Planetary Health im Medizinstudium – ein ausgezeichnetes Projekt
An den Universitäten Gießen und Marburg gibt es seit dem Wintersemester 2020/2021 ein optionales Lehrangebot zum Thema Klimakrise und Gesundheit. Die „Klimasprechstunde“ ist ein studentisch organisiertes Wahlfach für den klinischen Studienabschnitt – und hat den Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre errungen.
Ärzt:innen, wie auch andere Angehörige von Gesundheitsberufen, haben auf doppelte Weise das Potenzial, zur Abmilderung der Klimakrise beizutragen und als Schlüsselfiguren transformativen Handels zu fungieren. Einerseits sind sie befähigt, sich Wissen zu den Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Gesundheit anzueignen und aus diesem Wissen Handlungsempfehlungen abzuleiten. Auf der anderen Seite wird ihnen als Berufsstand großes Vertrauen von der Bevölkerung entgegengebracht.
Aber sind sie auf ihre Schlüsselrolle auch vorbereitet? Was das Medizinstudium anbelangt, lautet die Antwort: kaum. Themen wie „Die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise“ oder „Der Gesundheitssektor als Emittent von Treibhausgasen“ sind trotz ihrer offensichtlichen Relevanz für den Berufsalltag bisher unzureichend in das Kerncurriculum des Medizinstudiums integriert. Doch es gibt inzwischen Ansätze, das zu ändern; etwa an den Universitäten Gießen und Marburg. Dort besteht bereits seit dem Wintersemester 2020/2021 ein optionales Lehrangebot zur Thematik: die „Klimasprechstunde“, ein studentisch organisiertes Wahlfach für den klinischen Studienabschnitt.
Die Idee zum Wahlfach
Der Plan entstand im Juni 2020, im Anschluss an die erste Reihe der Planetary Health Academy, einer Vorlesungsreihe der KLUG e.V. (Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit). Man konnte sie in Gießen im Rahmen des Schwerpunktcurriculums Global Health besuchen. Sechs Studierende aus Gießen und Marburg, die außerdem größtenteils bei Health for Future aktiv sind, entwickelten das Konzept für ein Wahlfach „Klimasprechstunde“. Mittlerweile hat sich das Organisationsteam deutlich vergrößert. Meist sind Studierende dazugestoßen, die das neue Wahlfach zuvor belegt hatten.
Bedeutung für den Beruf
Das Wahlfach orientiert sich am Planetary-Health-Konzept. Sein Ziel: gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten. § 1 der Musterberufsordnung für Ärzt:innen in Deutschland definiert für den Berufsstand eine klare Aufgabe: Neben dem Schutz von Gesundheit und der Linderung von Leid sollen Ärzt:innen an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitwirken. Zusammen mit dem Grundsatz medizinischen Handelns nicht zu schaden ergibt sich hieraus eine besondere Verantwortung und moralische Verpflichtung von Ärzt:innen, die menschengemachte Klimakrise als Gesundheitskrise anzuerkennen, die Auswirkungen auf die Gesundheit zu verstehen und als „Change Agents“ aktiv die Vermittlung und Abmilderung dieser Krise zu gestalten. Denn – und das liegt dem Konzept Planetary Health zugrunde – der Zustand der natürlichen Umwelt und der menschlichen Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden.
Ablauf und Didaktik
Das Wahlfach besteht aus acht 90-minütigen Einheiten sowie einem sechsstündigen Blocktermin, der an einem Samstag gegen Semesterende stattfindet. Während jeweils zwei Studierende des Organisationsteams die Termine vor- und nachbereiten sowie moderieren, werden für den inhaltlichen Teil Expert:innen der jeweiligen Fachbereiche eingeladen. Die Sitzungen sind so aufgebaut, dass die Dozierenden ungefähr 45 Minuten über ein Thema referieren und im Anschluss entweder Diskussionen in der gesamten Gruppe oder in Kleingruppen stattfinden. Teils sind diese auch als „Silent Discussions“ gestaltet, bei denen am Anfang des jeweiligen Treffens auf Plakaten Ideen zu Themen gesammelt und im Anschluss an den inhaltlichen Input noch einmal reflektiert und ergänzt werden. Leitfragen oder Fallbeispiele für Diskussionen und Gruppenarbeiten entwickeln die organisierenden Student:innen in Vorbereitung auf die Einheit. Durch diesen Aufbau
sollen neben der Wissensaneignung auch praktische Fähigkeiten zur klimasensiblen Gesprächsführung erworben werden.
Inhaltlicher Aufbau
Zum Semesterstart geht es zunächst um die Grundlagen der Klimakrise. Anschließend werden die Auswirkungen auf die Gesundheit erarbeitet. So gibt es Termine zur Herz- und Lungengesundheit, zum Themenkomplex Hitze, zur Ernährung sowie abwechselnd zu speziellen Fachgebieten wie Pädiatrie oder Gynäkologie. Seit zwei Semestern findet zudem ein Termin zur Infektiologie statt.
Eine Einheit, die den typischen Ablauf gut darstellt, ist beispielsweise jene zu „Anästhesie und Klimaschutz im Krankenhaus“. Während des theoretischen Inputs wird das enorme Treibhausgaspotenzial einiger Narkosegase wie Desfluran beleuchtet. Ein Best-Practice-Beispiel aus Gießen zeigt dann, wie Desfluran zugunsten des klimafreundlicheren Sevoflurans mit relativ wenig Aufwand weitgehend ersetzt werden konnte. Außerdem wird über prozessbasierte Lebenszyklusanalysen, Waste Audits und differenzierte Recyclingprogramme gesprochen. Im Anschluss diskutieren die Teilnehmenden darüber, wie Klimaschutz im Krankenhaus gelingen kann und was für eine Argumentationsgrundlage gegenüber Entscheidungsträger:innen notwendig ist.
Gegen Ende des Semesters werden die Lehrinhalte immer anwendungsorientierter: In der Einheit „Transformatives Handeln“ werden eigene berufliche wie private Handlungsfelder thematisiert und erarbeitet. Im abschließenden Blocktermin geht es gezielt um klimasensible Gesundheitsberatung und Gesprächstechniken, welche durch praxisnahe Fallvignetten geübt und gefestigt werden.
Implementierung im Kerncurriculum
Dem Organisationsteam des Wahlfachs „Klimasprechstunde“ wurde im letzten Jahr vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur der mit 10 000 Euro dotierte Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre (Kategorie „Studentische Initiative“) verliehen. Und die „Klimasprechstunde“ entwickelt sich weiter: Durch regelmäßige Evaluationen seitens der Teilnehmer:innen wird das Wahlfach stetig reflektiert und angepasst. Derzeit stellt das Projekt, wie oben beschrieben, ein fakultatives Wahlfach dar. Langfristig ist es unser ausdrückliches Anliegen, dass die Thematik verpflichtend ins medizinische Kerncurriculum aufgenommen wird. Dies wird voraussichtlich in Zukunft auch der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog (NKLM) vorsehen und sich in Prüfungsfragen des IMPP widerspiegeln. Studierende beider Universitäten sind bereits im Kontakt mit den jeweiligen Dekanaten, um dafür Lösungen zu erarbeiten und anzuregen, in jedem Fachbereich Bezüge zum Thema Planetare Gesundheit herzustellen.
E-Mail: klima[AT]aerztinnenbund.de
Aber sind sie auf ihre Schlüsselrolle auch vorbereitet? Was das Medizinstudium anbelangt, lautet die Antwort: kaum. Themen wie „Die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise“ oder „Der Gesundheitssektor als Emittent von Treibhausgasen“ sind trotz ihrer offensichtlichen Relevanz für den Berufsalltag bisher unzureichend in das Kerncurriculum des Medizinstudiums integriert. Doch es gibt inzwischen Ansätze, das zu ändern; etwa an den Universitäten Gießen und Marburg. Dort besteht bereits seit dem Wintersemester 2020/2021 ein optionales Lehrangebot zur Thematik: die „Klimasprechstunde“, ein studentisch organisiertes Wahlfach für den klinischen Studienabschnitt.
Die Idee zum Wahlfach
Der Plan entstand im Juni 2020, im Anschluss an die erste Reihe der Planetary Health Academy, einer Vorlesungsreihe der KLUG e.V. (Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit). Man konnte sie in Gießen im Rahmen des Schwerpunktcurriculums Global Health besuchen. Sechs Studierende aus Gießen und Marburg, die außerdem größtenteils bei Health for Future aktiv sind, entwickelten das Konzept für ein Wahlfach „Klimasprechstunde“. Mittlerweile hat sich das Organisationsteam deutlich vergrößert. Meist sind Studierende dazugestoßen, die das neue Wahlfach zuvor belegt hatten.
Bedeutung für den Beruf
Das Wahlfach orientiert sich am Planetary-Health-Konzept. Sein Ziel: gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten. § 1 der Musterberufsordnung für Ärzt:innen in Deutschland definiert für den Berufsstand eine klare Aufgabe: Neben dem Schutz von Gesundheit und der Linderung von Leid sollen Ärzt:innen an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitwirken. Zusammen mit dem Grundsatz medizinischen Handelns nicht zu schaden ergibt sich hieraus eine besondere Verantwortung und moralische Verpflichtung von Ärzt:innen, die menschengemachte Klimakrise als Gesundheitskrise anzuerkennen, die Auswirkungen auf die Gesundheit zu verstehen und als „Change Agents“ aktiv die Vermittlung und Abmilderung dieser Krise zu gestalten. Denn – und das liegt dem Konzept Planetary Health zugrunde – der Zustand der natürlichen Umwelt und der menschlichen Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden.
Ablauf und Didaktik
Das Wahlfach besteht aus acht 90-minütigen Einheiten sowie einem sechsstündigen Blocktermin, der an einem Samstag gegen Semesterende stattfindet. Während jeweils zwei Studierende des Organisationsteams die Termine vor- und nachbereiten sowie moderieren, werden für den inhaltlichen Teil Expert:innen der jeweiligen Fachbereiche eingeladen. Die Sitzungen sind so aufgebaut, dass die Dozierenden ungefähr 45 Minuten über ein Thema referieren und im Anschluss entweder Diskussionen in der gesamten Gruppe oder in Kleingruppen stattfinden. Teils sind diese auch als „Silent Discussions“ gestaltet, bei denen am Anfang des jeweiligen Treffens auf Plakaten Ideen zu Themen gesammelt und im Anschluss an den inhaltlichen Input noch einmal reflektiert und ergänzt werden. Leitfragen oder Fallbeispiele für Diskussionen und Gruppenarbeiten entwickeln die organisierenden Student:innen in Vorbereitung auf die Einheit. Durch diesen Aufbau
sollen neben der Wissensaneignung auch praktische Fähigkeiten zur klimasensiblen Gesprächsführung erworben werden.
Inhaltlicher Aufbau
Zum Semesterstart geht es zunächst um die Grundlagen der Klimakrise. Anschließend werden die Auswirkungen auf die Gesundheit erarbeitet. So gibt es Termine zur Herz- und Lungengesundheit, zum Themenkomplex Hitze, zur Ernährung sowie abwechselnd zu speziellen Fachgebieten wie Pädiatrie oder Gynäkologie. Seit zwei Semestern findet zudem ein Termin zur Infektiologie statt.
Eine Einheit, die den typischen Ablauf gut darstellt, ist beispielsweise jene zu „Anästhesie und Klimaschutz im Krankenhaus“. Während des theoretischen Inputs wird das enorme Treibhausgaspotenzial einiger Narkosegase wie Desfluran beleuchtet. Ein Best-Practice-Beispiel aus Gießen zeigt dann, wie Desfluran zugunsten des klimafreundlicheren Sevoflurans mit relativ wenig Aufwand weitgehend ersetzt werden konnte. Außerdem wird über prozessbasierte Lebenszyklusanalysen, Waste Audits und differenzierte Recyclingprogramme gesprochen. Im Anschluss diskutieren die Teilnehmenden darüber, wie Klimaschutz im Krankenhaus gelingen kann und was für eine Argumentationsgrundlage gegenüber Entscheidungsträger:innen notwendig ist.
Gegen Ende des Semesters werden die Lehrinhalte immer anwendungsorientierter: In der Einheit „Transformatives Handeln“ werden eigene berufliche wie private Handlungsfelder thematisiert und erarbeitet. Im abschließenden Blocktermin geht es gezielt um klimasensible Gesundheitsberatung und Gesprächstechniken, welche durch praxisnahe Fallvignetten geübt und gefestigt werden.
Implementierung im Kerncurriculum
Dem Organisationsteam des Wahlfachs „Klimasprechstunde“ wurde im letzten Jahr vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur der mit 10 000 Euro dotierte Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre (Kategorie „Studentische Initiative“) verliehen. Und die „Klimasprechstunde“ entwickelt sich weiter: Durch regelmäßige Evaluationen seitens der Teilnehmer:innen wird das Wahlfach stetig reflektiert und angepasst. Derzeit stellt das Projekt, wie oben beschrieben, ein fakultatives Wahlfach dar. Langfristig ist es unser ausdrückliches Anliegen, dass die Thematik verpflichtend ins medizinische Kerncurriculum aufgenommen wird. Dies wird voraussichtlich in Zukunft auch der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog (NKLM) vorsehen und sich in Prüfungsfragen des IMPP widerspiegeln. Studierende beider Universitäten sind bereits im Kontakt mit den jeweiligen Dekanaten, um dafür Lösungen zu erarbeiten und anzuregen, in jedem Fachbereich Bezüge zum Thema Planetare Gesundheit herzustellen.
E-Mail: klima[AT]aerztinnenbund.de