Junges Forum

Critical Self-Care: Workshop zur Selbstfürsorge im ärztlichen Berufsalltag

Duftöl, Schokolade, Tagebuch: Das und mehr kann einem helfen, öfter an sich selbst zu denken
Erschöpfungszustände, Burn-out und mentale Erkrankungen treten überdurchschnittlich häufig in der ärztlichen Berufsgruppe auf. Vor allem Frauen, die parallel Familie und Beruf vereinigen müssen, sind davon betroffen. Das Junge Forum hat darum einen Workshop „Critical Self-Care“ organisiert. Er fand Ende März 2023 in Hamburg statt. Referentin war die Philosophie- und Kulturwissenschaftlerin Juliane Walther. Der Workshop ging der Frage nach, wie der mentalen Erschöpfung mit Selbstfürsorge entgegengewirkt werden kann.

Zu Beginn haben wir Herausforderungen gesammelt, denn – so schön sich die Idee von Selbstfürsorge auch anfühlt – im Alltag ist es oft schwer, sich ausreichend um sich selbst zu kümmern. In dieser Einheit haben wir auch erfahren, dass der Begriff „Self-Care“ in den 1950/60er Jahren durch den Black Feminist Activism bekannt wurde. Dort wurde Self-Care eher als Selbsterhaltung gesehen und somit als eine Art Akt des politischen Widerstandes.

Die drei größten Herausforderungen, die wir identifiziert haben, haben wir dann gemeinsam aufgearbeitet. Hier ein Überblick:

1. Müssen und Sollen

Schon der Gedanke an Selbstfürsorge löst oft Widerstände aus, weil er mit einem moralischen Beigeschmack geliefert wird: „Du musst. Du sollst.“ Schwierig ist außerdem das Eingestehen und die Akzeptanz, dass etwas nicht so läuft, wie es soll und Vorsätze auch mal nicht erreicht werden. Doch das braucht es, damit Selbstfürsorge gelingen kann. Self-Care ist daher anstrengend und herausfordernd. Der Begriff „Ugly Self-Care“ beschreibt es ganz gut. Aber wie kann ich mir dennoch den (Klinik-)Alltag so schaffen, dass ich gut durchkomme? Welche Verhaltensweisen kann ich an den Tag legen, damit mir die Arbeit leichter fällt? Dazu haben wir Anregungen erarbeitet. Anbei ein paar Beispiele:
  • Habit Stacking: eine neue Gewohnheit an eine schon bestehende anknüpfen. Der Kaffee gehört zum Schreiben der Arztbriefe dazu? Gut! Nutze die tägliche Zeit vor der Kaffeemaschine, um tief zu seufzen.
  • Tiny Habits: ein neues Verhalten so klein machen, dass es keine „Es dauert zu lang“-Ausrede mehr gibt. Nach dem Motto: Konsistenz statt Intensität! Wenn du es nicht schaffst, dir täglich dein gesundes Mittagessen selbst vorzubereiten und in der Mittagspause fertig zu machen, iss den Bio-Öko-Powerriegel aus deiner Kitteltasche.
  • Anker: Dinge in deiner täglichen Umgebung, die dich an etwas Bestimmtes erinnern. Lege den Igelball auf die Sitzfläche des Schreibtischstuhls, um dich daran zu erinnern, öfter kurz den Nacken zu bewegen.
  • Umgebung nutzen: Das unmittelbare Umfeld so einrichten, dass es die Umsetzung einer gewünschten Verhaltensweise praktisch provoziert. Die gefüllte Wasserflasche, die direkt vor der Tastatur steht oder der hochgekurbelte Stehschreibtisch.
2. Ich kann nicht entspannen

Self-Care wird oft einfach als ein Synonym für Entspannung genutzt. Dabei ist es sinnvoll, zwei Arten von Entspannung zu unterscheiden: Zum einen Interventionen zum gezielten Spannungsabbau. Zum anderen der bewusste Rückzug in die eigene Wohlfühlzone. Beides ist für viele gar nicht so leicht und gelingt nicht sofort, quasi auf Kommando. Zudem wird Entspannung in unserer Leistungsgesellschaft oft mit Nichtstun gleichgesetzt und löst daher bei einigen Scham und Schuldgefühle aus. Welche Strategie hilft dagegen?

Eine Option ist das Reframing: Worte helfen uns, Erfahrungen und Visionen für eine neue Realität zu teilen. Das Finden neuer Arten des Sprechens ist notwendig, um das, was und wie gedacht wird, umzuformen.

Zum Beispiel der Satz:
„Ich habe heute nichts gemacht.“

Er kann auch gesehen werden als:
Du hast ...
... dir einen Tag für deine mentale Gesundheit genommen.
... dich dir selbst zugewendet, damit du nicht ausbrennst.
... dich gegen das ständige Schuldgefühl der Immer-busy-Kultur entschieden.
... Abstand zwischen dir und zu vielen Umweltreizen geschaffen.

3. Wie soll das bei der Arbeit gehen?

Selbstfürsorge als Selbsterhalt zu praktizieren bedeutet, sich mit Stress anzufreunden. Stress in mehr Aspekte aufzufächern als Eu- und Distress ermöglicht es, ihn zielgenauer zu regulieren. Auf diese Weise können die Maßnahmen klein sein und passen sich einfacher in den Alltag ein. Es lebe die Micro-Pause! Anbei ein paar erarbeitete Beispiele.

Arten von StressArten von Ruhe
physischatmen und seufzen, Nacken-Pause, Sonne tanken, Klo-Spaziergang
mentalGrenzen ziehen, nur eine Sache zur selben Zeit bearbeiten (single tasking)
emotionalHumor, Austausch, blauer Himmel (spatial awareness)
sozialIrrwitzigkeiten teilen, Umarmungen
spirituellwundern, staunen, kleine Rituale
kreativlebendiger Input, Ästhetik in der Arbeit finden
sensorischwarme Tasse, warmes Wasser zum Händewaschen, Kastanie in der Kitteltasche

Nachdem wir viele neue Tools und Anleitungen zur Bewältigung des Alltags erarbeitet hatten, konnten wir den Workshop mit einem gemeinsamen Abschiedsritual beenden. Wir bedanken uns recht herzlich bei unserer Referentin. Und wir möchten uns besonders für die finanzielle Unterstützung und gute Zusammenarbeit mit dem Verein „Frauen fördern die Gesundheit e. V.“ bedanken. Da wir insbesondere auch Studentinnen für  unsere Angebote begeistern möchten, ist es wichtig, die Beiträge möglichst gering zu halten. Ohne die Unterstützung des Vereins „Frauen fördern die Gesundheit e. V.“ wäre das nicht möglich gewesen.

Mitgeteilt von Dr. med. Margarete Heibl, Co-Vorsitzende des Jungen Forums