Buchbesprechung
Wichtige Analyse, auch über frauenverachtende Strukturen hinter der Prostitution
Die Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Psychoanalyse, Traumapsychotherapie, Dr. med. Margot Kreuzer, nimmt uns in ihrem Buch mit auf eine gesellschaftsgeschichtliche Zeitreise durch die sexuellen Frauenrollen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Einer ihrer Praxisschwerpunkte sind sexuell traumatisierte Frauen. Die Autorin zeichnet das ambivalente Bild der Frau zwischen der „Heiligen“ – der idealen, asexuellen Ehefrau, die durch das Mutterideal gekennzeichnet ist – und der „Hure“ – der sexuell aktiven, quasi zügellosen Frau – ihrer geächteten Gegenspielerin.
Gut belegt und lebendig
Durch Studien gut belegt, lebendig und reich bebildert schildert sie die Entwicklung der Vorstellung von der „Idealfrau“ über die Jahrzehnte: Es geht um die Nachkriegs-Kameradin, die streng reglementierte Hausfrau der 1950er-Jahre, den Einfluss der sexuellen Revolution und der Frauenbewegung bis hin zur gegenwärtigen Situation von Frauen zwischen Selbstoptimierung, Neosexualität und Identitätssicherheit.
Margot Kreuzers kritischer Blick auf die aktuellen Bedingungen der Prostitution in Europa zeigt ein erschreckendes Bild: Seit Anfang der 2000er-Jahre findet sich ein eindeutiger Anstieg von sexueller Gewalt in Pornofilmen. Diese richtet sich fast ausschließlich gegen Frauen und beinhaltet in über 80 Prozent der Filme physische Aggression. Eine Folge davon ist eine Zunahme von körperlicher und sexueller Gewalt gegen Frauen in der Prostitution: Etwa die Hälfte der Prostituierten berichten von Vergewaltigungen, Depression und Drogengebrauch.
Prostitution geht einher mit körperlichen Krankheiten, etwa Unterleibsentzündungen, Infektionskrankheiten, Unfruchtbarkeit, Inkontinenz, chronischen Schmerzen oder akuten Verletzungen des Anal- und Genitalbereiches. Ebenso verbreitet sind psychische Erkrankungen wie Angst- und Panikstörungen, Depression, Suchterkrankungen, Schmerzsyndrome, PTBS, Suizidalität und dissoziative Störungen. Bei 70 Prozent haben Erfahrungen von sexuellem Missbrauch die Entscheidung zur Prostitution beeinflusst. Das durchschnittliche Sterbealter von Frauen in der Prostitution liegt bei 39 Jahren.
Die Gesetze, die seit 2001 vom deutschen Gesetzgeber er-
lassen wurden, änderten an diesen Bedingungen wenig: Hierzulande herrscht der liberalste Umgang in der EU mit Prostitution und Deutschland gilt als Bordell Europas. Die Autorin fragt: Wieso gilt hier noch immer „Sex ist ein Beruf wie jeder andere“ und „Es gibt keinen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, sondern nur migrantische Sexarbeiterinnen“? Ihr Befund: Dies ist das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit, die seit den 1970er-Jahren von verschiedenen Vereinen gesellschaftlich verankert wurde. Die Profiteure sind Freier, Zuhälter, Bordellbetreiber und Zimmervermieter (Tagesmiete bis 200 Euro pro Zimmer) – aber auch der Staat, da Prostitution seit 2002 steuerpflichtig ist.
Margot Kreuzer kommt zu dem Schluss, dass das System der Prostitution eine Menschenrechtsverletzung darstellt und die Gleichstellung der Geschlechter verhindert. Sie plädiert für das Nordische Modell, in dem Prostitution nicht verboten ist, es aber ein Sexkaufverbot für Freier gibt und Zuhälterei und Bordellbetrieb verboten sind. Bis 2018 haben sich bereits sieben Länder diesem Modell angeschlossen. Wesentlich für einen anderen Umgang mit Prostitution ist nicht nur die Entkriminalisierung der Frauen in der Prostitution und die Kriminalisierung der Freier und Zuhälter. Genauso entscheidend ist ein gesellschaftlicher Wandel hin zu einer antisexistischen Erziehung, die schon im Kindergarten anfängt, und mit gezielter Aufklärung der Bevölkerung. Die betroffenen Frauen erhalten Ausstiegshilfe (Wohnungssuche, Umschulungen, Ausbildung) und kostenlose Gesundheitsbehandlung.
Margot D. Kreuzer: „Heilige und Hure – die beiden Seiten weiblicher Sexualität“, BoD – Books on Demand, ISBN: 978-3-7597-9853-4
E-Mail: wiesbaden-mainz@aerztinnenbund.de
Gut belegt und lebendig
Durch Studien gut belegt, lebendig und reich bebildert schildert sie die Entwicklung der Vorstellung von der „Idealfrau“ über die Jahrzehnte: Es geht um die Nachkriegs-Kameradin, die streng reglementierte Hausfrau der 1950er-Jahre, den Einfluss der sexuellen Revolution und der Frauenbewegung bis hin zur gegenwärtigen Situation von Frauen zwischen Selbstoptimierung, Neosexualität und Identitätssicherheit.
Margot Kreuzers kritischer Blick auf die aktuellen Bedingungen der Prostitution in Europa zeigt ein erschreckendes Bild: Seit Anfang der 2000er-Jahre findet sich ein eindeutiger Anstieg von sexueller Gewalt in Pornofilmen. Diese richtet sich fast ausschließlich gegen Frauen und beinhaltet in über 80 Prozent der Filme physische Aggression. Eine Folge davon ist eine Zunahme von körperlicher und sexueller Gewalt gegen Frauen in der Prostitution: Etwa die Hälfte der Prostituierten berichten von Vergewaltigungen, Depression und Drogengebrauch.
Prostitution geht einher mit körperlichen Krankheiten, etwa Unterleibsentzündungen, Infektionskrankheiten, Unfruchtbarkeit, Inkontinenz, chronischen Schmerzen oder akuten Verletzungen des Anal- und Genitalbereiches. Ebenso verbreitet sind psychische Erkrankungen wie Angst- und Panikstörungen, Depression, Suchterkrankungen, Schmerzsyndrome, PTBS, Suizidalität und dissoziative Störungen. Bei 70 Prozent haben Erfahrungen von sexuellem Missbrauch die Entscheidung zur Prostitution beeinflusst. Das durchschnittliche Sterbealter von Frauen in der Prostitution liegt bei 39 Jahren.
Die Gesetze, die seit 2001 vom deutschen Gesetzgeber er-
lassen wurden, änderten an diesen Bedingungen wenig: Hierzulande herrscht der liberalste Umgang in der EU mit Prostitution und Deutschland gilt als Bordell Europas. Die Autorin fragt: Wieso gilt hier noch immer „Sex ist ein Beruf wie jeder andere“ und „Es gibt keinen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, sondern nur migrantische Sexarbeiterinnen“? Ihr Befund: Dies ist das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit, die seit den 1970er-Jahren von verschiedenen Vereinen gesellschaftlich verankert wurde. Die Profiteure sind Freier, Zuhälter, Bordellbetreiber und Zimmervermieter (Tagesmiete bis 200 Euro pro Zimmer) – aber auch der Staat, da Prostitution seit 2002 steuerpflichtig ist.
Margot Kreuzer kommt zu dem Schluss, dass das System der Prostitution eine Menschenrechtsverletzung darstellt und die Gleichstellung der Geschlechter verhindert. Sie plädiert für das Nordische Modell, in dem Prostitution nicht verboten ist, es aber ein Sexkaufverbot für Freier gibt und Zuhälterei und Bordellbetrieb verboten sind. Bis 2018 haben sich bereits sieben Länder diesem Modell angeschlossen. Wesentlich für einen anderen Umgang mit Prostitution ist nicht nur die Entkriminalisierung der Frauen in der Prostitution und die Kriminalisierung der Freier und Zuhälter. Genauso entscheidend ist ein gesellschaftlicher Wandel hin zu einer antisexistischen Erziehung, die schon im Kindergarten anfängt, und mit gezielter Aufklärung der Bevölkerung. Die betroffenen Frauen erhalten Ausstiegshilfe (Wohnungssuche, Umschulungen, Ausbildung) und kostenlose Gesundheitsbehandlung.
Margot D. Kreuzer: „Heilige und Hure – die beiden Seiten weiblicher Sexualität“, BoD – Books on Demand, ISBN: 978-3-7597-9853-4
E-Mail: wiesbaden-mainz@aerztinnenbund.de