Stellungnahme zur gegenwärtigen Diskussion um die Brustkrebsfrüherkennung in Deutschland

DEUTSCHER ÄRZTINNENBUND e. V. / DER VORSTAND:

Das Mammakarzinom ist eines der bedeutendsten Gesundheitsprobleme für Frauen in Deutschland mit einer immer noch zu hohen Sterblichkeit. Mit der früheren Erkennung der Erkrankung verbinden sich viele Hoffnungen. Daher hat der DÄB sich schon seit vielen Jahren intensiv mit den Voraussetzungen, Möglichkeiten und Konsequenzen der Früherkennung des Brustkrebses befasst, insbesondere auch mit der Brustselbstuntersuchung.
Der DÄB begrüsst alle Anstrengungen, in Deutschland gezielt zur Verminderung der Brustkrebsproblematik beizutragen. Dabei hat der DÄB immer betont, dass auch die unerwünschten Begleiterscheinungen der Früherkennung aus medizinischer und psychologischer Sicht Berücksichtigung finden müssen, um Frauen vor unnötigen Belastungen möglichst zu bewahren.
Insbesondere hält es der DÄB für unerlässlich, für sämtliche Früherkennungsuntersuchungen sinnvoll strukturierte Qualitätskontrollen sicherzustellen. Gleichzeitig sieht der DÄB die Notwendigkeit, im Rahmen des Gesundheitssystems als Ganzem die vorhandenen Ressourcen der medizinischen Versorgung möglichst effektiv zu nutzen.

In Bezug auf das mammografische Screening stellt der DÄB fest, dass die internationale Diskussion um das dadurch erreichbare Ausmass der Sterblichkeitsverminderung keineswegs abgeschlossen ist, sondern dass vielmehr der Wert des mammografischen Screenings bisher möglicherweise überschätzt und der von Tastuntersuchungen, insbesondere der gründlichen professionellen Abtastung, möglicherweise unterschätzt worden ist. Insbesondere stellt der DÄB mit Bedauern fest, dass es bisher in keinem der Länder, die mammografisches Screening eingeführt haben (England, Schweden, Holland, Kanada), zu einer eindeutig nachweisbaren Verminderung der Sterblichkeit an Mammakarzinom dadurch gekommen ist. Darüberhinaus hat eine kürzlich erstmals veröffentlichte systematische Bewertung der methodischen Qualität der publizierten Mammografiestudien enttäuschende Ergebnisse erbracht, die zu vermehrter Vorsicht beim Einsatz der Mammografie Anlass geben. Wichtige Fragen in Bezug auf die effektivste Art der Früherkennung des Brustkrebses sind daher aus Sicht des DÄB noch ungeklärt, sodass weitere Forschung erforderlich ist. Somit hält der DÄB die derzeitigen Projekte, das mammografische Screening in Deutschland ausserhalb von kontrollierten Studien zu implementieren, für wissenschaftlich und ethisch nicht mehr vertretbar und fordert entsprechende Ergänzungen der bestehenden Protokolle.

Auch hält der DÄB die vorgeschlagenen Organisationsformen des Screenings (Bildung neuer, von den bisherigen Versorgungsstrukturen weitgehend getrennt agierender "Mammazentren") für nicht zeitgemäss und für nicht zumutbar für die Frauen sowie Ärzte und Ärztinnen in diesem Lande, und daher für modifikationsbedürftig. Insbesondere darf eine Frau aus Sicht des DÄB dem Screening nicht ohne individuelle ärztliche Betreuung durch einen Arzt bzw. eine Ärztin ihres Vertrauens ausgesetzt werden. In diesem Sinne spricht sich der DÄB auch gegen sogenannte "Mammobile" aus. Der DÄB sieht darin eine Rückkehr zu autoritär angeordneten Reihenuntersuchungen und eine Negierung des jahrzehntelangen Kampfes sowohl des DÄB als auch anderer frauengesundheitspolitisch orientierter Gruppierungen für eine selbstbestimmte und informierte medizinische Versorgung der Bevölkerung.
  • die Frage klären helfen, ob gründliches ärztliches Abtasten gemeinsam mit BSE einen nennenswerten Nutzen in Bezug auf Früherkennung haben könnte, wie die qualitativ hoch bewerteten Screening-Studien vermuten lassen. Hier hält der DÄB eine randomisiert-kontrollierte Studie für sinnvoll, die das mammografische Screening mit der gründlichen professionellen Abtastung und Anleitung zur BSE direkt vergleicht. Eine derartige Studie ist vom Deutschen Krebsforschungszentrum erarbeitet worden [Miller, 2000] und sollte baldmöglichst durchgeführt werden. Mit dieser Studie würden die Ziele des bisherigen, vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Mammaprojektes in Bezug auf die Qualitätssicherung der Mammografie ebenfalls erreicht, und darüberhinaus wichtige Fragen für die zukünftige Versorgung von Frauen geklärt.
  • die vorhandenen medizinischen Versorgungsstrukturen in Deutschland nutzen, verbessern und ausbauen. Es gilt, alle interessierten gynäkologisch und radiologisch tätigen Ärztinnen und Ärzte gezielt in die Screening-Massnahmen einzubinden, entsprechend fortzubilden und zu qualifizieren. Nur so kann die aus Sicht des DÄB unabdingbare individuelle Beratung und Begleitung der Frauen sichergestellt werden.
  • eine sofortige Qualitätsverbesserung der Diagnostik sowohl in gynäkologischen wie in radiologischen Praxen ermöglichen, sodass Fehldiagnosen minimiert werden.
  • die Europäischen Richtlinien auf ihre Sinnhaftigkeit in Bezug auf die deutschen Erfordernisse inhaltlich überprüfen und sinnvolle Massnahmen für die hiesige Versorgungsstruktur daraus ableiten. Dazu gehört aus Sicht des DÄB die umfassende Einbindung aller interessierten radiologischen Praxen in eine Logistik, die den teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen die Mitbeurteilung von ausreichend vielen Screening-Mammografien ermöglicht. Das erwähnte Studienprotokoll berücksichtigt diese Aspekte gezielt.
  • regionale und nationale Screening-Koordinationszentren aufbauen zur Unterstützung und Organisation sowie zur umfassenden Dokumentation und Qualitätssicherung der Früherkennungsaktivitäten in Deutschland. Solche Zentren hätten jedoch keine direkte Rolle im Management der Frauen zu spielen.
  • systematische psychosoziale Begleitforschung in jedes Brustkrebs-Früherkennungsprojekt einbringen, um die Auswirkungen auf die Lebensqualität von Frauen festzustellen und um jene Frauen gezielt unterstützen zu können, die unter den Nebenwirkungen des Screenings besonders zu leiden haben. Innerhalb des o.g. Screening-Studienprotokolls ist Platz für derartige Forschung vorgesehen.
  • die informierte schriftiche Zustimmung der Frauen vor dem Screening voraussetzen. Dies ist im vorgeschlagenen Projekt der Fall.
  • einen raschen Zugang zu qualitativ hochwertiger Diagnostik auch in entlegenen Landesteilen ermöglicht. Das vorgeschlagene Ergänzungsprotokoll des DKFZ erfüllt diese Ziele.