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Editorial

Liebe Kolleginnen,

welches Thema kommt diesmal zuerst?

Mittlerweile empfinden wir ein Überangebot an Online-Konferenzen und -Semi­naren. Sind wir onlinemüde? Und welcher Verein, welche Gruppe hat sich noch nicht zum Beispiel über die pandemiebedingte Zu­rücksetzung von Frauen geäußert? Haben wir das inzwischen oft genug gehört? Wie uns überhaupt die immer neuen Fakten zur Pandemie, täglich von den Medien vorgesetzt, allmählich langweilen und/oder ermüden? Trotzdem bleibt die Pandemie wichtig, und wir sollten nicht nachlassen, andere Entwicklungen anzumahnen, etwa bei der Re-Traditionalisierung von Rollenmustern, die bereits im Gang ist (Seite 16).

Immerhin werden aber die Aluhüte nicht mehr so häufig aufgesetzt. Viele Querdenker und Querdenkerinnen (die gibt es leider auch) sind offenbar dazu überge­gangen, wieder den eigenen Verstand zu gebrauchen. Interessant ist, wie sich eine Bevölkerung überhaupt in Pandemiezeiten benimmt: Heinrich Heine hat dazu ein kleines, lesenswertes Buch geschrieben: „Ich rede von der Cholera.“ Es ist ein Bericht aus Paris von 1832. Die Parallelen zum Heute und Jetzt sind frappierend: Verschwörungstheorien, Schuldzuweisungen. Sogar Lynchmorde gab es damals in Paris. Eine Pandemie weckt menschliche Urängste, egal in welcher Zeit. Dagegen hilft auch die rationale Wissenschaft nicht. Selbst wenn sie in einem atemberaubenden Tempo effektive Impfstoffe entwickelt hat. Eigentlich wunder­bar. Und es hat Leben gerettet, vielleicht sogar das eigene.

Zwei Defizite von vielen in der Gesundheitsversorgung wurden durch die Pandemie besonders augenfällig: Erstens wurde klar, wie schlecht Deutschland in Sachen Public Health aufgestellt ist. Das RKI reicht nicht bei schlecht besetzten Gesundheitsämtern und schlecht bezahlten Amtsärzt:innen. Der öffentliche Ge- sundheitsdienst ist beschämend mangelhaft ausgestattet.

Zweitens wurde deutlich (und das sollte man durchaus positiv sehen!), welche enormen Geschlechts- und Altersunter­schiede bei Infektionen, Krankheitsverläufen, Impferfolgen und so weiter es gab und künftig geben wird. Damit haben wir Kenntnisse erhalten, die zu Impulsen einer differenzierteren klinischen Forschung in Bezug auf Gendermedizin und Altersmedizin führen sollten. Leider sind diese Themen in den Medien nur sporadisch aufgegriffen worden. Liegt es (auch) daran, dass meist nur jüngere männliche Experten zu Worte kamen?

Das wäre nicht verwunderlich, denn bei der Besetzung der Lehrstühle in der Virologie und Immunologie überwiegen die Männer mit mehr als 80 Prozent. Es ist an der Zeit, unsere Studie von 2019 (Medical Women on Top-Update) für 2022/2023 zu aktualisieren, um die Ergebnisse erneut zu veröffentlichen!

Nur die wiederholte Wiederholung führt ja bekanntlich zum Erfolg, der darin bestünde, die Politik erneut für die Medizin und die geringe Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen zu sensibilisieren: Es kann nicht immer nur um das Fehlen von Frauen in Aufsichtsräten und DAX-Vorständen gehen, so wegweisend die Bundestagsbeschlüsse dazu auch sind! Es gibt für die Medizin viel zu tun. Ergreifen wir doch weiterhin die Initiative und kommen weiter auf dem Weg zu Gleichberechtigung und Parität – und weg von dem zu oft geäußerten Konjunktiv (man sollte, müsste, könnte)!

Mit kollegialen Grüßen

Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk,

Vizepräsidentin des DÄB