Keine Parität bei Professoren und Professorinnen in Berufungskommissionen: Ein Nadelöhr für Frauen auf dem Weg in klinische Führungspositionen?

Der Anteil von Frauen in klinischen Spitzenpositionen (W3-Stellen) der medizinischen Fakultäten stagniert seit Jahren bei durchschnittlich nur 14 %, obwohl qualifizierter Nachwuchs (37 % z. T. Habilitierte oder Professorinnen als Oberärztinnen im Durchschnitt) vorhanden ist. Die Gründe für die Unterrepräsentanz sind vielfältig (1).

Die vorliegende Untersuchung adressiert eine der möglichen Barrieren für Bewerberinnen: die überwiegend männliche Besetzung in der professoralen Gruppe der Berufungskommissionen (BK) der 37 deutschen medizinischen Fakultäten. Vor allem für Frauen mit Kindern scheint eine Bewerbung vor einer homosozialen Männergruppe fast aussichtslos. Das Auftreten und der Habitus einer Bewerberin im Rahmen eines Berufungsverfahrens scheinen das Ergebnis am Ende sehr stark zu beeinflussen (2).

Eine zweite Hürde könnte das Fehlen einer konkreten integrativen (und nicht nur einer kooperierenden) Beteiligung an Berufungen durch die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der medizinischen Fakultäten oder der Universität selbst sein.

Die BK, in der die Gleichstellungsbeauftragten auf gesetzlicher Grundlage mitwirken, strukturiert die Ausschreibung und das Berufungsverfahren, sie entscheidet über Einladungen, wählt Bewerber und Bewerberinnen aus und bestimmt Gutachter und Gutachterinnen. Das gesamte Verfahren wird durch die äußerst komplizierten und unterschiedlichen Landeshochschulgesetze geregelt. Den meisten medizinischen Fakultäten wird aufgetragen, im vorgegebenen Rahmen eine eigene Berufungsordnung oder einen eigenen Berufungsleitfaden vorzulegen.

Die Zusammensetzung der BK sollte paritätisch sein (je 50 % Männer/Frauen), aber eine Parität ist für die wichtige Gruppe der Universitätsprofessoren und -professorinnen nirgendwo vorgeschrieben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die professoralen Kommissionsmitglieder einen wesentlichen Einfluss auf das Berufungsergebnis haben. In den Berufungsverfahren nutzen unterschiedliche Akteurinnen und Akteure ihren Einfluss, um ihre Interessen durchzusetzen (2). Ebenso wird kaum eine Parität bei den von der BK bestellten Gutachtern und Gutachterinnen gefordert.

Methodik

In der Zeit von Mai bis Juni 2024 wurde telefonischer Kontakt zu den Frauen-/Gleichstellungsbeauftragten hergestellt, die entweder als zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität (n=7, davon eine Medizinerin) oder als dezentrale Frauenbeauftragte der medizinischen Fakultät (n=24, davon 15 Medizinerinnen) mit Berufungen auf Spitzenpositionen (W3-Stellen) qua Amt befasst sind. Trotz wiederholter Versuche konnte kein telefonischer oder schriftlicher Kontakt zu den Gleichstellungsbeauftragten der medizinischen Fakultäten Homburg, Regensburg, Ulm, Gießen und Tübingen hergestellt werden. Diese konnten daher nicht mit ausgewertet werden. 31 Beauftragte erklärten sich bereit, an einer Umfrage mit einem strukturierten Fragebogen (25 Fragen) teilzunehmen sowie z. T. informell Auskunft zu geben. Gefragt wurde nach strukturellen Arbeitsbedingungen (Freistellung, Vertretungsregelungen, Arbeitsbelastung) und Mitwirkungsrechten (Beteiligung bereits bei Ausschreibungen und Zusammensetzung der BK, Teilnahme an Sitzungen, Einsicht in sämtliche Unterlagen, Rede-, Antrags- und Stimmrecht in den BK).

Ergebnisse

{{IMG=1908}}Die Arbeitszeit, die den Gleichstellungsbeauftragen (in Bayern Frauenbeauftragte) für ihre Amtsausübung neben ihrem Beruf zur Verfügung steht, ist sehr unterschiedlich (Abb. 1). Beim Ehrenamt erfolgt neben der eigenen beruflichen Tätig­keit keine Kompensation. Eine stundenweise Freistellung kann bis zu 50 % der eigenen Arbeitszeit betragen. Volle Freistellung bedeutet eine volle Arbeitszeit als Gleichstellungsbeauftragte ohne andere berufliche Verpflichtungen. Vertretungsregelungen für die Arbeit in den Gremien, Sitzungen etc. sind an nahezu allen Fakultäten vorhanden. Auch die Beteiligung der Beauftragten bei der Ausschreibung einer W3-Stelle ist fast immer gegeben, ebenso größtenteils die Möglichkeit, bereits den Ausschreibungstext mitzugestalten.

Die Zusammensetzung der BK wird in der Regel vom Fakultätsrat aufgrund eines Vorschlages des Dekans/der Dekanin bestimmt. Hier ist die Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten nur bei 20 von 31 gegeben. Akteneinsicht und Einladungen zu den Sitzungen der BK, Rede- und teilweise Antragsrecht bestehen. Ein Abstimmungsrecht ist für die Beauftragten jedoch selten vorgesehen und unterschiedlich in den Bundesländern geregelt. Ist die Gleichstellungs-/Frauenbeauftragte zugleich Professorin (17 von 31), ist sie häufig dadurch stimmberechtigt. Zudem können alle Beauftragten von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, um ein Verfahren zu unterbrechen.

Sind die Berufungskommissionen paritätisch besetzt?


{{IMG=1909}}In elf Fakultäten sind die BK paritätisch mit Männern und Frauen aus den korporationsrechtlichen Gruppen der Hochschule besetzt, in 20 ist die Besetzung variabel und unterschiedlich. Die paritätische Besetzung mit der Gruppe der Universitätsprofessoren und -professorinnen gibt es jedoch regelhaft bei nur drei medizinischen Fakultäten (10 %, Abb. 2). In den anderen 28 Fakultäten ist dies unregelmäßig der Fall. Es wird beklagt, dass es zu wenig Universitätsprofessorinnen in der eigenen Fakultät gibt, von denen die Berufung in eine BK häufig aus Zeitmangel und Überlastung durch die klinische Tätigkeit abgelehnt wird. Teils vorhandene gesetzliche Regelungen geben vor, dass der Anteil der Universitätsprofessorinnen in den BK ihrem prozentualen Anteil an der Fakultät entsprechen soll (dieser Anteil ist jedoch bekanntlich seit Jahren sehr gering). Es handelt sich dabei um eine unwirksame Regelung – aktive Gleichstellungspolitik sieht anders aus! Ebenso wird kaum eine Parität bei den von der BK bestellten Gutachtern und Gutachterinnen gefordert.

Teilweise sind über 20 Berufungsverfahren in einem Jahr zu bearbeiten. Die Mitarbeit an der akademischen Selbstverwaltung (eine Dienstaufgabe mit viel Bürokratie) bleibt hier auf der Strecke. Ebenso besteht, insbesondere für die Gleichstellungsbeauftragten, die nicht voll freigestellt sind oder ehrenamtlich arbeiten (und sich anerkennenswerterweise sehr für ihre Aufgaben einsetzen), ein ständiger Spagat zwischen ihrem Amt und ihrem eigentlichen Beruf. Hinzu kommen langwierige, umständliche Prozesse und langsame Verwaltungen, sodass sich die Verfahren oft über mehrere Monate bis Jahre hinziehen. Die Belastung wird übereinstimmend als sehr hoch eingeschätzt, kann aber nur an einigen Fakultäten durch zusätzliche Referentinnen-Stellen abgefedert werden. Wünschenswert wäre eine faire Gleichbehandlung der Beauftragten in allen Bundesländern.

Offen bleibt, inwieweit sich die Gleichstellungsarbeit auf die eigenen Karrierechancen auswirkt, also ob sie positiv (Wahrnehmung eines gesetzlichen Auftrages, Unterstützung der Fakultätsleitung durch Gleichstellungskonzepte) oder negativ (häufige Abwesenheit am eigenen Arbeitsplatz durch Gremiensitzungen, Einsicht in vertrauliche fakultätsinterne Vorgänge) bewertet wird.

Die Zahl der Bewerberinnen bei Berufungsverfahren ist nach wie vor geringer als die der Bewerber. Weibliches Nachwuchs­potential (habilitierte Oberärztinnen und außerplanmäßige Professorinnen) ist allerdings vorhanden und wird größer (1). Unterschiede zwischen den klinischen Fächern bestehen: In der Kinderheilkunde gibt es z. B. relativ gesehen mehr Bewerbungen von Frauen als in den chirurgischen Fächern. Als Qualitätsfaktor gilt nach wie vor meist die Zahl der Veröffentlichungen (oft unter Berücksichtigung des äußerst umstrittenen Impaktfaktors). Die Tatsache, dass eine junge Mutter, die Zeit für Kinderbetreuung aufwendet, weniger veröffentlichen kann, wird nicht entsprechend berücksichtigt. So wird die Vereinbarkeitsproblematik zu einer Stellschraube in der komplexen Gemengelage des Drop-Out von Medizinerinnen aus dem Hochschulsystem, wie es u. a. im Gleichstellungsbericht der Medizinischen Fakultät Göttingen steht. Die numerische Höhe der eingeworbenen Drittmittel und die in Aussicht gestellten weiteren Drittmittel sind ebenso von Bedeutung. Quantität statt Qualität? Maßnahmen aktiver Rekrutierung von Bewerberinnen sind nur in zwei Fakultäten grundsätzlich vorgesehen, werden in weiteren Fakultäten gelegentlich eingesetzt.

Einzelne Gleichstellungsbeauftragte berichten zudem, dass viele Medizinerinnen, die für eine Spitzenposition in Frage kämen, schon in der Postdoc-Phase oder als bereits qualifizierte Professorinnen in nachgeordneter Stellung die Fakultäten verlassen: Sie wünschen flexiblere Arbeitszeiten, geteilte Verantwortung (3, 4), Wertschätzung ihrer Arbeit durch die Klinik­leitung, flachere Hierarchien und einen konstruktiven, wertschätzenden Umgangston. Sie vermissen eine professionelle Führungskultur, die negative Erfahrungen in ihrem ärztlichen Alltag vermeiden kann. Geklagt wird ebenso über eine häufig fehlende Förderung und Unterstützung einer Bewerbung durch den Chef. (Will man vielleicht eine gute Oberärztin als Steuerfrau einer Klinik ungern gehen lassen?) Potenzielle Kandidatinnen, die z. T. direkt angesprochen wurden, bewerben sich nicht, weil ihnen die vorherrschende Arbeitskultur in Verbindung mit einer Spitzenposition nicht attraktiv erscheint. Hier wäre ein Ansatz für die Etablierung anderer Arbeitsmodelle (z. B. Top Sharing) in Spitzenpositionen zu sehen (3).

Arbeitsbedingungen und Mitwirkungsrechte der Frauen-/Gleichstellungsbeauftragten wurden von Molzberger et al. (2020) ausführlich untersucht. Konstatiert wird eine unzureichende Transparenz bei fakultätsinternen Berufungsverfahren für Lehrstühle und ein mitunter schwach ausgeprägtes gleichstellungsbezogenes Problembewusstsein bei Führungskräften, besonders in der Medizin (5).

Überlegungen zur Herstellung von Parität


Wäre es generell nicht möglich, fachlich kompetente Frauen außerhalb der eigenen Fakultät einzubinden, um Parität herzustellen?

Wäre es nicht möglich, fachlich kompetente Personen aus dem europäischen und/oder transatlantischen Ausland, zu dem eine Fakultät meist Kontakte hat, in die BK einzubinden?

Wäre es nicht möglich, auch emeritierte Professorinnen in die BK zu wählen und damit Parität zu erreichen?

Könnte man ggf. die Zahl der Professoren reduzieren und mehr Professorinnen einbinden, um Parität zu erreichen?

Fazit

Die formalen Rahmenbedingungen für die Berufung von Frauen auf Spitzenpositionen der Medizin haben sich in den letzten Jahren nicht verschlechtert. Es scheint eher so, dass die Attraktivität von Spitzenpositionen nachgelassen hat und viele qualifizierte Kräfte in der Universitätsmedizin nicht mehr ihren Platz sehen.

Die Studie wurde im Rahmen des Ausschusses für Parität des DÄB erstellt. Großzügig unterstützt hat der Verein „Frauen fördern die Gesundheit e. V.“ und die Regionalgruppe Berlin des DÄB. Die Recherchen erfolgten durch E. Lehmisch-Rambo.

Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk

Medical Women on Top – Update 2024

Der DÄB legte im März 2025 die 4. Umfrage zu „Medical Women on Top“ vor. Untersucht wurden 16 wichtige klinische Fächer in 36 deutschen medizinischen Fakultäten hinsichtlich der Zahlen von Frauen in Führungspositionen (W3).

Fazit: In den letzten 8 Jahren stieg deren Zahl von 10 % auf
14 %, an der Spitze wiederum die TU Dresden mit 29 %, gefolgt von der TU München und der Universitätsmedizin Bonn. Im Fach Chirurgie gibt es nur 5 %, in der Frauenheilkunde jetzt 25 % Frauen in Führungspositionen. Deutlich zugenommen hat die Zahl der Oberärztinnen und Dekaninnen. Einzelheiten finden Sie im „Medical Women on Top – Update 2024“ auf der Homepage des DÄB.


Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk ist Senior Consultant und stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss Parität des DÄB.

E-Mail: gabriele.kaczmarczyk@aerztinnenbund.de

Literaturangaben:
  1. Medical Women on Top, update 2024. Hrsg. vom Deutschen Ärztinnenbund 2025
  2. Kleimann, U. & Klawitter, M. (2017) Berufungsverfahren an deutschen Universitäten aus Sicht organisationaler Akteure. Beiträge zur Hochschulforschung, 39 (3-4), 52-73
  3. TOP Sharing-Arbeitsmodell der Zukunft? Dtsch Ärztebl 2024, Jahrgang 121 (5), A296-A297, B 272
  4. Artikel in der ärztin 12/2023, 70. Jahrgang, 5-7
  5. Molzberger, K., Lange, R., Kaczmarczyk, G. & Dettmer, S. (2020): Herausforderungen für Gleichstellungsarbeit in der deutschen Hochschulmedizin. Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang 4/2020, 94-108