„Ich wünsche mir, dass sich ältere und jüngere Ärztinnen aufeinander zubewegen“
Nach dem 36. Kongress des DÄB im vergangenen Herbst in Erfurt haben Sie im Ärzteblatt Thüringen die Gründung einer DÄB-Regionalgruppe angeregt. Was ist daraus geworden?
Leider noch nichts. Es gab diverse Rückmeldungen. Die gingen alle in die Richtung: Wir haben keine Zeit, uns außerhalb der Arbeit noch stärker zu engagieren. Das halte ich in gewisser Weise für symptomatisch für die Situation im Osten. Die Versorgung der Patient*innen liegt hier zu einem hohen Anteil bei den Ärztinnen. Überall herrscht Personalmangel, die Arbeit ist sehr verdichtet, darum stellen Ärztinnen, deren Kinder aus dem Haus sind, ihre Arbeit ganz weit nach vorne. Sie sehen keine frei gewordene Zeit, um sich bei Frauenfragen einzubringen.
Wie zeigt sich das konkret?
Etablierte niedergelassene Ärztinnen fühlen sich in Thüringen tendenziell unter Druck: Sie haben meist eine höhere Scheinzahl als Kolleginnen im Westen bei gleichzeitig geringerem IGEL-Anteil. In diese Situation sind sie hineingewachsen. Untereinander begegnen sie sich auf Augenhöhe. Aber die Bedürfnisse der jüngeren Ärztinnen und Ärzte sind ihnen fremd. Medizinerinnen und Mediziner unter 40 – so erlebe ich das – möchten gute Ärzte sein, haben aber auch ihre Work-Life-Balance im Blick. Dafür liefert die ältere Ärztinnengeneration, zu der ich auch gehöre, kein Rollenvorbild.
Wie steht es mit den Ärzten, die sind in Thüringen ja in der Minderheit?
Die Bürger sind in den neuen Bundesländern allgemein stärker polarisiert als in den alten. Stichwort: AfD in Thüringen. Das Politische spielt hier überall hinein, und es bestehen Tendenzen zu einem bewusst rückwärtsgewandten Frauen- und Familienbild. Jedenfalls beobachten wir hier – oft bei älteren Ärzten – den Ruf nach steileren Hierarchien und einer männlich geprägten Medizin nach einem uralten Berufsverständnis.
Nehmen Sie noch andere spezielle Situationen wahr?
In Thüringen sehen wir uns mit einer besonders hohen Quote an privaten Trägern von medizinischen Einrichtungen konfrontiert. Der ökonomische Druck durch die Privatisierung ist enorm. Das führt unter anderem dazu, dass hier we - niger Teilzeitstellen angeboten werden, weil das einen höheren Aufwand bedeuten würde. Unter solchen Bedingungen möchten hier viele Ärztinnen und auch Ärzte nicht so gerne arbeiten, die sich dem Bundesland nicht in besonderer Weise verbunden fühlen. Es ist nicht ganz leicht, dem etwas entgegenzusetzen, denn die Stellen werden dann mit Ärzt*innen, etwa aus Tschechien, besetzt, für die Work-Life-Balance noch kein solches Thema ist. Wo sich ältere Ärzt*innen noch selbst ausbeuteten, wird das Problem jetzt teilweise auf Ärzt*innen aus anderen Ländern abgewälzt.
Gibt es weitere Probleme?
Das hohe Durchschnittsalter in Thüringen trägt auch zur Arbeitsverdichtung bei. Wir müssen hier mehr multimorbide Patienten versorgen, die in ländlichen Gegenden auch teilweise weit verstreut wohnen. Als Ärztin konfrontiert einen das auch mit anderen Arbeitsanforderungen. In meiner Frauenarztpraxis etwa liegt das Durchschnittsalter der Patientinnen bei 50 Jahren. Das lässt sich leichter stemmen, wenn Fachgebiete landesweit koordinierter arbeiten. Solche Bestrebungen haben aber Kritiker.
Was brächte die Interessen von Ärztinnen in Ost und West voran?
Strukturelle Probleme, die in jedem Bundesland anders sind, erfordern maßgeschneiderte Lösungen. Davon unabhängig nehme ich wahr, dass sich unterschiedliche Frauengenerationen in ihren Auffassungen von Feminismus teilweise unterscheiden. Das ist in der gesamten Gesellschaft so. Wir sollten uns stärker aufeinander zubewegen. Das heißt im Ärztinnenberuf: Die älteren Ärztinnen im Osten sind zurecht stolz darauf, wie sie das Ende ihrer ursprüng- lichen Lebensentwürfe, die Neuorientierung und die Umstellung des Gesundheitssystems gemeistert haben. Das sollte Anerkennung finden. Andersherum verdient die ganz andere Bedürfnislage der jüngeren Ärztinnen Respekt und Unterstützung.
Interview: Alexandra von Knobloch
E-Mail: klemm.vorstand@laek-thueringen.de
Leider noch nichts. Es gab diverse Rückmeldungen. Die gingen alle in die Richtung: Wir haben keine Zeit, uns außerhalb der Arbeit noch stärker zu engagieren. Das halte ich in gewisser Weise für symptomatisch für die Situation im Osten. Die Versorgung der Patient*innen liegt hier zu einem hohen Anteil bei den Ärztinnen. Überall herrscht Personalmangel, die Arbeit ist sehr verdichtet, darum stellen Ärztinnen, deren Kinder aus dem Haus sind, ihre Arbeit ganz weit nach vorne. Sie sehen keine frei gewordene Zeit, um sich bei Frauenfragen einzubringen.
Wie zeigt sich das konkret?
Etablierte niedergelassene Ärztinnen fühlen sich in Thüringen tendenziell unter Druck: Sie haben meist eine höhere Scheinzahl als Kolleginnen im Westen bei gleichzeitig geringerem IGEL-Anteil. In diese Situation sind sie hineingewachsen. Untereinander begegnen sie sich auf Augenhöhe. Aber die Bedürfnisse der jüngeren Ärztinnen und Ärzte sind ihnen fremd. Medizinerinnen und Mediziner unter 40 – so erlebe ich das – möchten gute Ärzte sein, haben aber auch ihre Work-Life-Balance im Blick. Dafür liefert die ältere Ärztinnengeneration, zu der ich auch gehöre, kein Rollenvorbild.
Wie steht es mit den Ärzten, die sind in Thüringen ja in der Minderheit?
Die Bürger sind in den neuen Bundesländern allgemein stärker polarisiert als in den alten. Stichwort: AfD in Thüringen. Das Politische spielt hier überall hinein, und es bestehen Tendenzen zu einem bewusst rückwärtsgewandten Frauen- und Familienbild. Jedenfalls beobachten wir hier – oft bei älteren Ärzten – den Ruf nach steileren Hierarchien und einer männlich geprägten Medizin nach einem uralten Berufsverständnis.
Nehmen Sie noch andere spezielle Situationen wahr?
In Thüringen sehen wir uns mit einer besonders hohen Quote an privaten Trägern von medizinischen Einrichtungen konfrontiert. Der ökonomische Druck durch die Privatisierung ist enorm. Das führt unter anderem dazu, dass hier we - niger Teilzeitstellen angeboten werden, weil das einen höheren Aufwand bedeuten würde. Unter solchen Bedingungen möchten hier viele Ärztinnen und auch Ärzte nicht so gerne arbeiten, die sich dem Bundesland nicht in besonderer Weise verbunden fühlen. Es ist nicht ganz leicht, dem etwas entgegenzusetzen, denn die Stellen werden dann mit Ärzt*innen, etwa aus Tschechien, besetzt, für die Work-Life-Balance noch kein solches Thema ist. Wo sich ältere Ärzt*innen noch selbst ausbeuteten, wird das Problem jetzt teilweise auf Ärzt*innen aus anderen Ländern abgewälzt.
Gibt es weitere Probleme?
Das hohe Durchschnittsalter in Thüringen trägt auch zur Arbeitsverdichtung bei. Wir müssen hier mehr multimorbide Patienten versorgen, die in ländlichen Gegenden auch teilweise weit verstreut wohnen. Als Ärztin konfrontiert einen das auch mit anderen Arbeitsanforderungen. In meiner Frauenarztpraxis etwa liegt das Durchschnittsalter der Patientinnen bei 50 Jahren. Das lässt sich leichter stemmen, wenn Fachgebiete landesweit koordinierter arbeiten. Solche Bestrebungen haben aber Kritiker.
Was brächte die Interessen von Ärztinnen in Ost und West voran?
Strukturelle Probleme, die in jedem Bundesland anders sind, erfordern maßgeschneiderte Lösungen. Davon unabhängig nehme ich wahr, dass sich unterschiedliche Frauengenerationen in ihren Auffassungen von Feminismus teilweise unterscheiden. Das ist in der gesamten Gesellschaft so. Wir sollten uns stärker aufeinander zubewegen. Das heißt im Ärztinnenberuf: Die älteren Ärztinnen im Osten sind zurecht stolz darauf, wie sie das Ende ihrer ursprüng- lichen Lebensentwürfe, die Neuorientierung und die Umstellung des Gesundheitssystems gemeistert haben. Das sollte Anerkennung finden. Andersherum verdient die ganz andere Bedürfnislage der jüngeren Ärztinnen Respekt und Unterstützung.
Interview: Alexandra von Knobloch
E-Mail: klemm.vorstand@laek-thueringen.de