Foto: Jochen Rolfes

Steter Tropfen höhlt den Stein:
Gendersensible Sprache auf dem Deutschen Ärztetag

Ähnlich wie in der Diskussion um die Einführung einer Quote gibt es beim Thema gendersensible Sprache viele, die nicht zu überzeugen sind. Aber es gibt auch viele, die, wie ich, anfänglich zurückhaltend reagierten, die Bedeutung dieser sprachlichen Unterscheidungen inzwischen aber verstanden haben. Im Umfeld meiner Aktivitäten bei Frauenverbänden ist meine Sensibilität über die Jahre gewachsen. Zum Beispiel fiel mir auf, dass ich, solange ich denken kann, mich nie selbst als „Arzt“ bezeichnet hätte.

In § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung von Frauen und Männern NRW (Landesgleichstellungsgesetz; LGG) heißt es zur Sprache: „Gesetze und andere Rechtsvorschriften tragen sprachlich der Gleichstellung von Frauen und Männern Rechnung. In der internen wie externen dienstlichen Kommunikation ist die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu beachten. In Vordrucken sind geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen zu verwenden. Sofern diese nicht gefunden werden können, sind die weibliche und die männliche Sprachform zu verwenden.“ Wenn also in amtlichen Papieren die weibliche und männliche Form stehen muss, dann sollte überall überlegt werden, wie das zu handhaben ist. Ja, auch ich finde gendern manchmal schwierig. Aber ich bin dankbar, dass es oft Begriffe gibt, die helfen: Studierende ist ein wunderbares Bespiel. Dennoch bleibt eine gewisse Skepsis bezüglich einer gelingenden Ausführung.

Mächtige Bilder im Kopf

Warum setze ich mich trotz gewisser Schwierigkeiten dafür ein, dass gendersensible Sprache zur Normalität werden muss? Es hat etwas mit der Erfahrung zu tun, wie mächtig Bilder in uns arbeiten. Ein Teil meiner psychotherapeutischen Arbeit mit Patient:innen beruht auf Verfahren, innere Bilder zu verändern. Ein Beispiel: Sprechen wir den Begriff Arzt aus, entsteht das Bild eines Mannes.

Nur durch unsere tägliche Erfahrung mit fast 50 Prozent Ärztinnen beginnen wir das Bild zu verändern und letztendlich können wir dann entscheiden, ob wir einen Arzt oder eine Ärztin vor uns sehen. Sprechen wir den Begriff Chefarzt aus, kommt nur sehr schwer die weibliche Vorstellung einer Chef­ärztin in unserem Kopf an. Und da Bilder auch für Ziele und Lebensperspektiven notwendig sind, wird hier schon ein Pro­blem sichtbar: Die Position der Chefärztin als Ziel fällt weitgehend aus.

Bereits auf dem letztjährigen Deutschen Ärztetag (DÄT) war spürbar, dass das Bewusstsein sich wandelte. Wurden zuvor Anträge zur gendergerechten Sprache – wie ich selbst erleben musste – mit Ablehnung oder gar Nichtbefassung abgestimmt, war die erste Veränderung beim 124. DÄT spürbar beim Antrag (I-02) „Sprache schafft Wahrnehmung“ von Christine Neumann-Grutzeck et al. Dieser Antrag, in dem die Verwendung gendersensibler Sprache durch die Bundesärztekammer gefordert wurde, aber auch die Anpassung der Bezeichnungen der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, wurde nicht abgeschmettert – sondern an den Vorstand überwiesen. Dort wurde er diskutiert, bearbeitet, dann aber doch abgelehnt.

Positive Abstimmung

Auf dem 126. DÄT in Bremen wurden von Helene Michler et al. zwei Anträge zum Thema gestellt und positiv abgestimmt. In Antrag Ic-46 „Gendersensible Sprache ermöglichen“ werden gendersensible Formulierungen während des DÄT gefordert, um damit entsprechend Antrag Ic-48 „Sprachliche Re­präsentation von Ärztinnen“ sowohl ein Mittel zu schaffen für die wertschätzende Ansprache gegenüber Menschen jeglicher Geschlechtsidentität als auch die Sichtbarkeit sowie Repräsentation von Ärztinnen zu verbessern. Auch wird der Vorstand der Bundesärztekammer aufgefordert, Voraussetzungen für gendersensible Bezeichnungen der berufspolitischen Organisationen (Ärztekammern) sowie ihrer Hauptversammlung (Ärztetag) zu schaffen. Sprache hat sich immer verändert, Sprache wird sich auch in diesem Fall verändern. Ich denke, in 20 Jahren wird man über die verhärteten Grenzen bei der Diskussion um die gendersensible Sprache schmunzeln.

Dr. med. Christiane Groß, M.A., ist Präsidentin des DÄB und Delegierte der Ärztekammer Nordrhein am 126. DÄT.