Foto: LÄK Thüringen

„Es bräuchte eine 50-Prozent-Männerquote“

Als Vizepräsidentin der Bundesärztekammer haben Sie eine gesamtdeutsche Perspektive: Wie steht es um die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten von Ärztinnen in Ost und West?

Inzwischen sind die Chancen, als Ärztin zeitgemäße Konzepte für Beruf und Familie zu verwirklichen, bundesweit gleich und gut. Die gesetzlichen Regelungen ermöglichen zum Beispiel eine Niederlassung mit mehreren Kolleginnen (siehe auch S. 7; Zahnärztinnen). Das bietet Gestaltungsfreiraum. Natürlich braucht es dafür viel Selbstorganisation – etwas, das die meisten jungen Frauen hervorragend beherrschen. Mein Eindruck ist aber, dass jungen Ärztinnen von älteren Männern immer noch eingeredet wird, dass für Frauen in der Medizin alles schwieriger sei. So haben wir ihnen den Mut genommen. Ich sehe die Aufgabe von Gremien auch darin, ihnen zu sagen: Es geht. Unter anderem bieten wir Get-Togethers an, um mögliche Praxispartner*innen miteinander in Kontakt zu bringen.

Sind die Startbedingungen in Ost und West wirklich gleich?

Es heißt ja immer, in den neuen Bundesländern seien die Möglichkeiten der Kinderbetreuung viel besser als im Westen. Eine hohe Zahl an Plätzen allein reicht aber nicht. Es kommt auf Öffnungszeiten, räumliche Nähe und Flexibilität der Einrichtungen an. Da haben wir im Osten nach der Wende einiges eingebüßt, unter anderem, weil die Umstrukturierung fast durchweg von Westkräften, meist Männern, vorgenommen wurde. Weitere infrastrukturelle Probleme haben auch weniger mit dem Bundesland zu tun als mit der Frage nach städtischem oder ländlichem Raum. Akademiker*innen haben heute ganz überwiegend Akademiker*innen als Partner. Für beide muss ein Arbeitsplatz vorhanden sein, sonst ist eine Region schnell unattraktiv. Da sind die Ansprüche von Ärzt*innen wie bei allen anderen Berufsgruppen auch. Daher sehen wir zum Beispiel, dass viele Leute aus dem Westen hier Medizin studieren und dann wieder weggehen.

Nehmen Sie persönlich noch Ost-West-Unterschiede wahr?

Gelegentlich wird mir noch gesagt: „Du kommst aus der DDR, darum verstehst du das hier gerade nicht.“ Immerhin habe ich meine Hauptlebensarbeitszeit – 30 Jahre – in der Bundesrepublik gearbeitet. Viel auffälliger ist für mich aber tatsächlich das Frauenbild – nicht nur in der Medizin –, mit dem ich mich überall konfrontiert sehe. In der DDR hatte ich nie das Bedürfnis von Ärztinnen und Ärzten zu sprechen. Das Geschlecht war unwichtig. Hier merke ich, dass es keine Tradition für Frauen in öffentlichen Positionen gibt. Wenn ich als Vizepräsidentin irgendwo hinkomme, muss ich mich erst einmal bemerkbar machen. Da werden Männer erwartet.

Fällt Ihnen noch etwas auf?

Es ist sichtbar, dass Frauen bei ihrer Karriere durch die Elternschaft Zeit verlieren. In den Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung und Verbänden bin ich fast ausschließlich von Männern umgeben. Selbst in der sogenannten zweiten Reihe sehe ich kaum Frauen. Wenn Frauen überhaupt den Mut aufbringen, sich für ein Amt zu bewerben, sind sie meist älter als ihre männlichen Kollegen.

Was wäre Ihrer Meinung nach zu tun?

Ich verfechte die 50-Prozent-Männerquote. Das ist bewusst so formuliert. Wir müssen an unserem eigenen Frauenbild arbeiten. Zum Beispiel fi nde ich Begriffe wie „Feminisierung des Arztberufs“ ganz schrecklich. Das klingt so, als würden Frauen etwas untergraben und an sich reißen, das ursprünglich männlich war. Eine Sichtweise, die es eigentlich 101 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland nicht mehr geben sollte. Jede und jeder sollte sein Lebensmodell selbst wählen. Damit das gelingt, müssen die Ausgangsbedingungen aber wirklich gleich sein. Das haben wir noch nicht erreicht.

Interview: Alexandra von Knobloch

Dr. med. Ellen Lundershausen ist Vizepräsidentin der Bundes­ärztekammer, Präsidentin der Landesärztekammer Thüringen und Fachärztin für Hals­-Nasen-­Ohrenheilkunde mit Gemein­schaftspraxis in Erfurt.

E-Mail: d.koehler@laek-thueringen.de