Wer war Dr. Lena Ohnesorge?

Dr. Lena Ohnesorge
Am 12. August 1987, verstarb in Bochum Frau Dr. Lena Ohnesorge, deren Wirkungskreis sich von Prenzlau aus auf Schleswig-Holstein und die gesamte Bundesrepublik erstreckte.

Als Lena Voss wurde die Fabrikantentochter als zweites von vier Kindern am 17. Juli 1898 in Prenzlau geboren, besuchte in ihrer Vaterstadt die höhere Töchterschule sowie das Lyzeum und Oberlyzeum, welches sie mit einer Lehrerinnenprüfung abschloss, und beendete ihre Schulausbildung mit einem ausgezeichneten Abitur in der Studienanstalt Stettin. Danach studierte sie Humanmedizin in Berlin, Marburg, Würzburg, Innsbruck, Greifswald und Kiel. Hier legte die Prenzlauerin 1923 ihr medizinisches Staatsexamen mit einem sehr guten Resultat ab und promovierte mit einem gleichen Prädikat im gleichen Jahr mit einer Arbeit über Mumps in Kieler Schulen. Ihre Zeit als Medizinalassistentin absolvierte sie im Kreiskrankenhaus Prenzlau und in einem Kinderkrankenhaus in Berlin.1924 heiratete sie den Prenzlauer Arzt Dr. Hans Ohnesorge (1892-1953) und war von 1925 bis 1945 in dem familieneigenen Haus in Prenzlau, Brüssower Straße 1, als praktische Ärztin tätig. Nebenamtlich arbeitete sie als Vertragsärztin in der Provinzialfürsorgeanstalt für Mädchen und in der Provinzialpflege- und Siechenanstalt Prenzlau.

Von Januar bis April 1945 leistete Dr. Ohnesorge jede Nacht Notdienst und half schwer erkrankten Flüchtlingen, deren Trecks durch die Stadt zogen, bei Erfrierungen, akuten Infektionskrankheiten, schwersten Ernährungs- und übergroßen Schmerzzuständen, bevor diese völlig erschöpften Personen am nächsten Morgen ihre Flucht vor den sowjetischen Truppen in westliche Richtung fortsetzten. Erst als sich die Front bereits hörbar genähert hatte, verließ die Ärztin als eine der Letzten mit ihren drei Töchtern und ihrer alten Mutter nach einem schweren Bombenangriff am 20. April 1945 Prenzlau und traf über verschiedene Zwischenstationen in Mecklenburg im Juni 1945 in Lübeck ein, wo sie quasi aus dem Nichts heraus in der Musterbahn 1 eine neue allgemeinärztliche Praxis einrichtete. Dr. Lena Ohnesorge wurde politisch aktiv und kämpfte mit Energie, Kraft und Durchsetzungsvermögen für die Eingliederung der Vertriebenen. In Erinnerung an Rudolf Virchow, der einmal den Satz prägte: „Der Arzt ist der berufene Anwalt der Armen.“, erweiterte sie sein Postulat wie folgt: „Er ist der berufene Anwalt überall für eine notbedrohte und notleidende Gesellschaft.“

Als Mitbegründerin des Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) vertrat sie besonders die Interessen der Flüchtlinge, Kriegsheimkehrer und Frauen. Durch ihr erfolgreiches Wirken bekannt geworden, gehörte die Medizinerin von 1950 bis 1958 dem Vorstand der BHE-Landtagsfraktion Schleswig-Holsteins an und galt als Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheitswesen als der „Schrecken der Landräte“, von denen sie verlangte, dass diese grobe Mängel in der gesundheitlichen Betreuung der Vertriebenen sofort beseitigen. Obwohl Dr. Lena Ohnesorge als „Linke“ galt, holte sie der konservative Ministerpräsident Kai Uwe von Hassel im Oktober 1957 als Ministerin für Arbeit, Soziales und Vertrieben in sein Kabinett. Im Jahr 1959 wurde sie Mitglied der CDU. Dr. Ohnesorge schied erst nach nahezu zehnjähriger Tätigkeit – damals bereits 68jährig – aus dem Ministeramt aus. Als Ministerin setzte sie sich für den Wohnungsbau für sozial Schwache, die Verbesserung der Stellung der Frau in Staat, Beruf und Gesellschaft und für die älteren Mitbürger ein.

Von 1965 bis 1973 war Dr. Lena Ohnesorge Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Für ihre großen Verdienste und ihr hohes soziales Engagement wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband und der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft (1974) geehrt.

Ihre Heimat, das Land Brandenburg, hat sie nie vergessen. Noch im Alter von 86 Jahren schrieb diese einen wertvollen medizinhistorischen Beitrag über das Medizinalwesen in Prenzlau vor 1945.

Dr. med. H. Schneider, Mahlow