Foto: © Charité Berlin
Foto: privat

Franziska Tiburtius: Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Ärztinnen seit 1924

62 Damen sind auf dem Foto oben zu sehen, das wohl am Abend des 27. Oktober 1924 im Berliner Lyceum-Club aufgenommen wurde. Der Bund Deutscher Ärztinnen war am Tag zuvor gegründet worden; zur ersten Vorsitzenden hatte man Hermine Heusler-Edenhuizen (1872–1955) gewählt, die fast in Bildmitte stehend in der dritten Reihe gut zu erkennen ist. Auf dem Foto sind auch die beiden ersten Ehrenmitglieder zu sehen – vom Betrachter links außen in der ersten Reihe sitzend die Bakteriologin Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871–1935) und in der Mitte die damals 81-jährige Franziska
Tiburtius (1843–1927).

Über sie heißt es im Bericht über die Gründungsversammlung: „Wie sie schon am Begrüßungsabend und an einem Teil der Verhandlungen regen Anteil genommen, so trug sie an diesem Abschiedsabend besonders zur Unterhaltung bei, indem sie noch Ungedrucktes aus ihren Lebenserinnerungen vorlas, schlicht aber desto eindrucksvoller und mit köstlichem Humor. Wir dürfen es gewiß als ein günstiges Omen für unseren neuen Bund ansehen, daß unsere tapfere Vorkämpferin und Bahnbrecherin mit an seiner Wiege gestanden hat.“

Die erste Auflage „Erinnerungen einer Achtzigjährigen“ waren ein Jahr zuvor erschienen. In dem Buch erzählt Franziska Tiburtius bescheiden, teils anekdotisch, teils distanziert berichtend über einzelne Stationen ihres bewegten Lebens, das sie von ihrem kleinen Geburtsort Bisdamitz auf der Insel Rügen über Stralsund, London, Zürich und Dresden schließlich nach Berlin führte.

Ärztin durfte sie sich nicht nennen

Nachdem sie von 1860 bis 1870 als Erzieherin und Lehrerin in Vorpommern und Südengland gearbeitet hatte, entschloss sie sich, motiviert von ihrem Bruder, der selbst Arzt war, und ihrer späteren Schwägerin Henriette Hirschfeld-Tiburtius (1834–1911), der ersten deutschen Zahnärztin, zu einem Berufswechsel: Ab 1871 studierte sie – notgedrungen als eine der Ersten in Zürich, da dies für Frauen in Deutschland erst knapp 20 Jahre später möglich war – fünf Jahre Medizin und kehrte nach Deutschland mit dem „Dr. med.“ zurück. Als sie sich im Herbst 1876 in Berlin niederließ, waren sie und ihre Studien- und Arbeitskollegin Emilie Lehmus (1841–1932) die ersten Ärztinnen in Deutschland, die sich jedoch nicht als solche bezeichnen durften. In Berlin wurde ihnen zwar gemäß dem Gesetz über Gewerbefreiheit erlaubt zu praktizieren, sie waren gesetzlich aber Kurpfuschern gleichgestellt.

Finanziert über Spenden

Gedenktafel: Für Emilie Lehmus und Franziska Tiburtius an der Hauswand Alte Schönhauser Straße, Berlin
Foto: © M. David
Die finanziellen Schwierigkeiten der ersten Praxisjahre konnten Tiburtius und Lehmus allerdings nur durch Spenden einzelner Mitglieder, später von Vereinen der bürgerlichen Frauenbewegung überstehen. Als Franziska Tiburtius und Emilie Lehmus im Juni 1877 die „Poliklinik weiblicher Ärzte für Frauen und Kinder“ in einer Hinterhofwohnung in der Alten Schönhauser Straße in einem Berliner Arbeiterbezirk aufmachten, „gab es in Deutschland weder Invaliden- noch Krankenversicherung, aber viele arme Frauen, deren Leiden in Mangel an häuslicher Pflege und in allgemeiner Invalidität ihre Ursache hatten. Das sich den beiden Ärztinnen aufdrängende Bedürfnis, auch hier helfend einzugreifen, führte 1878 zur Gründung einer kleinen Pflegestation im Dachgeschoß des von Franziska Tiburtius bewohnten Hauses in der Friedrichstraße.“ Über ihren Alltag schreibt Franziska Tiburtius in ihren Lebenserinnerungen: „Es war im Ganzen und Großen der gewöhnliche Tagesablauf des vielbeschäftigten Arztes, mit seinen Leiden und Freuden, Ängsten und Nöten, schlaflosen Nächten voll sorgender Gedanken, dem Druck der Verantwortung und den Momenten hoher Befriedigung, wie es nur Berufsgenossen verstehen ..." 1913 fasste sie in einem Artikel zusammen, was das Publikum von Ärztinnen und Ärzten erwartet: „Tüchtigkeit im Berufe“; „die Fähigkeit, die eigne Persönlichkeit ganz hinten an zu stellen“ und „eine gewisse Suggestivkraft der Persönlichkeit“. Franziska Tiburtius war 31 Jahre lang in Berlin ärztlich tätig. 1907 beendete sie ihre Berufstätigkeit, blieb aber in Vereinen und in der Wohlfahrtspflege aktiv.

Vorkämpferin für Gleichberechtigung

Diese knappe Lebensdarstellung kann nur sehr ungenügend wiedergeben, gegen welche Vorurteile, Widerstände und Anfeindungen der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere aber der männlichen Ärzte, sich diese Ärztinnen der ersten Generation durchsetzen mussten. Auch wenn ihre junge Kollegin Agnes Bluhm (1862–1943) schreibt, dass Franziska Tiburtius „nichts weniger als Frauenrechtlerin“ war, so würde sie wohl diese Passage in einem Nachruf auf sie nicht stören: „Am 5. Mai 1927 starb in Berlin Frau Dr. med. Franziska Tiburtius, die erste deutsche Ärztin. Wenn zukünftige Historiker einmal die Geschichte der Frauenemanzipation schreiben, werden sie an dieser Frau kaum vorübergehen können, denn auch sie gehört zu den Vorkämpferinnen der Frauen für die Gleichberechtigung mit den Männern, […] insbesondere für die Erschließung des Ärzteberufes für das weibliche Geschlecht.“

Prof. Dr. med. Matthias David ist Geschäftsf. Oberarzt an der Klinik für Gynäkologie der Charité, Campus Virchow-Klinikum in Berlin. Er publiziert zu Migration, Myomen und Medizingeschichte. Dr. PH Benjamin Kuntz ist Gesundheitswissenschaftler und Medizinhistoriker. Er leitet das Museum im Robert Koch-Institut in Berlin.

E-Mail: matthias.david@charite.de
E-Mail: b.kuntz@rki.de
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