Außensicht: Ausblick auf die Festvorträge

100 Jahre Interessenvertretung von Ärztinnen zeugen von wechselnden Themen und vielen Konstanten, von Einsatz, Erfolgen und einem immer­währenden, zähen Ringen um Verbesserungen. Sie bedingen Verantwortung für die Vergangenheit und für die Zukunft. Wie blickt die Wissenschaft auf den DÄB – die Medizin­geschichte und die Medizinethik? Welche Lehren und Vorschläge geben sie dem DÄB mit auf den Weg? Sie erfahren es bei den drei Vorträgen am Jubiläumstag, dem 25. Oktober 2024 in Berlin. Was Sie erwartet:

Zur Geschichte des DÄB: Entwicklung zur NS-Zeit und verfolgte Ärztinnen

Prof. Dr. Mag. theol. Sabine Schleiermacher, Charité – Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Berlin;
Vortrag beim Festakt


Foto: privat
Seit der Wende zum 20. Jahrhundert haben sich Frauen einen festen Platz in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung, der gesundheitlichen Aufklärung und Gesundheitsförde­rung erobert. Ihr Wunsch war es, die gesundheitliche Versorgung von Frauen und Mädchen zu verbessern und – durchaus noch orientiert an traditionellen Mustern – zu deren individuellem Wohlbefinden beizutragen.

Darüber hinaus wollten sie die herkömmliche Rolle des Arztes durch weibliche Tugenden ergänzen. Als Plattform und Selbstorganisation gründeten Ärztinnen am 25. Oktober 1924 den Bund Deutscher Ärztinnen. Um ihren Beruf überhaupt erst erlangen und dann ausüben zu können, mussten sich Ärztinnen gegen den Widerstand der medizinischen Fakultäten und organisierten Ärzteschaft durchsetzen. Die Konfrontation zwischen Ärzten und Ärztinnen war mit der Diskussion um die Kassenarztfrage, das heißt mit der Frage von Einkommensmöglichkeiten, verbunden, die im Kontext der verschiedenen politischen Systeme des letzten Jahrhunderts wiederholt geführt wurde. Zu den weiteren Themen des Bundes gehörten die Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge, die Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten und Alkoholismus sowie die Reform des § 218. Der Vortrag folgt der wechselvollen Geschichte des Deutschen Ärztinnenbundes, wobei insbesondere auf dessen Entwicklung und Selbstverständnis in der Zeit des Nationalsozialismus und das Schicksal verfolgter Ärztinnen eingegangen wird.

Mehr Frauen im ärztlichen Beruf: Desiderate der Geschlechtergerechtigkeit

Prof. Dr. med. Dr. phil. Eva Winkler, Heisenberg-Professorin für Translationale Medizinethik an der Universität Heidelberg, Geschäftsführende Direktorin NCT Heidelberg, Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer;
Vortrag beim Festakt


Foto: NCT Heidelberg/Philip Benjamin
Der Beitrag beleuchtet die zunehmende Bedeutung der Rolle von Ärztinnen für die moderne Medizin und richtet dabei einen besonderen Fokus auf professionsethische Fragen, die sprechende Medizin und Fragen der Geschlechtergerechtigkeit. In den letzten Jahrzehnten hat der Anteil der Frauen in der Medizin kontinuierlich zugenommen. Diese Entwicklung birgt ein großes Potenzial und wirft wichtige ethische Fragen mit Blick auf die Berufsausübung und das Berufsverständnis auf. Ärztinnen stärken oft eine Perspektive einer ganzheitlichen Sicht auf den Patienten und die Patientin.

Diese Aspekte sind von zentraler professionsethischer Bedeutung und spielen daher eine wichtige Rolle für die Zentrale Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer. Seit 1995 adressiert die ZEKO ethische Herausforderungen, insbe­sondere mit Blick auf das ärztliche Ethos. Zahlreiche Stellungnahmen wurden von der ZEKO zu ethischen Fragen veröffent­licht – beispielsweise zu „Advance Care Planning“ (2019), „Entscheidungsunterstützung ärztlicher Tätigkeit durch Künstliche Intelligenz (2021)“ oder zu „Ärztliche Verantwortung an den Grenzen der Sinnhaftigkeit medizinischer Maßnahmen. Zum Umgang mit ‚Futility‘“ (2022).

Im Ausblick betont der Beitrag die Notwendigkeit, die Standards weiterzuentwickeln, die den Herausforderungen und Bedürfnissen von Ärztinnen gerecht werden, und nimmt hierfür die notwendigen Desiderate der Geschlechtergerechtigkeit in den Blick – für Frauen in der medizinischen Versorgung und für Chancen- und Anerkennungsgleichheit in der Berufsausübung. Der Beitrag ruft dazu auf, die Rolle von Ärztinnen in der Medizin aktiv zu fördern, um eine integrative und patientenorientierte Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Pionierinnen: Zu Vorgeschichte und Ablauf des Gründungstreffens

Dr. PH Benjamin Kuntz, Gesundheitswissenschaftler und Medizinhistoriker, Leiter des Museums im Robert Koch-Institut in Berlin;
Abendvortrag


Foto: privat
Im Juli 1924 erschien die erste Ausgabe der „Vierteljahrsschrift des Bundes Deutscher Ärztinnen“ – herausgegeben von den Berliner Ärztinnen Hermine Heusler-Edenhuizen und Laura Turnau. Die Gründung der Medical Women’s International Association (MWIA) im Jahr 1919 war der Impuls, der zur Gründung des Vorläufers des heutigen DÄB geführt hatte, so Heusler-Edenhuizen in ihrem Vorwort zur Erstausgabe der Vierteljahrsschrift. In ihrem Gründungsaufruf wurden als Aufgaben des neu geschaffenen Bundes definiert: „1. Zusammenschluss der Ärztinnen Deutschlands, 2. Bearbeitung sozial-hygienischer Fragen vom Standpunkt der Ärztin als Frau, 3. Ausarbeitung von Vorschlägen für die sozial-hygienische Gesetzgebung des Reiches und der Länder von demselben Standpunkt aus, 4. Sorge für die nicht mehr arbeitsfähigen älteren Kolleginnen sowie Unterstützung der jungen Medizinerinnen in ihren Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten.“

Im Oktober 1924 trafen in Berlin rund 50 Ärztinnen aus ganz Deutschland zu einer konstituierenden Generalversammlung zusammen, weshalb auch der 25. Oktober 1924 heute offiziell als Gründungsdatum des DÄB gilt. Bei dieser Zusammenkunft wurden mit Franziska Tiburtius und Lydia Rabinowitsch-Kempner zwei herausragende Persönlichkeiten zu Ehrenmitgliedern ernannt. Das Amt der Gründungsvorsitzenden übernahm Heusler-Edenhuizen. In meinem Abendvortrag werde ich über die Vorgeschichte und den Ablauf des Gründungstreffens im Oktober 1924 berichten und zentrale Akteurinnen vorstellen.