Foto: Deutscher Ethikrat © Reiner Zensen

„Jungen Wissenschaftlerinnen aufzeigen, wie sich Habilitation, Alltag und Familie verbinden lassen“

Als Prodekanin für Gender und Familienbeauftragte der Medizinischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg kennen Sie die Situation in der medizinischen Wissenschaft in Sachsen-Anhalt. Stellen Sie Unterschiede zwischen Ost und West fest?

Die gesetzlichen Bedingungen sind in der Universitätsmedizin seit Jahrzehnten überall gleich. Im Grundsatz beobachten wir daher dieselben Entwicklungen wie in den alten Bundesländern: Bei den Promotionen sind die Frauen in der Medizin gut vertreten, bei den Habilitationen nicht mehr. In Halle verzeichnen wir gerade recht konstant im Durchschnitt zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer bei den Promotionen. Bei den Habilitationen kehrt sich das Verhältnis um.

Die Geschlechterunterschiede und Probleme sind also in den neuen Bundesländern ähnlich wie in den alten?

Ja. Es existieren allerdings teilweise große Unterschiede zwischen einzelnen Universitäten, wenn man den Anteil der Frauen in den Spitzenpositionen betrachtet. Das hat dann aber wenig mit Ost oder West zu tun, sondern vielmehr damit, wie einzelne Universitäten ihre internen Prozesse gestalten. Natürlich lassen gesetzliche Vorgaben stets Interpretationsspielräume offen, so dass die Frauenförderung oder auch die Berufungspraxis sehr unterschiedlich ausgestaltet werden kann.

Das Update der „Medical Women on Top“-Erhebung des DÄB von 2019 erbrachte für das Universitätsklinikum Magdeburg keine einzige Medizinerin in einer klinischen Spitzenposition. In Halle beträgt der Anteil immerhin zehn Prozent. Was tun Sie dafür?

Als das Prodekanat eingerichtet wurde, konnte ich meine Tätigkeitsschwerpunkte selbst definieren. Zeitnah haben wir den Berufungsleitfaden gendersensibel angepasst. Auch haben wir Veranstaltungen angeboten, die sich nur an Frauen richteten und auf deren Karriereförderung zielten. Inzwischen sind unsere Veranstaltungen wieder offen für Frauen und Männer. Eine sensible Grundhaltung hat sich aber etabliert. In Dokumenten und Vorträgen aus dem Dekanat etwa findet sich das Gendersternchen. Die „Empfehlung zur gendersensiblen Sprache“ gilt für die gesamte Universitätsmedizin in Halle. In unserer jährlichen „Erxleben Lecture“ würdigen wir erfolgreiche Wissenschaftlerinnen aus der Medizin, die dem weiblichen Nachwuchs Vorbild sein können. Wir haben weitere Maßnahmen initiiert, vom Förderfonds bis zum Mentoring.

Ein entscheidender Punkt ist, die Studierenden immer wieder darauf aufmerksam zu machen, was möglich ist. Noch wichtiger ist eine konkrete Ermutigung durch die Vorgesetzten – speziell bei der Frage nach einer Habilita tion. Wir brauchen mehr berufungsfähige Frauen. In einer systematischen Planung sollte man für Interessentinnen aufzeigen, wie sie die wissenschaftliche Arbeit unter Alltagsbedingungen, etwa mit einem Kind, hinbekommen. Wir haben zum Beispiel regelmäßige strukturierte Mitarbeitergespräche zur Pflicht gemacht.

Die Corona-Krise zeigt uns nun die Chancen der Digitalisierung. Wissenschaftlerinnen möchten nicht mehr so arbeiten wie die Generationen vor ihnen. Männer möchten es auch nicht mehr. Die Digitalisierung ermöglicht Flexibilisierung. Das spielt den Frauen zu. Grundsätzlich streben jedoch nur jene eine wissenschaftliche Karriere in der Medizin an, die sich persönlich für Forschung begeistern. Der öffentliche Dienst kann beim Gehalt mit den anderen Angeboten für Ärzt*innen nicht mithalten.

Was spielt für die Universitätskarriere von Ärztinnen noch eine Rolle, wenn es das Bundesland nicht ist?

Die Größe der Fakultät ist ein wichtiger Faktor und damit die Anzahl der Professuren, die ja mitunter viele Jahre oder Jahrzehnte besetzt sind. Eine Veränderung in der Zusammensetzung der Führungspositionen mit Männern und Frauen ist somit langwierig. Die Förderung der Berufungsfähigkeit ambitionierter Frauen kommt dem Standort selbst nicht zugute aufgrund der Hausberufungsregeln. Es sind also alle Standorte der Universitätsmedizin in Deutschland gefragt, sich zu engagieren.

Interview: Alexandra von Knobloch

Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer ist an der Martin­-Luther-­Universität Halle­-Witten­berg Professorin für Gesundheits und Pflegewissenschaft und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

E-Mail: gabriele.meyer@medizin.uni-halle.de