Foto: privat
Foto: privat

Frauenpower in der Notfallmedizin: Gemeinsam Hindernisse überwinden

Die Notfallmedizin wird in großen Teilen von hoch engagierten Ärztinnen und weiblichen Pflegekräften gestaltet. Medizinisch sehr gut ausgebildet, stehen wir als Frauen jedoch oft vor anderen und ganz eigenen Herausforderungen.

Beispielsweise ist es so, dass bei Konferenzen oft unter 20 Prozent der Vorsitze und bei Zeitschriften unter fünf Prozent der Herausgeber:innen weiblich sind (doi.org/10.1007/s10049-020-00687-7). Neben den üblichen Ursachen – etwa, dass sich im „old boys club“ die bestehenden Netzwerke eher selber begünstigen – steht häufiger das Argument im Raum: Frauen wurden gefragt, haben aber abgesagt. Fragt man genauer nach, sind die Hintergründe oft: „Ich denke, von diesem Thema haben andere noch mehr Ahnung.“ Oder schlicht und einfach: „Ich weiß nicht, wer meine Kinder dann versorgen kann!“ Dr. med. Sylvia Schacher, Chefärztin in Siegburg und Gründungsmitglied der AG Frauen in der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA) entgegnete in einem Podcast dazu treffend: „Wenn ihr Frauen wirklich unterstützen wollt, fragt nach: Was braucht ihr, um es doch zu tun?“

Wie können wir uns unterstützen?


Wir als AG Frauen der DGINA stellten uns die Frage: Wie können wir uns – neben der Forderung nach paritätischer Besetzung – gegenseitig dabei unterstützen, Hindernisse abzubauen, die uns persönlich davon abhalten, Vorträge zu halten, Herausgeberin zu werden, Führungspositionen zu übernehmen oder in die Wissenschaft zu gehen?

Herausgekommen ist der Start der Tagungsreihe „Notfallmedizin wird weiblich“ von im notfallmedizinischen Bereich tätigen Frauen für Frauen, die dort arbeiten. Die Themen der am 03. und 04. November 2023 in Berlin von Dres. med. Lydia Hottenbacher, Judith Hotz und Verena Rempe gestarteten Veranstaltung waren nicht der medizinischen Versorgung gewidmet, sondern spezifisch an Notfallmedizinerinnen in Führungspositionen und solche auf dem Weg dorthin adressiert.

Neben Vorträgen und Workshops stand für die Veranstalterinnen im Vordergrund, viel Möglichkeit zum Austausch zu geben, um Netzwerke zu stärken und individuell hilfreiche Kontakte aufzubauen. Daher wurde die Tagung von zwei gemeinsamen Abendessen gesäumt, was als sehr positiv bewertet wurde.

Der Rücken ist nicht frei

Initial stellte Eva-Maria Steppeler, leitende Oberärztin in Berlin, eine von ihr mitinitiierte bundesweite Umfrage zur Arbeitssituation des ärztlichen Personals aller Karrierestufen vor. Anhand der vorläufigen Ergebnisse der Berliner Notärzt:innen ließ sich unter anderem ableiten, dass Arbeitszeitanteil und Status geschlechtsbezogen ähnlich verteilt sind, notärztlich tätige Frauen jedoch im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen zu einem deutlich höheren Prozentsatz Partner in Vollzeit und somit seltener den Rücken frei haben. Notärztinnen scheint der akademische Grad weniger wichtig zu sein als ihren männlichen Kollegen, jedoch eine gute gebietsspezifische Weiterbildung (KLINAM) dafür wichtiger.

Prof. Dr. med. Mandy Mangler, Chefärztin von zwei gynäkologisch-geburtshilflichen Kliniken in Berlin, berufene Hochschullehrerin, Podcasterin, Autorin und Mutter von fünf Kindern, sprach über Zeitmanagement und Vereinbarkeit von unterschiedlichen Lebensbereichen. Sie zeigte auf, wie man mit agiler, partizipativer Führung und Prozessoptimierung durch Lean Management nicht nur Brüche im Behandlungsstrang aus der Perspektive der Patientin optimiert, sondern auch mehr Zeit fürs Privatleben gewinnt. Sie berichtete, wie sie Kolleg:innen fördert, indem sie jeglichen Arbeitszeitmodellwünschen gegenüber offen ist: „Meine Antwort ist immer: Ja! Ich werde eine Lösung finden.”

Zwischen Führungstheorie und Praxis

Im darauffolgenden Vortrag verglich Dr. med. Judith Hotz, leitende Oberärztin in Berlin, Kernaussagen aus der Literatur für weibliche Führungskräfte mit ihrem eigenen Karriereweg. Zu den Kernaussagen gehörten: sich auf die eigenen Stärken statt auf die Schwächen zu fokussieren, Aufgaben selbstbewusst anzunehmen, die eigenen Erfolge und die dahinterstehende Arbeit sichtbar zu machen, das eigene Karriereziel klar zu formulieren und dafür Unterstützer:innen zu suchen und sich gezielt ein Netzwerk aufzubauen.

Dr. med. Ulrike von Arnim, Chefärztin in Berlin, sprach im Schlagabtausch mit ihrer Schwester Juliane Hüppe, die als Organisationsentwicklerin fernab der Medizin in der Wirtschaft tätig ist, über Frauen in Führungsrollen aus unterschiedlichen Perspektiven. Beide betonten, wie wichtig das Selbstvertrauen ist, sich Führung zuzutrauen. Familienplanung sollte dabei kein Hindernis sein, da diese so oder so nicht wirklich antizipiert werden kann. Wichtiger sei das gerechte Verhandeln der Rollenverteilung innerhalb der Familie.

Rolle zwischen Männern definieren

Langjährige Erfahrung als Frau in einer Führungsrolle bietet Prof. Dr. med. Christiane Erley, Chefärztin einer Nephrologie in Berlin und Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Sie sprach darüber, wie man sich als Frau treu bleiben und dabei in Männerzirkeln eine starke Rolle finden kann. Diskutiert wurden zudem folgende Aspekte zur Förderung von Frauen in Führungspositionen: Arbeitszeitmodelle, Topsharing, Netzwerke und Quoten. PD Dr. med. Dorothea Sauer, die bereits an der Harvard Medical School geforscht hat und nun als leitende Oberärztin in Hamburg tätig ist, setzte es sich mit ihrem Vortrag zum Ziel, die Hürde vor trockener Wissenschaft zu nehmen. Ihr Vortrag in­spirierte dazu, das Potenzial von Wissenschaft im Alltag zu erkennen. Der Berufsalltag ist gefüllt von Erkenntnissen, welche jedoch meist subjek­tiv als Erfahrungsschatz gesehen werden. Sie motivierte dazu, diese Erkenntnisse wissenschaftlich aufzuarbeiten, um das eigene Handeln mit Evidenz zu untermauern.


In den Workshops am Nachmittag erstellten die Teilnehmerinnen mit Unterstützung der Stressmedizin-Expertin­nen Jana Schöpe und Dr. med. Kathrin Knoke Stress-Mindmaps und differenzierten, ob die individuellen Stressfaktoren Probleme (somit lösbar) oder wirkliche Einschränkungen (nicht änderbar, sondern nur akzeptierbar) sind.

Sonore Stimme erzeugt Respekt

Im zweiten Workshop wurde in Übungen mit Sprachcoachin Anke Sevenich erlernt, wie wir in Stressmomenten unsere sonore Bauchstimme behalten können, die mehr Respekt fordert. Insgesamt war die Tagung von viel Engagement und Offenheit sowohl der Teilnehmenden als auch der Vortragenden geprägt. Die nächste Fortbildung wird im November 2024 in Frankfurt stattfinden, dann organisiert von Dr. med. Christine Hidas, Julia Lorenz und Dr. med. Christiane Scharm. Wir freuen uns auf inspirierenden Input und den Ausbau gegenseitiger Unterstützung. Wer hilft uns Frauen dabei, Herausforderungen anzunehmen? Wir gegenseitig! Ein starkes Netzwerk!

Dr. med. Judith Hotz und Dr. med. Verena Rempe sind Internistinnen, nun aber als inner- und außerklinische Notfallmedizinerinnen in Berlin tätig. Judith Hotz ist leitende Oberärztin in der Notaufnahme des St. Gertrauden Krankenhauses. Verena Rempe arbeitet als Oberärztin in Standortleitungsfunktion in den Notaufnahmen des Franziskus- und St. Joseph Krankenhauses. Beide sind Mitglieder der DGINA und dort in der AG Frauen engagiert.

E-Mail: verena.rempe@sjk.de