Ist Vereinbarkeit von Beruf und Familie eigentlich noch ein Thema für junge Ärztinnen?
Man sollte meinen, dass eine junge Ärztin im Jahr 2022 gelassener an die Frage nach Kind und Karriere herangehen könnte als die Kolleginnen der vorherigen Generationen. Immerhin haben die Frauen in diesem Berufsstand viel erreicht – auch dank des DÄB. Trotzdem spüren viele Nachwuchsmedizinerinnen einen Druck auf sich lasten. Hier die Gründe.
Es ist 2022 und vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gebessert für Frauen in unserem Berufsstand. Teilzeitarbeit ist oft möglich, auch beim Arbeiten als Schwangere gibt es Lichtblicke und es existieren vielerorts Angebote für die Kinderbetreuung.
In meinem Freundeskreis finden sich wirklich viele junge Ärztinnen: keine Überraschung bei dem hohen Frauenanteil im Studium. Wenige von ihnen haben bereits Kinder. Andere möchten erstmal arbeiten und später Kinder. Wieder andere wollen gar keine Familie, einige wissen es noch nicht. Die Vielfalt ist schön, denn ich habe das Gefühl, dass für alle Wünsche die Möglichkeit besteht, dass sie sich erfüllen. Trotzdem ist „Kinder/Beruf/Vereinbarkeit“ für viele von uns ein Dauerthema. Dies beruht auf verschiedenen Punkten.
Wo ist die Selbstbestimmung?
Auch wenn es positive Beispiele für die Weiterarbeit in der Schwangerschaft gibt: Die Situation ist in jeder Klinik anders. Daher haben viele Frauen ein ungutes Gefühl, schließlich ist es oft unbekannt, wie der Chef – in den meisten Fällen ist es noch ein Mann – oder die Chefin auf die Nachricht reagieren wird. Oder wahlweise die Betriebsärzt:in oder die Behörde. Die meist strikte Klinikhierarchie lässt einen die Unsicherheit bezüglich der Konsequenzen eines derartigen Gesprächs als bedrohlich empfinden. Letztendlich kann der Chefarzt oder die Chefärztin quasi bestimmen, wie es bei mir in der Karriere weitergeht. Keine angenehme Startposition.
Einige Frauen haben zusätzlich den Eindruck, nicht mit Kolleg:innen außerhalb des Freundeskreises über das Thema sprechen zu können. Es könnte ja sein, dass das Wissen darüber, dass ein Kinderwunsch besteht, verbreitet wird und einem daraus Nachteile entstehen können. Dazu kommt die nachgestellte Frage: „Wenn ich schwanger bin: Wann und wie sage ich es meinem Arbeitgeber?“ Die berühmte 12-Wochen-Regel tritt hier zu Tage und das Bewusstsein, dass ich mich zwischen Arbeitsschutz oder Privatsphäre in der Frühschwangerschaft entscheiden muss.
Schon allein diese Fragen wären genug, um Stress im Umgang mit dem Thema heraufzubeschwören, und zwar auch schon bei Frauen, die noch nicht schwanger sind.
Anwesenheit oder Kompetenz?
Weiterhin ist es nun einmal so, dass eine Frau, die gerade Mutter wird, für eine gewisse Zeit nicht arbeitsfähig ist. Solange die männlichen Kollegen keine vergleichbar lange Elternzeit nehmen, ist hier der Gendergap vorprogrammiert. Da Anwesenheitszeit mancherorts immer noch als Indikator für Kompetenz herangezogen wird, ist man hiermit als Frau automatisch im Nachteil.
Nach der Geburt steht die nächste Frage an: Wird es möglich sein, in Teilzeit weiterzuarbeiten? Kann ich auch wichtige Rotationen absolvieren, wenn ich nicht immer da bin oder werde ich auf das sprichwörtliche Abstellgleis verfrachtet? Es gibt Kliniken, in denen durch eine Schwangerschaft automatisch der Anspruch auf Rotationen „verfällt“.
Viele dieser Eindrücke möchte man einem anderen Jahrhundert zuordnen. Es sind aber Fakten und immer noch an der Tagesordnung. Durch die oft weiterhin hierarchische Personalstruktur in Kliniken mit dem typischen Geschlechtergefälle sowie dem zusätzlich wirtschaftlichen Druck, aus jedem und jeder Mitarbeitenden die maximal mögliche Arbeitszeit herauszuholen, lastet weiterhin unnötig viel auf den Schultern junger Frauen. In vielen Fällen entscheidet die Haltung einer einzelnen vorgesetzten Person in wesentlichen Punkten mit.
Solange die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiterhin mit so vielen Unsicherheiten verknüpft ist, dürfte es kein Wunder sein, dass Frauen immer später Kinder bekommen. Es besteht ein Widerspruch zwischen den realen Schwierigkeiten und der Tatsache, dass eine Schwangerschaft einen normalen und natürlichen Teil im Leben einer Frau darstellt.
Vorschlag: Mehr Transparenz
Mein Vorschlag wäre eine offene Kommunikation in Kliniken, inwiefern Arbeiten in der Schwangerschaft oder danach, zum Beispiel in Teilzeit, möglich ist – ohne dass die Mitabeiterinnen danach fragen müssen. Ein Gütesiegel wie beispielsweise das des Ärztinnenbundes zeigt Motivation und Engagement der Klinik und gibt klar zu sehen: Mit uns können Sie darüber reden!
Zusätzlich sollte insbesondere in die Kinderbetreuung investiert werden, auch an den Kliniken – in Lübeck gibt es beispielsweise eine Versorgungsquote von lediglich 43,2 Prozent für Kinder unter 3 Jahren. Und wir wissen ja, wer dann eher zu Hause bleibt und die Kinder betreut.
E-Mail: luebeck@aerztinnenbund.de
In meinem Freundeskreis finden sich wirklich viele junge Ärztinnen: keine Überraschung bei dem hohen Frauenanteil im Studium. Wenige von ihnen haben bereits Kinder. Andere möchten erstmal arbeiten und später Kinder. Wieder andere wollen gar keine Familie, einige wissen es noch nicht. Die Vielfalt ist schön, denn ich habe das Gefühl, dass für alle Wünsche die Möglichkeit besteht, dass sie sich erfüllen. Trotzdem ist „Kinder/Beruf/Vereinbarkeit“ für viele von uns ein Dauerthema. Dies beruht auf verschiedenen Punkten.
Wo ist die Selbstbestimmung?
Auch wenn es positive Beispiele für die Weiterarbeit in der Schwangerschaft gibt: Die Situation ist in jeder Klinik anders. Daher haben viele Frauen ein ungutes Gefühl, schließlich ist es oft unbekannt, wie der Chef – in den meisten Fällen ist es noch ein Mann – oder die Chefin auf die Nachricht reagieren wird. Oder wahlweise die Betriebsärzt:in oder die Behörde. Die meist strikte Klinikhierarchie lässt einen die Unsicherheit bezüglich der Konsequenzen eines derartigen Gesprächs als bedrohlich empfinden. Letztendlich kann der Chefarzt oder die Chefärztin quasi bestimmen, wie es bei mir in der Karriere weitergeht. Keine angenehme Startposition.
Einige Frauen haben zusätzlich den Eindruck, nicht mit Kolleg:innen außerhalb des Freundeskreises über das Thema sprechen zu können. Es könnte ja sein, dass das Wissen darüber, dass ein Kinderwunsch besteht, verbreitet wird und einem daraus Nachteile entstehen können. Dazu kommt die nachgestellte Frage: „Wenn ich schwanger bin: Wann und wie sage ich es meinem Arbeitgeber?“ Die berühmte 12-Wochen-Regel tritt hier zu Tage und das Bewusstsein, dass ich mich zwischen Arbeitsschutz oder Privatsphäre in der Frühschwangerschaft entscheiden muss.
Schon allein diese Fragen wären genug, um Stress im Umgang mit dem Thema heraufzubeschwören, und zwar auch schon bei Frauen, die noch nicht schwanger sind.
Anwesenheit oder Kompetenz?
Weiterhin ist es nun einmal so, dass eine Frau, die gerade Mutter wird, für eine gewisse Zeit nicht arbeitsfähig ist. Solange die männlichen Kollegen keine vergleichbar lange Elternzeit nehmen, ist hier der Gendergap vorprogrammiert. Da Anwesenheitszeit mancherorts immer noch als Indikator für Kompetenz herangezogen wird, ist man hiermit als Frau automatisch im Nachteil.
Nach der Geburt steht die nächste Frage an: Wird es möglich sein, in Teilzeit weiterzuarbeiten? Kann ich auch wichtige Rotationen absolvieren, wenn ich nicht immer da bin oder werde ich auf das sprichwörtliche Abstellgleis verfrachtet? Es gibt Kliniken, in denen durch eine Schwangerschaft automatisch der Anspruch auf Rotationen „verfällt“.
Viele dieser Eindrücke möchte man einem anderen Jahrhundert zuordnen. Es sind aber Fakten und immer noch an der Tagesordnung. Durch die oft weiterhin hierarchische Personalstruktur in Kliniken mit dem typischen Geschlechtergefälle sowie dem zusätzlich wirtschaftlichen Druck, aus jedem und jeder Mitarbeitenden die maximal mögliche Arbeitszeit herauszuholen, lastet weiterhin unnötig viel auf den Schultern junger Frauen. In vielen Fällen entscheidet die Haltung einer einzelnen vorgesetzten Person in wesentlichen Punkten mit.
Solange die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiterhin mit so vielen Unsicherheiten verknüpft ist, dürfte es kein Wunder sein, dass Frauen immer später Kinder bekommen. Es besteht ein Widerspruch zwischen den realen Schwierigkeiten und der Tatsache, dass eine Schwangerschaft einen normalen und natürlichen Teil im Leben einer Frau darstellt.
Vorschlag: Mehr Transparenz
Mein Vorschlag wäre eine offene Kommunikation in Kliniken, inwiefern Arbeiten in der Schwangerschaft oder danach, zum Beispiel in Teilzeit, möglich ist – ohne dass die Mitabeiterinnen danach fragen müssen. Ein Gütesiegel wie beispielsweise das des Ärztinnenbundes zeigt Motivation und Engagement der Klinik und gibt klar zu sehen: Mit uns können Sie darüber reden!
Zusätzlich sollte insbesondere in die Kinderbetreuung investiert werden, auch an den Kliniken – in Lübeck gibt es beispielsweise eine Versorgungsquote von lediglich 43,2 Prozent für Kinder unter 3 Jahren. Und wir wissen ja, wer dann eher zu Hause bleibt und die Kinder betreut.
E-Mail: luebeck@aerztinnenbund.de