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Notfallmedizin: Wo sind die Frauen auf Tagungen und in Zeitschriften?

Bei den Herausgeber-Boards und wissenschaftlichen Beiräten der deutschen Fachzeitschriften für Notfallmedizin beträgt der Frauenanteil maximal fünf Prozent – weit unterdurchschnittlich. Das ist nur eines der Ergebnisse einer aktuellen Studie, an der ich beteiligt war. Höchste Zeit für einen Kulturwandel.

Im November 2019 traf ich auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA) Dr. med. Sylvia Schacher, ärztliche Leiterin der Zentralen Notaufnahme im Evangelischen Krankenhaus Köln Kalk. Sie plante, die notfallmedizinischen Tagungen und Zeitschriften in Deutschland auf den Ärztinnenanteil hin zu untersuchen. Ich war sofort begeistert! Und so verfassten wir zusammen mit einer jungen Kollegin aus Bamberg den Beitrag, der im März 2020 – zunächst online – in der Fachzeitschrift „Notfall + Rettungsmedizin“ erschienen ist. Hier die Zusammenfassung des Artikels:

Die Arbeit untersucht beispielhaft diverse deutsche notfallmedizinische Veranstaltungen sowie Fachzeitschriften zwischen 2018 und 2020 auf das Geschlechtergleichgewicht. Zusätzlich wurde die Geschlechterverteilung bei den Mitgliedern der Hauptfachgesellschaft DGINA abgefragt.

Die Ergebnisse sind ernüchternd: überwiegend Männer in allen Bereichen. Dabei war das Motto der letzten Tagung: „Alle an Bord“. Doch selbst dort waren nur 20 Prozent der Referierenden und der Vorsitz weiblich besetzt. Eigentlich hieß es also: „Alle Mann an Bord“. Am schlechtesten schnitt der Deutsche Interdisziplinäre Notfallmedizin Kongress 2019 ab. Dort gab es keine einzige Vorsitzende auf dem Podium und nur 3,6 Prozent der Referierenden waren Frauen. Selbst Webinarfortbildungen wie „Now To Go“ hatten zuletzt nur einen Frauenanteil von um die zehn Prozent zu bieten.

Zusammengefasst beträgt bei 31,8 Prozent Ärztinnen unter den DGINA-Mitgliedern der Frauenanteil bei den Kongressen auf dem Podium nur etwa 20 Prozent. Bei den Fachzeitschriften – in der Schriftleitung sowie im wissenschaftlichen Beirat – sind es lediglich zwei bis fünf Prozent Ärztinnen. Auffällig: Bei den Pflegesessions der DGINA lag der Anteil der Referentinnen bei immerhin 42 Prozent.

Ein Teufelskreis
Fehlen Ärztinnen auf Tagungen und Kongressen, fehlen auch weibliche Vorbilder für junge Kolleginnen. Es entsteht der Eindruck, dass Karriere, Wissenschaft und Führung mit Männern assoziiert seien: der Teufelskreis der Unsichtbarkeit. Eine Ursache: Die RednerInnenlisten werden formlos über sogenannte old boys networks begünstigt. In diesem Orbit kreisen kaum weibliche Namen. Die „old boys“ kommen gar nicht auf die Idee, Referate und Vorsitze paritätisch zu besetzen. Dabei hat eine aktive Teilnahme an Kongressen mit Vorträgen und Diskussionen direkten und indirekten Einfluss auf die Wahrnehmung und Wertigkeit als WissenschaftlerIn und auch auf Stellenvergaben, Forschungsvorhaben und eine wissenschaftliche Karriere.

Mehr Frauen: So geht es
Studien zeigen: Wenn nur eine Frau in einem Organisationskomitee ist und auf das Geschlechtergleichgewicht hingewiesen wird, steigt der Anteil von Rednerinnen signifikant. Der Anteil rein männlich besetzter Sitzungen fällt signifikant (Klein et al. Segal BM et al. [2017] Speaking out about gender imbalance in invited spea kers improves diversity. Nat. Immunol. 18:475-478)

Ebenso kann die Etablierung einiger Regeln oder auch eines Leitbildes für Besserung sorgen. Im Bereich anderer Naturwissenschaften existieren bereits Selbstverpflichtungen führender Wissenschaftler, bei rein männlich besetzten Sitzungen eine Einladung als Redner NICHT anzunehmen.

Konkret empfiehlt Arturo Casadevall, ein US-amerikanischer Professor für molekulare Mikrobiologie, Folgendes:
  • Erhebung der Frauenanteile vergangener Veranstaltungen, um das Ungleichgewicht bewusst zu machen
  • Integration mindestens einer Frau in jedes Programmkomitee, da hier die Schlüsselposition für die Genderverteilung der Tagung liegt
  • Vorgabe, rein männliche Sessions zu vermeiden
Wichtig ist es auch, Listen mit Expertinnen und Experten zum jeweiligen Schwerpunkt zu erstellen, um eine breite Auswahl zu erhalten. Dies wurde beispielsweise durch die Kommission „Frau und Niere“ der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) bereits getan, nachdem wir Kolleginnen uns immer wieder neu über die Verteilung der Geschlechter beim Jahreskongress aufgeregt hatten. So kam eine sehr lange Liste zusammen!

Weitere hilfreiche Maßnahmen sind funktionierende Netzwerke auch für Frauen und Mentoring. Beides ist insgesamt in der deutschen Medizin und insbesondere in der Notfallmedizin noch nicht sehr verbreitet. Der DÄB verfügt über beides, ist aber verglichen mit der Gesamtzahl der Ärztinnen in Deutschland ein eher kleiner Verein. Ein weites Feld ist noch bei der Gremienarbeit zu beackern: Weit über 60 Prozent der Medizinstudierenden sind weiblich, aber die überwiegende Mehrheit derjenigen, die sich berufspolitisch engagieren, ist männlich. Besonders die Fachgesellschaften sind hier gefragt, die adäquate Vertretung aller ihrer Mitglieder zu übernehmen und so Wegbereiter für einen Wandel zu sein: Möglich wäre das etwa durch Mentorinnenprogramme, Regelungen für geschlechtergerechte Verteilung bei Vorträgen und Vorsitzen, Gremien und Ausschüssen.Auch durch die Etablierung von Arbeitsgemeinschaften (AGs) für Gleichstellung, wie bei der DGfN, könnten andere Fachgesellschaften die Gendergerechtigkeit fördern. Diese AGs müssten natürlich auch mit genügend Ressourcen und Plattformen ausgestattet werden, um effektiv zu sein.

Genügend Referentinnen
Zu guter Letzt sollten sich auch die Männer selbst als Wegbereiter für diesen Kulturwandel verstehen, da auch sie durch das Aufbrechen traditioneller Rollenbilder profitieren. Fehlen auf Tagungen die Referentinnen, heißt es oft, meist von Männern, es gebe nicht genügend fachlich qualifizierte Frauen, um mehr Frauen auf die Podien zu bringen.

Das ist falsch. Statistiken belegen, dass Referentinnen über genauso viele Jahre wissenschaftlicher Erfahrung verfügten und sogar in einem höheren Prozentsatz in „High-Impact Journals“ veröffentlicht hatten, wohingegen ein größerer Teil der männlichen Redner keine Erstautorenschaft für wissenschaftliche Veröffentlichungen vorweisen konnte.

Für den 9. Weltforschungskongress der europäischen Palliativmediziner wurde ein Teil des Programms auf Basis anonym vorgelegter Abstracts zusammengestellt. Ergebnis: Der Frauenanteil lag bei 75,8 Prozent. Anders bei den Vorträ-gen, die auf eine Einladung hin zustande kamen. Hier kamen nur 26,1 Prozent Frauen zum Zug. Die fachliche Qualifikation von Frauen ist kein limitierender Faktor. Es steht viel eher zu befürchten, dass auf Tagungen Expertise und Wissen auf der Strecke bleiben, wenn weiterhin zu 80 Prozent Männer referieren, während die Ärztinnen bald 35 Prozent der Gesamtärzteschaft ausmachen.

Fazit für die Zukunft
Eine systematische Förderung der Gleichstellung durch die Fachgesellschaften ist zu fordern, ebenso könnten auch die Veranstalter entsprechende Leitbilder anbieten. Auch für weitere Fachgesellschaften sollte samt ihren Fachzeitschriften eine Betrachtung des Geschlechterverhältnisses wie in diesem Artikel erfolgen, um den Status quo sichtbar zu machen.

Für den DÄB gilt es, mit aller Kraft Kolleginnen zu motivieren, in Fachgesellschaften zunächst einzutreten und dort dann auch Aufgaben zu übernehmen und in Gremien und Programmkomitees mitzuarbeiten. Als Multiplikatorinnen sollten sie dort gezielt wieder Kolleginnen einladen zu Referaten, zum Vorsitz und immer, wirklich immer Kolleginnen benennen, wenn sie nach Referierenden und Vorsitzen, nach Autorinnen für Zeitschriften und Fachbücher gefragt werden.

Christine Hidas ist Vorsitzende der Regionalgruppe Frankfurt des DÄB. Studie: Schacher S., Hidas C. & Derichs D. Notfallmedizinische Tagungen und Zeitschriften in Deutschland – sag mir, wo die Frauen sind. Notfall + Rettungsmed. (2020). Der Zugang ist nur mit Abo oder kostenlosem Testzugang möglich.

E-Mail: Frankfurt@aerztinnenbund.de