50. Todestag von Lucie Adelsberger: Emanzipierte Ärztin, Wissenschaftlerin und Auschwitzüberlebende
Lucie Adelsberger kam am 12. April 1895 in Nürnberg zur Welt. Von 1914 bis 1919 studierte sie Medizin in Erlangen. 1920 erhielt sie die Approbation und promovierte. 1921 zog sie nach Berlin und arbeitete zunächst als Assistenzärztin in verschiedenen (Kinder-)Krankenhäusern. 1925 eröffnete sie eine eigene Praxis als Internistin und Kinderärztin mit dem Schwerpunkt auf Allergien. 1927 stand sie auf der Liste des Groß-Berliner Ärztebundes für die Wahl in die Berliner Ärztekammer und wurde Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde. Als Mitglied im „Bund Deutscher Ärztinnen“ (heute DÄB) kämpfte sie für die Gleichstellung von Frauen in Medizin und Gesellschaft. Ihre Haltung vermittelte sie unter anderem im Kapitel „Die Frau als Ärztin“, das sie 1931 zu dem Buch „Die Kultur der Frau. Eine Lebenssymphonie der Frauen im XX. Jahrhundert“ beisteuerte.
Ab November 1927 arbeitete Lucie Adelsberger – zusätzlich zu ihrer Praxistätigkeit – am Robert Koch-Institut (RKI). Sie ge- hörte zu den wenigen Frauen, die dort während der Weimarer Republik für längere Zeit forschten. Mit dem Serologen Hans Munter wurde sie Mitarbeiterin in der neugegründeten Beobachtungsstelle für Überempfindlichkeitsreaktionen. Diese fruchtbare Zusammenarbeit endete wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten: Mit mindestens zehn weiteren jüdischen Mitarbeitenden mussten Adelsberger und Munter das RKI verlassen. Am 22. April 1933 wurde allen „nichtarischen“ Ärztinnen und Ärzten die Kassenzulassung
entzogen. Infolge der Gleichschaltung des Bunds Deutscher Ärztinnen im Mai 1933 trat Lucie Adelsberger aus der Vereinigung aus. Nachdem im Herbst 1938 allen jüdischen Ärztinnen und Ärzten die Approbation entzogen worden war, gehörte Adelsberger zu jenen, die sich als Krankenbehandler weiterhin um ihre jüdischen Patientinnen und Patienten kümmern durften. Ein Stellenangebot aus Harvard schlug sie aus, da sie ihre alte und kranke Mutter nicht im Stich lassen wollte.
Nach dem Tod ihrer Mutter wurde Lucie Adelsberger am 17. Mai 1943 mit dem 38. Osttransport nach Auschwitz deportiert. Sie musste unter dem Nazi-Arzt Josef Mengele im „Zigeuner- und Frauenlager“ von Birkenau als Häftlingsärztin arbeiten. Wegen der katastrophalen hygienischen Bedingungen erkrankte sie an Fleckfieber. Im Januar 1945 gehörte sie zu jenen, die bei der Auflösung des Lagers Auschwitz auf einen der Todesmärsche geschickt wurden. Sie erreichte das KZ Ravensbrück und wurde in dessen Außenlager Neustadt-Glewe am 2. Mai durch alliierte Soldaten befreit. Die darauffolgenden Monate verbrachte Lucie Adelsberger als „Staatenlose“ in Amsterdam. In dieser Zeit schrieb sie ihre Erinnerungen an Auschwitz nieder. Im Oktober 1946 emigrierte sie in die USA, wo sie sich in New York als Ärztin niederließ. Sie holte das amerikanische Medizinexamen nach und nahm die US-Staatsbürgerschaft an. Fortan arbeitete sie am Montefiore Medical Center in der Krebsforschung. Nebenbei behandelte sie Allergiepatienten in einer kleinen Praxis.
Im Alter von 76 Jahren starb Lucie Adelsberger an den Folgen einer Brustkrebserkrankung. Ihr 1956 erstmals auf Deutsch erschienenes Buch „Auschwitz – Ein Tatsachenbericht“ ist ein bedeutendes Zeugnis des Holocaust.
E-Mail: b.kuntz@rki.de
Der Artikel wurde zuerst in längerer Form in „Berliner Ärzte“ (jetzt: Berliner Ärzt:innen), Ausgabe 4/2020, S. 32-33, gedruckt.
Ab November 1927 arbeitete Lucie Adelsberger – zusätzlich zu ihrer Praxistätigkeit – am Robert Koch-Institut (RKI). Sie ge- hörte zu den wenigen Frauen, die dort während der Weimarer Republik für längere Zeit forschten. Mit dem Serologen Hans Munter wurde sie Mitarbeiterin in der neugegründeten Beobachtungsstelle für Überempfindlichkeitsreaktionen. Diese fruchtbare Zusammenarbeit endete wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten: Mit mindestens zehn weiteren jüdischen Mitarbeitenden mussten Adelsberger und Munter das RKI verlassen. Am 22. April 1933 wurde allen „nichtarischen“ Ärztinnen und Ärzten die Kassenzulassung
entzogen. Infolge der Gleichschaltung des Bunds Deutscher Ärztinnen im Mai 1933 trat Lucie Adelsberger aus der Vereinigung aus. Nachdem im Herbst 1938 allen jüdischen Ärztinnen und Ärzten die Approbation entzogen worden war, gehörte Adelsberger zu jenen, die sich als Krankenbehandler weiterhin um ihre jüdischen Patientinnen und Patienten kümmern durften. Ein Stellenangebot aus Harvard schlug sie aus, da sie ihre alte und kranke Mutter nicht im Stich lassen wollte.
Nach dem Tod ihrer Mutter wurde Lucie Adelsberger am 17. Mai 1943 mit dem 38. Osttransport nach Auschwitz deportiert. Sie musste unter dem Nazi-Arzt Josef Mengele im „Zigeuner- und Frauenlager“ von Birkenau als Häftlingsärztin arbeiten. Wegen der katastrophalen hygienischen Bedingungen erkrankte sie an Fleckfieber. Im Januar 1945 gehörte sie zu jenen, die bei der Auflösung des Lagers Auschwitz auf einen der Todesmärsche geschickt wurden. Sie erreichte das KZ Ravensbrück und wurde in dessen Außenlager Neustadt-Glewe am 2. Mai durch alliierte Soldaten befreit. Die darauffolgenden Monate verbrachte Lucie Adelsberger als „Staatenlose“ in Amsterdam. In dieser Zeit schrieb sie ihre Erinnerungen an Auschwitz nieder. Im Oktober 1946 emigrierte sie in die USA, wo sie sich in New York als Ärztin niederließ. Sie holte das amerikanische Medizinexamen nach und nahm die US-Staatsbürgerschaft an. Fortan arbeitete sie am Montefiore Medical Center in der Krebsforschung. Nebenbei behandelte sie Allergiepatienten in einer kleinen Praxis.
Im Alter von 76 Jahren starb Lucie Adelsberger an den Folgen einer Brustkrebserkrankung. Ihr 1956 erstmals auf Deutsch erschienenes Buch „Auschwitz – Ein Tatsachenbericht“ ist ein bedeutendes Zeugnis des Holocaust.
E-Mail: b.kuntz@rki.de
Der Artikel wurde zuerst in längerer Form in „Berliner Ärzte“ (jetzt: Berliner Ärzt:innen), Ausgabe 4/2020, S. 32-33, gedruckt.