Mehr Diversität in der Notfallmedizin
Chancengleichheit, Sexismus und Diversität in verschiedenen Lebensbereichen sowie das Aufbrechen von Geschlechtsstereotypen sind Themen, die in der letzten Zeit zunehmend in der allgemeinen Diskussion und in den sozialen Medien präsent sind. Auf dem Hauptstadtkongress Anästhesie und Intensivmedizin (HAI) im September 2022 in Berlin gab es im Strang „Notfallmedizin“ eine Podiumsdiskussion zu genau diesem Themenbereich.
Als erfahrene Notfallmedizinerin und eine der immer noch vergleichsweise wenigen Frauen, die eine Notaufnahme leiten, habe ich dankbar das Angebot angenommen, den Impulsvortrag zum Thema „Die Rolle der Frau in der Notfallmedizin“ zu halten – zunächst skizzierte ich kurz die verschiedenen Rollen in der Notfallmedizin: das praktische Arbeiten prä- und innerklinisch, Forschen und Publizieren in der akademischen Notfallmedizin, das berufspolitische Engagement und die Präsenz als Referentinnen und Vorsitzende auf Fachtagungen sowie als Herausgeberinnen bei Fachzeitschriften.
Frauen vor allem in der Versorgung
Eine Tatsache stach dabei heraus: Während der Frauenanteil bei der praktischen Arbeit am Patienten sehr hoch ist, sind sie in den übrigen Rollen unterrepräsentiert. Ein Phänomen, das im Vortrag und aus dem Publikum heraus als die sogenannte „gläserne Decke“ angesprochen wurde. Frauen wird in ihrem Karriereverlauf trotz hoher Qualifikation der Aufstieg in Führungsrollen deutlich schwerer gemacht als männlichen Kollegen mit vergleichbarer Qualifikation.
Ein höherer Frauenanteil und das Aufbrechen männerdominierter Strukturen erfordern aber auch das Engagement der Frauen selbst. Es geht darum, die häufigen Selbstzweifel, die bei vielen existieren, zu überwinden. Diese zeigen sich unter anderem in der Zurückhaltung bei der Übernahme von Führungsaufgaben und verantwortungsvollen Positionen, sodass das Erreichen eines höheren Frauenanteils dadurch erschwert wird. Hier braucht es positive „Role Models“ und auch eine andere, intensivere Ansprache, um einen nachhaltigen Wandel im Denken und Handeln zu erreichen.
Unsicherheit bei LGBTQ+ -Patient:innen
Clara Feykes, die sich mit Geschlechterstereotypen im Rettungsdienst beschäftigt und die Ergebnisse ihrer Untersuchung bereits in dieser Zeitschrift veröffentlicht hat, hielt den Impulsvortrag „LGBTQ+ und Notfallmedizin – wie passt das zusammen?“. Sie berichtete über Unsicherheiten und Vorbehalte sowohl bei der Versorgung von LGBTQ+-Patient:innen, auch wenn deren Erkrankung in keinem Zusammenhang dazu steht, als auch unter den Mitarbeitenden im Rettungsdienst selbst.
Zielfestlegung als erster Schritt
Auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Notfallmedizin (EUSEM) in Berlin mit über 2 700 Teilnehmern aus ganz Europa beschäftigte sich eine komplette Sitzung im deutschen Strang mit „Chancengleichheit in der Notfallmedizin“. In einem gut besuchten Saal startete Christine Hidas (Darmstadt) in ihrem Vortrag mit der Analyse, dass man sich als Ärztin in der Notfallmedizin in einer „Men’s World“ bewegt. Im Anschluss stellte Sabine Jobmann (Kiel) vor, welche Strukturen und Maßnahmen erforderlich sind, um Änderungen zu erzielen. Auf Organisationsebene müssten eindeutig messbare Ziele festgelegt werden und Führungskräfte müssten sich entsprechend für diese einsetzen und engagieren.
Modellprojekt in Innsbruck
Sie zeigte auf, dass es nicht nur die Ärztinnen betreffe, sondern auch im Rettungsdienst der Frauenanteil noch unterdurchschnittlich sei und geschlechtsbezogene Diskriminierung existiere. Deshalb hat zum Beispiel das Rote Kreuz Innsbruck das Förderprojekt „Frauenoffensive im Rettungsdienst“ gestartet. Abschließend stellte Christine Hidas eine Studie des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) vor, die die Arbeit des Mentorinnennetzwerks des DÄB ausgewertet hat. Drei Viertel der Befragten hatten demnach die Unterstützung durch Mentorinnen als sehr hilfreich empfunden. Auch die Kombination aus Mentorin und Mentee (betreute Person) harmonierte in 75 Prozent der Fälle. Somit wäre die Schaffung eines Mentorinnennetzwerks auch in der Notfall- und Rettungsmedizin wünschenswert.
Ebenso wie auf dem HAI beschäftigte man sich auch auf dem EUSEM-Kongress mit dem Umgang und der Versorgung von Trans-Patientinnen und -Patienten. Hier wurde der Vortrag, anders als auf dem HAI, von einer nichtbinären Person gehalten. Bec MacGregor Legge aus Großbritannien hatte das Thema „Trans specific Healthcare Considerations“, also Betrachtungen zur transspezifischen Gesundheitsversorgung.
Trans-Menschen werden schlechter versorgt
MacGregor Legge führte aus, dass die Angehörigen der Gesundheitsberufe oft nicht wüssten, wie sie am besten mit Trans-Patientinnen und -Patienten umgehen und arbeiten sollen, was dazu führe, dass Trans-Menschen eine schlechtere Versorgung erhielten. Als Beispiel wurde das „Trans-Broken-Arm-Syndrom“ genannt. Es bezeichnet das Phänomen, dass sich oft zeige, wenn Trans-Menschen sich in der Notaufnahme vorstellen. Obwohl sie mit einem gebrochenen Arm kommen, werden sie oft zunächst zur Geschlechtsumwandlung befragt oder alle Beschwerden auf das Trans-Sein zurückgeführt – auch wenn medizinisch keinerlei Zusammenhang besteht.
Durch diese schlechten Erfahrungen haben viele wenig Vertrauen zu Gesundheitspersonal. Erschwerend komme dazu, dass viele Trans-Menschen sexuelle Gewalt erfahren hätten und unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten. Im Akutfall könne diese Konstellation die Versorgung erschweren oder zu Konflikten führen.
Die Aufnahme der Themen Chancengleichheit, Diversität und der dazu erforderliche Kulturwandel in die Foren großer Kongresse zeigen, dass diese Inhalte in der Wahrnehmung weiter nach vorne rücken und die Sensibilität für solche „weichen“ Inhalte im Arbeitsalltag größer wird. Es lässt hoffen, dass hier- durch auf breiter Front Diskussionen angestoßen werden, die in konkreten Veränderungen münden. Am wichtigsten wäre eine diskriminierungsfreie und adäquate Versorgung der LGBTQ+-Patientinnen und -Patienten, sodass diese wieder Vertrauen in das Gesundheitspersonal gewinnen und auf eine angemessene und qualitativ gute Behandlung, besonders im Notfall, vertrauen können.
Im Rettungsdienst müssen Chancengleichheit und Gleichstellung aller Beschäftigten sowie das Aufbrechen von Rollenklischees aktiv von den Verantwortlichen gefordert und gefördert werden. Dann profitieren die Mitarbeitenden, Patientinnen und Patienten sowie die Organisationen von den Vorteilen und verbesserten Kompetenzen divers zusammengesetzter Teams.
E-Mail: sylvia.schacher@evkk.de
Der Artikel von Dr. med. Sylvia Schacher wurde uns von der Zeitschrift Rettungsdienst zum auszugsweisen Abdruck überlassen. Er ist hier gekürzt. Komplett wurde er unter dem Titel „Diversität in der Notfallmedizin: Auf Symposien und Kongressen angekommen“ zuerst hier veröffentlicht: Rettungsdienst, Ausgabe 12/2022, S. 12–15, www.skverlag.de
Frauen vor allem in der Versorgung
Eine Tatsache stach dabei heraus: Während der Frauenanteil bei der praktischen Arbeit am Patienten sehr hoch ist, sind sie in den übrigen Rollen unterrepräsentiert. Ein Phänomen, das im Vortrag und aus dem Publikum heraus als die sogenannte „gläserne Decke“ angesprochen wurde. Frauen wird in ihrem Karriereverlauf trotz hoher Qualifikation der Aufstieg in Führungsrollen deutlich schwerer gemacht als männlichen Kollegen mit vergleichbarer Qualifikation.
Ein höherer Frauenanteil und das Aufbrechen männerdominierter Strukturen erfordern aber auch das Engagement der Frauen selbst. Es geht darum, die häufigen Selbstzweifel, die bei vielen existieren, zu überwinden. Diese zeigen sich unter anderem in der Zurückhaltung bei der Übernahme von Führungsaufgaben und verantwortungsvollen Positionen, sodass das Erreichen eines höheren Frauenanteils dadurch erschwert wird. Hier braucht es positive „Role Models“ und auch eine andere, intensivere Ansprache, um einen nachhaltigen Wandel im Denken und Handeln zu erreichen.
Unsicherheit bei LGBTQ+ -Patient:innen
Clara Feykes, die sich mit Geschlechterstereotypen im Rettungsdienst beschäftigt und die Ergebnisse ihrer Untersuchung bereits in dieser Zeitschrift veröffentlicht hat, hielt den Impulsvortrag „LGBTQ+ und Notfallmedizin – wie passt das zusammen?“. Sie berichtete über Unsicherheiten und Vorbehalte sowohl bei der Versorgung von LGBTQ+-Patient:innen, auch wenn deren Erkrankung in keinem Zusammenhang dazu steht, als auch unter den Mitarbeitenden im Rettungsdienst selbst.
Zielfestlegung als erster Schritt
Modellprojekt in Innsbruck
Sie zeigte auf, dass es nicht nur die Ärztinnen betreffe, sondern auch im Rettungsdienst der Frauenanteil noch unterdurchschnittlich sei und geschlechtsbezogene Diskriminierung existiere. Deshalb hat zum Beispiel das Rote Kreuz Innsbruck das Förderprojekt „Frauenoffensive im Rettungsdienst“ gestartet. Abschließend stellte Christine Hidas eine Studie des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) vor, die die Arbeit des Mentorinnennetzwerks des DÄB ausgewertet hat. Drei Viertel der Befragten hatten demnach die Unterstützung durch Mentorinnen als sehr hilfreich empfunden. Auch die Kombination aus Mentorin und Mentee (betreute Person) harmonierte in 75 Prozent der Fälle. Somit wäre die Schaffung eines Mentorinnennetzwerks auch in der Notfall- und Rettungsmedizin wünschenswert.
Ebenso wie auf dem HAI beschäftigte man sich auch auf dem EUSEM-Kongress mit dem Umgang und der Versorgung von Trans-Patientinnen und -Patienten. Hier wurde der Vortrag, anders als auf dem HAI, von einer nichtbinären Person gehalten. Bec MacGregor Legge aus Großbritannien hatte das Thema „Trans specific Healthcare Considerations“, also Betrachtungen zur transspezifischen Gesundheitsversorgung.
Trans-Menschen werden schlechter versorgt
MacGregor Legge führte aus, dass die Angehörigen der Gesundheitsberufe oft nicht wüssten, wie sie am besten mit Trans-Patientinnen und -Patienten umgehen und arbeiten sollen, was dazu führe, dass Trans-Menschen eine schlechtere Versorgung erhielten. Als Beispiel wurde das „Trans-Broken-Arm-Syndrom“ genannt. Es bezeichnet das Phänomen, dass sich oft zeige, wenn Trans-Menschen sich in der Notaufnahme vorstellen. Obwohl sie mit einem gebrochenen Arm kommen, werden sie oft zunächst zur Geschlechtsumwandlung befragt oder alle Beschwerden auf das Trans-Sein zurückgeführt – auch wenn medizinisch keinerlei Zusammenhang besteht.
Durch diese schlechten Erfahrungen haben viele wenig Vertrauen zu Gesundheitspersonal. Erschwerend komme dazu, dass viele Trans-Menschen sexuelle Gewalt erfahren hätten und unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten. Im Akutfall könne diese Konstellation die Versorgung erschweren oder zu Konflikten führen.
Die Aufnahme der Themen Chancengleichheit, Diversität und der dazu erforderliche Kulturwandel in die Foren großer Kongresse zeigen, dass diese Inhalte in der Wahrnehmung weiter nach vorne rücken und die Sensibilität für solche „weichen“ Inhalte im Arbeitsalltag größer wird. Es lässt hoffen, dass hier- durch auf breiter Front Diskussionen angestoßen werden, die in konkreten Veränderungen münden. Am wichtigsten wäre eine diskriminierungsfreie und adäquate Versorgung der LGBTQ+-Patientinnen und -Patienten, sodass diese wieder Vertrauen in das Gesundheitspersonal gewinnen und auf eine angemessene und qualitativ gute Behandlung, besonders im Notfall, vertrauen können.
Im Rettungsdienst müssen Chancengleichheit und Gleichstellung aller Beschäftigten sowie das Aufbrechen von Rollenklischees aktiv von den Verantwortlichen gefordert und gefördert werden. Dann profitieren die Mitarbeitenden, Patientinnen und Patienten sowie die Organisationen von den Vorteilen und verbesserten Kompetenzen divers zusammengesetzter Teams.
E-Mail: sylvia.schacher@evkk.de
Der Artikel von Dr. med. Sylvia Schacher wurde uns von der Zeitschrift Rettungsdienst zum auszugsweisen Abdruck überlassen. Er ist hier gekürzt. Komplett wurde er unter dem Titel „Diversität in der Notfallmedizin: Auf Symposien und Kongressen angekommen“ zuerst hier veröffentlicht: Rettungsdienst, Ausgabe 12/2022, S. 12–15, www.skverlag.de