Foto: TUM

„Das öffentliche Interesse für Wissenschaft und gerade für Neuerungen ist deutlich gewachsen“

Die Corona-Pandemie hat Ihre Arbeit und Sie selbst in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Was hat sich für Ihre Arbeitsgruppe verändert?

Wir haben für die Forschung zu SARS-CoV-2 ein neues Gebiet aufgemacht. Dabei kam uns zugute, dass wir aus der ersten SARS-Pandemie über die Genehmigungen zur Arbeit mit Risikomaterial verfügten. Zudem zählt die Virus-Dia­gnostik für die beiden Universitätsklinika der Technischen Universität München, dem Klinikum rechts der Isar und dem Deutschen Herzzentrum zu unseren Standard-Aufgaben. Anfangs hatten wir mit Engpässen in der Infrastruktur zu kämpfen. Es fehlten Mitarbeitende, Räume und Geräte. Inzwischen haben wir das Personal bei den Wissenschaftler:innen und technischen Assistent:innen um 50 Prozent aufgestockt. In der Verwaltung arbeiten wir noch viel mit Aushilfen.

Sie selbst beraten außerdem die bayerische Staatsregierung zu Corona und sind eine gefragte Expertin für die Medien. Wie gehen Sie damit um?

Ich äußere öffentlich keine persönliche Meinung. Ich beantworte Fachfragen und gebe Einschätzungen, die sich wissenschaftlich gut begründen lassen. Außerdem gehe ich nicht in Talk-Runden. Dieses Fernsehformat ist aufgrund seines Konzepts ungeeignet, um Wissenschaft zu erklären. Was die Politikberatung anbelangt: Als ich gebeten wurde, das Expertengremium zu leiten, habe ich klargemacht, dass es zwangsläufig zu Meinungsverschiedenheiten kommt, wenn verschiedene Blickwinkel aufeinandertreffen. Ich vertrete die Wissenschaft und nichts anderes. Das hat Minister­präsident Markus Söder akzeptiert.

Mehrere Wissenschaftlerinnen, die jetzt in den Medien präsent sind, erhalten Drohungen von Leuten, die Corona leug- nen oder frauenfeindlich hetzen.

Da kommt es mir wohl zugute, dass ich selbst keine Social Media-Profile habe. So halte ich das wahre Ausmaß solcher Anfeindungen von mir fern. Aber natürlich bekomme auch ich einige unschöne Mails. Bisher kam ich damit zurecht, sie einfach wegzuklicken.

Einige Forscher:innen äußern sich nicht öffentlich. Sie fürchten, ihre Aussagen würden verkürzt und falsch dargestellt. Das schade der Karriere.

Im Lauf einer akademischen Karriere sammelt man ja einiges an didaktischer Erfahrung. Damit sollte es einem gelingen, Wissenschaft verständlich und knapp zu vermitteln, ohne die Komplexität zu unterschlagen. Das öffentliche Interesse an Wissenschaft ist durch die Corona-Pandemie gewachsen. Erfreulicherweise möchten die Menschen jetzt auch mehr über Neuerungen in der Forschung wissen. Das kannte ich bislang vor allem aus den USA. Dieses Informa­tionsbedürfnis zu stillen, ehrlich und se­riös aufzuklären, erachte ich durchaus als Aufgabe von Wissenschaftler:innen.

Für wie wichtig halten Sie es, dass gerade Frauen in den Medien als Expertinnen für Wissenschaft auftreten?

Ich glaube, dass es schon eine Vorbildfunktion für Mädchen und junge Frauen hat, wenn Wissenschaftlerinnen vor die Kamera treten. Doch damit ist es nicht getan. Wir müssen die Frauen auch in der Wissenschaft halten. Dafür müssen wir ihnen Wege aufzeigen, wie sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. An meinem Institut ist mit aufgefallen, dass jetzt neben den Naturwissenschaftler:innen mehr Ärztinnen hier arbeiten möchten. Vielleicht entdecken diese Frauen gerade Chancen außerhalb der für sie sonst gängigen Fachgebiete.

Interview: Alexandra von Knobloch

Prof. Dr. med. Ulrike Protzer hat den Lehrstuhl für Virologie an der Technischen Universität München (TUM) inne und ist Direktorin des Instituts für Virologie an der TUM und am Helmholtz Zentrum München. Eigentlich liegt ihr Schwerpunkt beim Hepatitis-B-Virus. Seit Beginn der COVID-19-Krise beschäftigt sie sich intensiv mit dem neuen SARS-Coronavirus und berät die bayerische Landesregierung als Leiterin des Corona-Expertengremiums.

E- Mail: protzer@tum.de