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Chirurgie: Es zählt die Faszination für das Fach

Die Autorin wurde 2001 als erste Frau in Deutschland auf einen Lehrstuhl der Chirurgie berufen und blickt seit 40 Jahren immer wieder auch kritisch auf ihr Fachgebiet. Hier beantwortet sie die Frage, an welchen Kriterien junge Ärztinnen ihren beruflichen Werdegang ausrichten sollten.

Die Chirurgie war für mich vom Beginn meines Studiums an das Fachgebiet, dass mich am meisten fasziniert hatte und diese Begeisterung blieb bis zum Ende meiner Berufstätigkeit erhalten, auch wenn sich in den letzten 40 Jahren auf verschiedenen Ebenen weitreichende Veränderungen er- geben haben. Während 1980, zu Beginn meiner Berufslaufbahn, die Strukturen, Anforderungen und Möglichkeiten einer Tätigkeit in der Chirurgie relativ klaren Spielregeln zu gehorchen schienen, ergeben sich aktuell für junge Kolleginnen und Kollegen zahlreiche offene Fragen.

Anforderungen im Umbruch

Diese betreffen beispielsweise die strukturelle Entwicklung des Gesundheitssystems in Bezug darauf, wie viel stationäre oder ambulante Versorgung es zukünftig geben soll. Offen ist auch, wie sich die Entwicklung neuer Operationstechniken auswirkt, etwa roboter-assistierter Verfahren. Und auch die zunehmende Subspezialisierung innerhalb der Viszeralchirurgie – der hepato-biliären- pankreatischen Chirurgie, der kolorektalen Chirurgie, der endokrinen Chirurgie und der Transplantationschirurgie – mit der Zentralisierung von hoch spezialisierten Leistungen spielt eine Rolle.

Berufseinsteigerinnen beschäftigen auch häufig Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf- und Familie oder die Möglichkeiten einer angestellten Tätigkeit im Krankenhaus oder einer Praxis im Vergleich zur Freiberuflichkeit. Hinzu kommt: Am Anfang der Laufbahn ist eine konkrete Entscheidung für den langfristigen Weg, für die gezielte Karriereplanung, meist noch nicht möglich: Faktoren wie die eigene Belastbarkeit, das individuelle chirurgische Talent, die Förderung während der Weiterbildungszeit oder die Arbeitsatmosphäre im Team lassen sich kaum vorhersehen.

Viele Möglichkeiten


Bei aller Unwägbarkeit: Das alles sind keine Gründe, die einen verunsichern und eventuell davon abhalten sollten, seine Weiterbildung in der Chirurgie zu absolvieren. Ein Vorteil der Chirurgie: Sie ist ein großes Fachgebiet mit vielen Facetten und Spezialisierungsmöglichkeiten. Entscheidend für die Berufswahl nach Abschluss des Studiums ist meines Erachtens allein die Faszination für das jeweilige Fachgebiet. Ohne Faszination und Begeisterung lässt sich in keinem Beruf die Motivation und die Kraft aufbringen, die man für eine, oft anstrengende, Tätigkeit langfristig braucht. Es sind die Identifikation mit dem jeweiligen Fachgebiet und die Freude an dem Beruf, die bei den meisten Kolleginnen und Kollegen den Ausschlag geben, immer wieder nach neuen Herausforderungen Ausschau zu halten, aus denen sich die nächsten Entwicklungsschritte ergeben. Aus diesem Grund halte ich es für sehr wichtig, dass bei der Entscheidung für eine Weiterbildung die Begeisterung für das jeweilige Fach ausschlaggebend ist und nicht der vermeintlich gute Rat von Partnern oder Freunden.

Bedingungen werden besser

Die Frage „Beruf oder Familie“ sollte einen gar nicht belasten. Meines Erachtens ist immer ein „Beruf und Familie“ möglich. Vor dem Hintergrund des Mangels an chirurgischem Nachwuchs sind auch in der nach wie vor von Männern dominierten Chirurgie sowohl leitende Ärzte als auch Arbeitgeber bereit, Arbeitszeitmodelle einzuführen, die eine Aufgaben­erfüllung im familiären Umfeld ermög­lichen. „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: Chirurgin“ lautete schon 2008 der Slo­gan einer Kampagne des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen. Diesen Aufruf, sich für eine Weiterbildung in der Chirurgie zu entscheiden, kann ich uneingeschränkt unterstützen.

Prof. Dr. med. Doris Henne-Bruns war bis 2020 Ärztliche Direktorin der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Ulm und die erste C4-Professorin für Chirurgie in Deutschland. Wichtig war für sie immer die gute Zusammenarbeit in einem Team, in dem man offen, ehrlich und vertrauensvoll miteinander umgeht und Probleme gemeinsam löst.

E-Mail: doris.henne-bruns@uni-ulm.de