Dr. med. Sigrun Muthmann-Hellwig
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Dr. med. Marie-Louise Fasshauer
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Dr. med. Renate Böhm
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102 Jahre: Deutsche Ärztinnen und der Weltärztinnenbund

Die Geschichte der Ärztinnen in Deutschland ist untrennbar verknüpft mit der Geschichte des Welt­ärztinnenbundes (Medical Women’s International Association – MWIA). Dr. Esther Lovejoy, die erste Präsidentin der MWIA, besucht 1922 Berlin, um die deutschen Ärztinnen zur Gründung eines Ärztinnenbundes zu ermuntern. Ärztinnen aus vielen Ländern waren im Ersten Weltkrieg in den Krankenhäusern ihrer Heimatländer und in Lazaretten aktiv gewesen, sie hatten erkannt, dass in der Nachkriegszeit der Wiederaufbau der Gesundheitsdienste notwendig werden würde und Ärztinnen dabei eine aktive Rolle spielen mussten. Dr. Esther Lovejoy war der festen Überzeugung, dass sich Ärztinnen deshalb in möglichst vielen Ländern in Ärztinnenverbänden zusammenschließen sollten. Dr. Hermine Heusler-Edenhuizen, die spätere Präsidentin des Bundes Deutscher Ärztinnen (BDÄ), besucht noch 1922 den Kongress des Weltärztinnenbundes in Genf und spricht in der Halle des Parc la Grange die prophetischen Worte:
O Peoples, Would that at last
Women's hands might help to lead you.
O how richly, Fatherland,
Wouldst thou blossom,
Could but the Mothers
Hold sheltering hands over thy life.
Wir möchten die Geschichte deutscher Ärztinnen im Weltärztinnenbund erzählen, die 1922 in Genf begann und deren Geschichte während des Nationalsozialismus, als der Bund Deutscher Ärztinnen längst aufgelöst war, weiterging. Wir wollen die unermüdliche Arbeit mutiger Ärztinnen der MWIA in vielen Ländern nachzeichnen, die ab 1932 verfolgte Kolleginnen aus Deutschland und vielen von den Nazis besetzten Ländern aufnahmen, in ihren Verbänden „refugee sections“ einrichteten und Ärztinnen Zuflucht und Zukunft gaben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der nun neu gegründete Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) wieder in die Weltgemeinschaft der Ärztinnen aufgenommen, obwohl dies internationa­len Kolleginnen, die unter dem Krieg gelitten und Angehörige verloren hatten oder die in Konzentrationslagern gewesen waren, sehr schwerfiel.

Unser Dank gilt Frau Prof. Dr. Francisca Griffioen aus Amsterdam, lange Vizepräsidentin der MWIA, die in den Archiven des Niederländischen Ärztinnenbundes wertvolle Dokumente gefunden hat, und die Idee zu dieser Arbeit gab. Außerdem gilt unser Dank Dr. Gertrud Zickgraf aus Wiesbaden, die uns von ihrer langjährigen Arbeit als Vizepräsidentin des Weltärztinnenbundes in der Zeit vor und nach der Maueröffnung berichtet hat und uns mit informativer Literatur versorgte. Wir danken auch der Bibliothek der Charité in Berlin und dem Helene-Lange-Archiv in Berlin für die unkomplizierte Unterstützung. Literaturhinweise finden Sie bei den Verfasserinnen.

Making-of: Die Entstehungsgeschichte dieses Beitrags

Dr. Marie-Louise Fasshauer und Dr. Sigrun Muthmann- Hellwig besuchen seit 1978 alle Weltkongresse der Medical Women’s International Association (MWIA). Bei diesen Besuchen und auf internationalen Kongressen sind langjährige Freundschaften entstanden.

Ein regelmäßiger Kontakt besteht zu Frau Prof. Dr. Francisca Griffioen aus Amsterdam, der langjährigen Vizepräsidentin der MWIA, die in den Archiven des Niederländischen Ärztinnenbundes interessante Dokumente gefunden hat. Bei einem Zoom-Meeting entstand die Idee zu dieser Arbeit, die sich anfangs auf die Nachkriegsjahre beschränken sollte. Schnell bemerkten wir, dass wir zum Verständnis der Ereignisse in der Nachkriegszeit mehr über die Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs wissen müssen. Dafür war das umfassende Buch von Dorothy Ward „History oft the Medical Women’s International Association“ aus der Bi­liothek von Dr. Fasshauer eine unerschöpfliche Quelle. Dr. Gertrud Zickgraf, Wiesbaden, hat uns von ihrer langjährigen Arbeit als Vizepräsidentin des Weltärztinnenbundes in der Zeit vor und nach der Maueröffnung berichtet und uns mit hilfreicher Literatur aus ihrer Bibliothek versorgt. Weitere nützliche Dokumente haben wir in der Bibliothek der Charité und dem Helene-Lange-Archiv gefunden. Eine Inspiration war auch die Erinnerung an Dr. Waltraud Diekhaus, die langjährige Generalsekretärin der MWIA. Sie hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, ganz im Geiste von Esther Lovejoy, der Gründerin der MWIA, in zahlreichen Ländern unermüdlich für die Gründung und den Fortbestand von Ärztinnenverbänden gekämpft. Diese Verbände existieren heute möglicherweise nicht mehr, aber viele persönliche Kontakte und Freundschaften bestehen fort.

Gerade in der heutigen Zeit, wo sich Menschen plötzlich mit neuen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert sehen, ist es ermutigend, dass es immer grenz- und regimeüberschreitende Freundschaften, Hilfe und Vertrauen gab!


Dieser Artikel soll auch an Dr. Waltraud Diekhaus, die großartige Generalsekretärin der MWIA, erinnern. Waltraud Diekhaus hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, ganz im Geiste von Esther Lovejoy, in zahlreichen osteuropäischen Ländern unermüdlich für die Gründung von Ärztinnenverbänden gekämpft, die heute möglicherweise nicht mehr existieren, aber die persönlichen Kontakte fortbestehen lassen.

BDÄ: Anfang und das baldige Ende

Nach der Rede von Dr. Hermine Heusler-Edenhuizen in Genf 1922 trafen sich ab 1923 deutsche Ärztinnen regelmäßig. Im Juli 1924 nahmen dann vier deutsche Ärztinnen am nächsten Weltärztinnenkongress in London teil. Als „direktes Ergebnis dieses Besuches“ (Dorothy Ward, History of the Medical Women’s International Association, Fledgling Press, 2010) wurde am 25. Oktober 1924 in Berlin der Bund Deutscher Ärztinnen (BDÄ) gegründet und Dr. Hermine Heusler-Edenhuizen zur ersten Vorsitzenden des BDÄ gewählt.

Gründungsversammlung des BDÄ. 1: Prof. Lydia Rabinowitsch-Kempner, Mikrobiologin und Ehrenmitglied; 2: die erste Vorsitzende des BDÄ, Dr. Hermine Heusler-Edenhuizen; 3: Dr. Franziska Tiburtius, Ehrenmitglied und eine der ersten beiden Ärztinnen in Deutschland
Bei der Gründung des BDÄ wurde die Zusammenarbeit mit dem internationalen Ärztinnenbund ausdrücklich in die Satzung des BDÄ aufgenommen (Ohnesorge, Mitteilungen des DÄB, 1970) und der Beschluss zum Beitritt in den Weltärztinnenbund gefasst.

Schon 1933 jedoch erreichten den Weltärztinnenbund während eines Treffens in Paris Briefe aus Deutschland. Deutsche Ärztinnen hatten nach der Machtübernahme durch die Nazis ihre Stellen verloren und baten um Hilfe bei der Emigration, weil sie in Deutschland nicht mehr genehm und geduldet waren. Die MWIA schrieb Briefe an alle Nationalen Koordinatorinnen in den Mitgliedsländern und an Ärztevereinigungen in Asien und Afrika, um Stellen für die Emigrantinnen zu finden. Noch im selben Jahr wurde die MWIA Mitglied im „Committee of Assistance to Intellectual Refugees“ in Genf. Dadurch konnte die MWIA die Hilfe für geflüchtete Ärztinnen besser koordinieren und Arbeit und Studienmöglichkeiten finden. Eine „list of refugee doctors“ wurde angelegt und bis zur Auflösung des Büros der MWIA bei der Besetzung von Paris 1940 geführt (Dorothy Ward).

Was war 1933 mit dem BDÄ passiert? Das Mitteilungsblatt des BDÄ „Die Ärztin“ vom Juni 1933 berichtet von der sogenannten Gleichschaltung: Dr. Lea Thimm, NSDAP-Mitglied seit 1926, war vom nationalsozialistischen Reichskommissar mit der Leitung des BDÄ „beauftragt worden“. Jüdische Ärztinnen sowie Ärztinnen, die nicht der „Gleichschaltung“ folgten, mussten die BDÄ-Ortsgruppenleitungen abgeben, Namenslisten jüdischer Ärztinnen mussten angelegt werden.

Im Januar 1934 wird Lea Thimm auch auf einer Mitgliederversammlung des BDÄ zur Vorsitzenden gewählt. Auch später noch halten Kolleginnen diesen Kongress für das Ende des BDÄ. Noch im Jahr 1934 fahren Ärztinnen aus Deutschland als Delegierte nach Stockholm zum Internationalen Kongress des Weltärztinnenbundes. Sie legen die neue Satzung des BDÄ vor, die vorsieht, dass gewählte Vorsitzende des BDÄ durch die Nationalsozialisten bestätigt werden müssen und dass „Nichtarierinnen“ von der Mitgliedschaft im BDÄ ausgeschlossen sind. Diese Satzung steht im Widerspruch zur Satzung der MWIA, die politische und weltanschauliche Neutralität verkörpert. Die deutschen Ärztinnen werden aufgefordert, diese „gleichgeschaltete“ Satzung des BDÄ der Satzung der MWIA wieder anzupassen. Wegen der Inkompatibilität ruht bis dahin die Mitgliedschaft des BDÄ in der MWIA.

Die deutschen Ärztinnen können nicht weiter als Delegierte am Kongress in Stockholm teilnehmen, dürfen aber als Gäste bleiben. Die „MWIA hört nach dem Kongress nichts mehr vom BDÄ“ (Dorothy Ward). Um den verfolgten Ärztinnen weiterhin eine Zuflucht zu bieten, wird die Möglichkeit der Einzelmitgliedschaft im Weltärztinnenbund geschaffen.

Im Mitteilungsblatt des BDÄ „Die Ärztin“ von 1934 wird über den Kongress in Stockholm wie folgt berichtet: „Über den Willen des Bundes Deutscher Ärztinnen ... bestanden ... wie man aus allerhand Fragen entnehmen musste ... die unklarsten Vorstellungen ...“ Der Verlust des Delegiertenstatus wurde nicht einmal erwähnt. „Die Ärztin“ berichtet jedoch ausführlich über einen Beitrag der deutschen Vertreterin, Dr. Edith Lölhöffel von Löwensprung, zur Geburtenreglung des Dritten Reiches. Es folgen wörtliche Zitate aus „Die Ärztin“ von 1934: „Förderung der Fruchtbarkeit von Erbgesunden“, „Ausschaltung der Minderwertigen von der Fortpflanzung“, „Kleinhaltung von Familien der gesundheitlich nicht Vollwertigen“. Delegierte anderer Länder widersprechen dem entschieden.

Tatsächlich löst sich der BDÄ nicht 1934, sondern erst im Dezember 1936 auf, „Die Ärztin“ besteht danach als Zeitschrift der deutschen Ärztinnen weiter.

Bis 1937 erreichen 50 deutsche und österreichische sowie 50 tschechische Ärztinnen als Flüchtlinge England und können nach dem Bestehen der notwendigen Examina dort praktizieren. Viele Ärztinnen gelangen auch nach Schweden und können auch dort in ihrem Beruf arbeiten. Die Ärztinnenverbände in den Ankunftsländern unterstützen die zufluchtsuchenden Ärztinnen nach Kräften. England wird zum wichtigen Transitland in die USA, wo ebenfalls viele Emigrantinnen praktizieren können. Besonders in New York siedeln sich viele geflüchtete Ärztinnen an. In den Folgejahren kommen Ärztinnen aus den von den Nationalsozialisten neu besetzten Ländern als Flüchtlinge hinzu, es ist ein wahrer Domino-Effekt. Viele Ärztinnen, die nach der Ankunft im Ausland vorerst nicht im Beruf arbeiten können, werden bei der Suche nach anderen Aufgaben durch die MWIA unterstützt und in die Familien eingeladen.

„Die Ärztin“: Heft 1, 1937 mit Berichten vom Kongress der MWIA in Edinburgh
Obwohl der BDÄ bereits aufgelöst ist, wird im Juli 1937 Dr. Edith Lölhöffel, nun die Her­ausgeberin der Zeitschrift „Die Ärztin“, von der Reichsfrauenführerin als Gast
zum Kongress der MWIA nach Edinburgh „geschickt“. Das Thema des Kongresses ist „Krebs bei Frauen“. „Die Ärztin“ berichtet nach dem Kongress über zwei der Vorträge zur Krebstherapie aus England und Frankreich. Es scheint den Herausgeberinnen im Jahr 1937 langsam bewusst zu werden, dass internationale Isolation und Brain-Drain der Qualität des ärztlichen Handelns schaden.

Zweiter Weltkrieg

Der Internationale Kongress in Edinburgh sollte der letzte für neun Jahre sein. Der Weltärztinnenbund hatte genügend Rücklagen, um für die Kriegsjahre auf Beiträge verzichten zu können. Viele Ärztinnen aus Deutschland sind in den USA angekommen. Trotz des Krieges in Europa werden viele Verbindungen gehalten. Der Ärztinnenbund der USA (AMWA) sendet Geld zur Unterstützung von Flüchtlingen nach Europa. Sofort nach dem Weltkrieg werden auch deutsche Ärztinnen aktiv unterstützt, beispielsweise mit Care-Paketen.

Die Ärztinnenverbände in vielen besetzten Ländern wie Öster­reich, Belgien, der Tschechoslowakei, Dänemark, Finnland, Frankreich, Holland, Norwegen und Polen werden aufgelöst. Manche Verbände wirken aktiv im Untergrund weiter und können, wie der Tschechische Ärztinnenbund, viele Menschen retten. Der Niederländische Ärztinnenbund gründet sich, kann jedoch erst 1945 offiziell in die MWIA aufgenommen werden, da während des Krieges die Kontakte abreißen. Kontakte zu halten wird zu einer der größten Herausforderungen während des Krieges, dennoch gelingt es der MWIA, viele Kolleginnen zu unterstützen.

Schweden nimmt Ärztinnen aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei, Norwegen und Dänemark auf. Die ange­kommenen Ärztinnen werden dort zu den lokalen Treffen eingeladen. Viele Ärztinnen in besetzten Ländern arbeiten im Widerstand. Ärztinnen im Widerstand werden verhaftet, getötet oder in Konzentrationslager gebracht. Eine Ärztin wurde als Gefangene leitende Gefangenenärztin in einem Konzentrationslager und konnte ihren Mitgefangenen helfen.

Das MWIA-Sekretariat in Paris muss 1940 schließen. Bis dahin wurden laufend Listen mit Namen von geflüchteten Ärztinnen geführt und die Generalsekretärin Dr. Montreuil-Strauss kontaktiert viele Länder, auch in Südostasien und in Afrika, die gewillt sind, Ärztinnen aufzunehmen.

Nachkriegszeit

Dr. Louisa Martindale hielt die MWIA als Präsidentin während des gesamtem Zweiten Weltkriegs von London aus am Leben, obwohl sie nur mit wenigen Ländern in Kontakt treten konnte. Ab 1944 erhielt die MWIA wieder Briefe aus befreiten Ländern, einschließlich China und Russland. Die MWIA nimmt nach und nach von sich aus wieder Kontakt mit ihren Mitgliedsländern auf. Aus Briefen und bei ersten persönlichen Treffen erfährt die MWIA von der unermüdlichen Arbeit von Ärztinnen, aber auch von Gefangennahmen und Deportationen.

Sehr schnell wird der erste MWIA-Nachkriegskongress 1947 in Amsterdam organisiert. Das Thema lautet: „Responsibilities of Medical Women in the Reconstruction of the World.“ Prof. Charlotte Ruys aus den Niederlanden wird zur neuen Präsidentin gewählt. Zu diesem Zeitpunkt gehören 15 Länder der MWIA an. Auf diesem Kongress wird festgelegt, dass die Wiederaufnahme von Verbänden, die während des Krieges aufgelöst waren, nur nach Vorlage der jeweiligen Satzung möglich ist. Die Frage, wie die Beziehungen zu Deutschland weitergehen, wird vertagt.

In Deutschland trafen sich Ärztinnen während des Zweiten Weltkriegs informell, ab 1946 entstanden wieder örtliche Gruppen. Schon im Juni 1947 wendet sich die Kinderärztin Dr. Marianne Bruch aus Unna in französischer Sprache an die Präsidentin des Niederländischen Ärztinnenbundes, Dr. v. d. Blink-Rolder, und teilt ihr mit, dass sich in Deutschland wieder neue Ärztinnengruppen gründen. Marianne Bruch fragt, ob es möglich sei, wieder internationale Beziehungen aufzunehmen und macht deutlich, dass die deutschen Ärztinnen durchaus verstehen, dass sie sich jetzt – nach dem Hass des Krieges – von sich aus um einen dauerhaften Frieden bemühen müssen (Archiv Niederländischer Ärztinnenbund; VNVA). 1950 wurde auf dieser Basis der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) gegründet. Bis zur deutschen Wiedervereinigung hatte der Deutsche Ärztinnenbund „aus politischen Gründen“ (Dr. Ute Otten) nur Mitglieder aus der Bundesrepublik Deutschland.

1949 ist es erneut Dr. Esther Lovejoy, seit 1919 Chair des American Women's Hospital Service, die die deutschen Ärztinnen ermuntert, wieder einen Verband zu gründen und um die Wiederaufnahme in die MWIA zu bitten. Dänemark und Norwegen, die viele geflüchtete Ärztinnen aus Deutschland aufgenommen hatten, empfehlen, deutsche Kolleginnen zunächst als Einzelmitglieder aufzunehmen. Esther Lovejoy bringt die Präsidentin der MWIA, Prof. Charlotte Ruys, mit ihrem Vorstoß in eine prekäre Situation, denn Prof. Ruys war als Niederländerin unmittelbar mit den Verbrechen der deutschen Besatzer konfrontiert. Charlotte Ruys schreibt im Dezember 1949 einen sehr emotionalen Brief an Esther Lovejoy, in dem sie diese persönlich erlebten Gräuel­taten schildert und fügt hinzu: „We fought them because we had to do so to save our feeling of being a moral person. Those who were caught suffered for it, but they do not complain.” Sie fürchtet, für viele Kolleginnen aus früher besetzten Ländern könne die unerwartete Anwesenheit deutscher Ärztinnen beim nächsten Kongress in Philadelphia sehr belastend werden (Archiv VNVA).

Charlotte Ruys wünscht sich in Philadelphia zunächst eine Entscheidung der Generalversammlung, ehe über eine Wieder­eingliederung des Deutschen Ärztinnenbundes gesprochen werden könne. „Laden Sie also keine deutschen Kolleginnen ein, bevor diese Entscheidung gefallen ist“, schreibt sie. Es wird beschlossen, dass der Deutsche Ärztinnenbund das Genfer Gelöbnis des 1947 gegründeten Weltärztebundes (WMA) unterzeichnen soll.

„Der Weltärztebund wurde 1947 unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges zur Förderung der Zusammenarbeit seiner Mitgliedsverbände gegründet. Er definiert medizinethische Leitlinien und Standards für Ärztinnen und Ärzte …“ (Bundes­ärztekammer). „Es (das Genfer Gelöbnis) wurde 1948 auf der 2. Generalversammlung des Weltärztebundes unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges und der Gräueltaten unter Mitwirkung von Ärzten während der Naziherrschaft verfasst. Das Gelöbnis sollte helfen, das Vertrauen der Patienten in die Ärzteschaft wiederherzustellen.“ (Deutsches Ärzteblatt, 2017)

Wesentlichen Anteil an der Entscheidung über die Unterzeichnung des Genfer Gelöbnisses durch den Deutschen Ärztinnenbund hat Dr. Thorgunna Kuntze, eine Ärztin aus München und erste Schriftführerin des DÄB (mündliche Auskunft Jutta Buchin, Bibliothek Charité). Sie reist 1950 nach Amsterdam und besucht Charlotte Ruys. In ihren Erinnerungen schreibt Thorgunna Kuntze, dass daraus eine lebenslange Freundschaft entstanden ist.

1950 findet, unterstützt durch Eleanor Roosevelt, der Kongress der MWIA in Philadelphia statt. Es kommt zu „important discussions“ über den Antrag auf Wiederaufnahme des neu gegründeten DÄB, die neue Satzung wird als „satisfactory“ befunden. Thorgunna Kuntze hatte vorher bei dem Treffen mit Charlotte Ruys in Amsterdam erklärt: „Der DÄB ist gewillt, eine Verlautbarung zu unterzeichnen, die die barbarischen Experimente, die durch deutsche Ärzte unter dem Hitler-Regime durchgeführt wurden, verurteilt und dem Genfer Gelöbnis von 1948 des Weltärztebundes zuzustimmen.“ Es wurde vom Kongress vermerkt, „dass vergleichsweise wenige deutsche Ärztinnen (in die Verbrechen der Nazis) verwickelt waren“ (Dorothy Ward). Dr. Lovejoy plädiert für die Wiederaufnahme: „We should ... have sufficient confidence in ourselves that we can influence them more than they can influence us.”

Nach der Unterzeichnung des Genfer Gelöbnisses wurde der Deutsche Ärztinnenbund auf der Ratssitzung (council meeting) am 14. September 1952 in Vichy wieder in die MWIA aufgenommen.

In der Folgezeit haben deutsche Kolleginnen in der MWIA hohe Ämter, Dr. Helga Thieme wird Präsidentin und setzt sich sehr aktiv für die Aufnahme afrikanischer Verbände in die MWIA ein (mündliche Mitteilung Dr. Gertrud Zickgraf): Dr. Carolyn Motzel und Dr. Waltraud Diekhaus sind nacheinander Generalsekretärinnen und das Büro der MWIA ist lange Jahre in Köln und Dortmund.

Wendezeiten

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und nach der deutschen Wiedervereinigung sind Waltraud Diekhaus und Gertrud Zickgraf als General Secretary und Vizepräsidentin der MWIA aktiv. Sie bemühen sich mit großem persönlichem Einsatz – auch auf als abenteuerlich zu bezeichnenden Reisen – um die Gründung von Ärztinnenverbänden in den Ländern des ehemaligen Ostblocks und deren Aufnahme in die MWIA, unter anderem Russland und Georgien treten bei. Marie-Louise Fasshauer und Sigrun Muthmann-Hellwig unternehmen mit der DÄB-Gruppe Wuppertal mehrere Reisen nach Polen und Rumänien, Gegenbesuche finden statt. Auch der Polnische sowie der Rumänische Ärztinnenbund konnten sich erneut gründen, eine wesentliche Rolle spielte dabei die kürzlich verstorbene Ehrenpräsidentin des DÄB, Dr. Ute Otten.

Ein Kontakt zu Kolleginnen aus Belarus entstand. Während des Oderhochwassers 1997 haben die Kolleginnen aus Wupper­tal eine große Spendenaktion für überflutete Kliniken und Labore, deren Großgeräte in den Kellern zerstört worden waren, gestartet.

Gertrud Zickgraf schreibt heute: „In meiner Zeit als Vice President der MWIA Region Central Europe gab es Kontakte nach Polen (Breslau), Rumänien, Belarus, Ungarn und nach Moskau. Einzelne Kolleginnen aus diesen Ländern sind auf Einladung – und zum Teil auch finanziell unterstützt – zu DÄB-Kongressen gekommen. Ich war mit Waltraud Diekhaus, damals MWIA Secretary General, in Moskau (1999) und einmal als Vice President in Budapest, wo wir mehrere Kolleginnen getroffen haben und versucht haben, sie bei der Gründung von Ärztinnenverbänden zu unterstützen. Es erwies sich als nicht ganz einfach, die Prinzipien eines unabhängigen, selbstständigen Frauenverbandes zu verdeutlichen.“
Mitglieder des DÄB treffen die Präsidentin der MWIA 2022 in Frankfurt am Main: (v. l.) Dr. Renate Böhm (NC), Dr. Eva Hennel, Dr. Hildgund Berneburg, Dr. Madhumita Chatterjee, Dr. Gertrud Zickgraf (ehemalige Vizepräsidentin der MWIA), Dr. Sigrun Muthmann-Hellwig, Dr. Eleanor Nwadinobi (MWIA-Präsidentin), Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Hier und jetzt

Im Jahr 2022 wählt der Weltärztinnenbund auf dem Kongress in Taipeh Dr. Eleanor Nwadinobi zur Präsidentin und Dr. Mariam Jashi zur Generalsekretärin der MWIA. Der Weltärztinnenbund beschließt im gleichen Jahr seinen „Strategic Plan“ für die neue dreijährige Präsidentschaft von 2022 bis 2025. Darin heißt es: „Heute vertritt die MWIA mehr als 12.000 Ärztinnen aus 48 Ländern in 8 geografischen Regionen der Welt. Regionale Vizepräsidentinnen koordinieren die Arbeit von 37 angeschlossenen nationalen Verbänden und Einzelmitgliedern der MWIA in Nord-, Mittel- und Süd­europa, im Nahen Osten und in Afrika, in Zentralasien, in Nordamerika (Kanada und den USA), in Lateinamerika und im westlichen Pazifik.

Die MWIA erhielt bereits 1954 beratenden Status bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und 1987 beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC). Seit fast 70 Jahren wirkt der Verband an der Ausarbeitung wichtiger inter­nationaler Verträge und Resolutionen zum Schutz und zur Förderung der Gesundheit, des Wohlbefindens und der Rechte von Frauen und Mädchen mit.

Als Nichtregierungsorganisation mit beratendem Status trägt die MWIA regelmäßig zur Arbeit der UN-Kommission für die Gleichstellung der Frau (Commission on the Status of Women, CSW) bei, unter anderem mit der Erklärung für die CSW-Sitzung 2023 zum Thema ‚Empowerment of Women and Girls in the Digital Era‘. Derzeit beteiligt sich die MWIA an dem von der WHO geleiteten Konsultationsprozess zur Aushandlung und Ausarbeitung des neuen globalen Vertrags zur Pandemieprävention.“ (Übersetzt mit DeepL.com und Korrekturen RBO, MLF, SMH)

Schlusswort

Als Mitglied der MWIA nimmt der Deutsche Ärztinnenbund
Einfluss auf weltweite Entscheidungen in Belangen der Gesundheit von Frauen und Mädchen und auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Ärztinnen und Ärzten.