasslose Ausforschung der ePA soll nicht stattfinden.
Bis die ePA zur Volltextsuche ausgereift ist und die Möglichkeit bietet, auch übertragene Arztbriefe zu analysieren, wird es noch zwei weitere Ausbaustufen geben. Dann müssen wir über das Zeigen und Verbergen von Teilen der ePA erneut nachdenken. Wir Ärztinnen und Ärzte müssen aber heute schon darüber nachdenken, wie wir unsere Patientinnen bei solch kritischen Diagnosen beraten. Wir dürfen sie damit nicht alleinlassen!
E-Mail: info@dr-bickmann.de
Getestet wird, wie Inhalte in der ePA gespeichert werden sollen, aber nicht welche. Es gibt Themenbereiche, die Patientinnen und Patienten im Vertrauen auf die ärztliche Schweigepflicht ansprechen. Sollen die Diagnosen, die sich dabei ergeben, in der ePA gespeichert werden? Überwiegt der medizinische Nutzen durch die vollumfängliche Verfügbarkeit aller Informationen oder das Risiko, dass auch Ärztinnen und Ärzte die Diagnosen kennen, die nicht mit dem jeweiligen Fall betraut sind? Gerade in der frauenärztlichen Sprechstunde gibt es viele solcher Themen. Aus der Sicht eines Frauenarztes nenne ich ein paar Beispiele:
Schwangerschaftsabbrüche: In der geburtshilflichen Anamnese wird sowohl nach der Zahl der geborenen Kinder gefragt als auch nach den ungeborenen. Handelte es sich bei ungeborenen Kindern um eine Fehlgeburt oder eine Interruptio? Für viele Frauen ist diese Frage unangenehm, vielleicht sogar mit traumatischen Erlebnissen verknüpft. Für die ärztliche Betreuung aber ist die Unterscheidung wesentlich. Da die ePA der Patientin gehört, darf sie bei der Vorlage in der Praxis bestimmte Einträge verbergen. Verbirgt sie Interruptiones, zieht die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt aus einer Differenz zwischen der Anzahl der Schwangerschaften und der Anzahl der Geburten möglicherweise die falschen Schlüsse. Die ePA verliert an dieser Stelle ihre medizinische Bedeutung. Die betroffene Frau befindet sich in einem Dilemma.
Humangenetische Beratung: Hat die Patientin eine BRCA1/2-Mutation und somit ein massiv erhöhtes Brustkrebsrisiko, darf die Praxis diese Diagnose erst nach schriftlicher Aufklärung in der ePA speichern. Diese Diagnose mag die Betroffene als stigmatisierend empfinden, aber für die Planung von Früherkennungsuntersuchungen ist sie richtungsweisend. Darüber muss in der Frauenarztpraxis gesprochen und eine Entscheidung getroffen werden.
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr: Soll der ICD-10-Code N94.1 für organisch bedingte Schmerzen in der ePA stehen oder gar der Code F52.6 für nichtorganische Dyspareunie? Wenn die Betroffene ihre elektronische Gesundheitskarte in der hausärztlichen Praxis einliest, so hat diese gemäß der gesetzlichen Opt-Out-Regelung 90 Tage Einsicht in die komplette ePA. Soll die Hausärztin/der Hausarzt überhaupt von der bestehenden Problematik wissen? Was ist, wenn andere Familienmitglieder, z. B. der Ehepartner, von derselben Hausärztin/demselben Hausarzt betreut werden? Wenn die Einsicht in die ePA an dieser Stelle verwehrt wird, werden auch alle anderen Diagnosen unlesbar. Das gilt im Übrigen auch für Medikamente. Da diese Diagnosen in der frauenärztlichen Praxis gestellt werden, muss die behandelnde Frauenärztin oder der behandelnde Frauenarzt die Patientin beraten, wem sie das Lesen der ePA gestatten soll. Glücklicherweise geht aus einer ePA für die annehmende Praxis nicht hervor, welche Teile gelöscht oder verborgen wurden: Datenschutz.
Beckenbodenschwäche: Hinter dem ICD-10-Code N81.0 verbergen sich auch verschiedene Formen der Inkontinenz. Dar-über spricht eine Frau nicht mit ihrer Zahnärztin/ihrem Zahnarzt oder auch nicht mit der Hausärztin/dem Hausarzt. Will sie, dass dies nur die Frauenärztin oder der Frauenarzt lesen können soll? Die gynäkologische Praxis kann die Betroffene beruhigen: Eine anlasslose Ausforschung der ePA soll nicht stattfinden.
Bis die ePA zur Volltextsuche ausgereift ist und die Möglichkeit bietet, auch übertragene Arztbriefe zu analysieren, wird es noch zwei weitere Ausbaustufen geben. Dann müssen wir über das Zeigen und Verbergen von Teilen der ePA erneut nachdenken. Wir Ärztinnen und Ärzte müssen aber heute schon darüber nachdenken, wie wir unsere Patientinnen bei solch kritischen Diagnosen beraten. Wir dürfen sie damit nicht alleinlassen!
E-Mail: info@dr-bickmann.de
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