Lina Mosch spricht über Digitale Medizin
Foto: Charité/Baar

Interview: Wohin führt die Digitalisierung die Ärzt:innen?

Viele DÄB-Mitglieder im Jungen Forum engagieren sich in mehreren Ärztinnen-Netzwerken – darunter auch bei SheHealth, einem Kollektiv in engem Austausch mit dem DÄB. Viele junge Ärztinnen, die sich mit der Digitalisierung beschäftigen, sehen dadurch neue Chancen in der Medizin und wünschen sich, dass die digitale Transformation schneller vorankäme. Ein Gespräch mit Lina Mosch, Ärztin in Weiterbildung für Anästhesie und Forscherin zu digitalen Anwendungen in der Medizin an der Charité Berlin.

Frau Mosch, Sie forschen zu Digitalmedizin und sind Teil des #SheHealth-Kollektivs. Was ist das Charakteristische an diesem Netzwerk?

Das Kollektiv ist ein Netzwerk für Frauen in der Digitalen Medizin. Es gibt unter anderem eine LinkedIn-Gruppe und Online-Treffen. Man kann dort seine Projekte teilen und so Aufmerksamkeit gewinnen. Zugleich lernt man die Arbeit anderer Frauen in diesem Sektor kennen. Ich habe zum Beispiel ein-mal einen Aufruf für eine Studie zu Künstlicher Intelligenz (KI) geteilt, an der ich beteiligt bin. Wir suchten damals Interviewpartnerinnen an der Schnittstelle zwischen KI und Medizin. Darüber habe ich Dr. med. Enise Lauterbach kennengelernt. Sie ist eine Pionierin in der Digitalen Medizin, sehr aktiv und engagiert. Und ich habe mit diesem Netzwerk viele spannende Projekte anderer Forscherinnen und Medizinerinnen entdeckt.

Wie sind Sie zum Thema KI gekommen?

Generell beschäftige ich mich mit Digitaler Medizin durch meine Doktorarbeit, die ich 2018 bei Professor Felix Balzer am Institut für Medizinische Informatik an der Berliner Charité angefangen habe. Noch mehr sensibilisiert wurde ich über meine Arbeit als Health Policy Director bei der European Medical Students Association. Dort hatte ich ein Amt, in dem ich das Thema Digitale Medizin mitverantwortet habe, Positionspapiere dazu geschrieben habe und mich vor allem mit digitalen Kompetenzen für Ärzt:innen, aber auch für Medizinstudierende auseinandergesetzt habe.

Nach neun Monaten am Institut für Medizinische Informatik haben Sie nun mit einer versorgenden Facharztrichtung angefangen, der Anästhesie. Warum?

Der Plan ist schon, weiterzumachen mit der Forschung zur Digitalen Medizin. Aber zur Einarbeitung bin ich erst einmal 100 Prozent in der Klinik. Ich glaube, Anästhesie eignet sich sehr gut, um Digitale Medizin und Klinik zu verbinden; vor allen Dingen das Monitoring von Patient:innen, das bereits Thema meiner Doktorarbeit war. Ich bin in der AG für Monitoring und Alarmmanagement. Das lässt sich prima mit der Anästhesie in Einklang bringen, weil eben alles überwacht wird. Aktuell überlegen wir in der AG, wie sinnvolles Monitoring auf der Normalstation stattfinden kann. Dass also nicht nur auf der Intensivstation und rund um eine OP alle Parameter überwacht werden, sondern auch auf den Stationen eine kontinuierliche Überwachung und damit auch Früherkennung von Komplikationen erfolgt. Das wird in Zukunft noch wichtiger werden. Dabei spielt KI eine große Rolle.

Was reizt Sie an der Digitalen Medizin und den Möglichkeiten der KI in der Medizin?

Was mir sehr gefällt, ist der große Imaginationsspielraum – also sich vorzustellen, was für Möglichkeiten offenstehen. Und auf der anderen Seite ist es interessant, was es für Hürden oder Barrieren gibt, die das nicht möglich machen – vor allem rechtliche und finanzielle. Es geht darum, die ethischen Implikationen bestimmter technologischer Entwicklungen zu erfassen und dann Lösungen zu finden, wie sich solche Technologien in den klinischen Alltag integrieren lassen. Die Digitalisierung bringt für die Ärzt:innenschaft Herausforderungen, denen sie sich nicht so gerne stellt. Sie muss sich auf die Transformation vorbereiten. Ich finde es spannend, wie sich dieser Prozess gerade entwickelt.

Beim Thema Digitale Medizin fallen einem spontan vor allem Radiolog:innen ein, weil sie schon seit vielen Jahren bei der Bildgebung mit sehr aufwendigen Computerprogrammen und Rechenprozessen arbeiten. Welche Pilot- und Leuchtturmprojekte gibt es noch in anderen Disziplinen, die in Zukunft der Standard sein werden?

Da gibt es das ERIC Projekt, auch bei uns an der Charité. ERIC steht für "Enhanced Recovery after Intensive Care“. Das Konzept ist eine Tele-Intensivstation, in die sich Expert:innen aus verschiedenen Kliniken über einen mobilen Roboter einwählen können. So haben etwa auf Corona spezialisierte Intensivmediziner:innen Kolleg:innen in kleineren Häusern im ländlichen Raum, etwa in Brandenburg, unterstützen können. Der Roboter lässt sich durch den/die Intensivmediziner:in in der Charité fernsteuern. Er kann an die Patient:innen dank einer Kamera sehr gut heranzoomen und verschiedene Parameter erheben. Der Roboter ermöglicht und vertieft also die Kommunikation zwischen zwei weit entfernten Teams von Ärzt:innen.

Wie bewerten Sie die Schnittstelle zwischen Klinik und ambulanten Praxen? Sehen Sie Chancen oder Hürden?

Ich glaube, es wäre es eine sehr große Chance, wenn es sich umsetzen ließe. Es existieren ja schon Ansätze, etwa Tele-Visiten von Hausärzt:innen. Das Problem ist die Ausgestaltung dieses Übergangs von stationär zu ambulant. Wer rechnet es ab, wenn Monitoring vom Krankenhaus eingesetzt wird, aber ambulante Dienstleistende weiterbetreuen? Und zu wem sollen Daten fließen? Es gibt große Datenlücken. Die meiste Zeit sind Patient:innen ja zuhause und dort müssten ihre Werte erhoben werden. Diese wären vermutlich sogar am validesten, wenn man an das Weißkittel-Syndrom denkt. Es wäre zum Beispiel wertvoll, Vitalparameter von Smartwatches und Fitnessarmbändern sowie anderen Gesundheitsapps zu nutzen. Die Digitalisierung könnte dafür einen großen Beitrag leisten. Allerdings muss sich dazu die Politik und vor allem auch die Ärzt:innenschaft ein bisschen öffnen und von sich aus Lösungsszenarien entwerfen. Das geschieht noch zu langsam. Ließe sich die Lücke zwischen stationärer Behandlung und ambulanter Betreuung schließen, wäre es eine wertvolle Zusammenarbeit, nicht zuletzt für die Patient:innen.

Mitgeteilt von Dr. med. Olga Herschel, in Weiterbildung zur Kinder- und Jugendpsychiaterin, Mitglied im Jungen Forum und freie Journalistin