Genderbasierte Diskriminierung von Studentinnen und Ärztinnen
Ergebnisse einer Online-Umfrage der Georg-August-Universität Göttingen
In der Studie haben wir uns mit genderbasierter Diskriminierung (GBD) in der medizinischen Ausbildung und Berufspraxis in Deutschland beschäftigt. Darunter verstehen wir die systematische Benachteiligung aufgrund der zugeschriebenen Geschlechtszugehörigkeit. Frühere Arbeiten konzentrierten sich häufig auf sexuelle Belästigung. Unsere Studie betrachtet ein breiteres Spektrum von Erfahrungen, z. B. strukturelle Benachteiligungen und stereotype Erwartungen an geschlechtsspezifisches Verhalten. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass GBD vielfältige negative Auswirkungen auf Gesundheit, Karriere und Organisationsklima haben kann. Ursachen sind auf verschiedenen Ebenen verortet: Makroebene (kulturelle Normen und patriarchale Strukturen), Mesoebene (organisationale Prozesse und Strukturen) und Mikroebene (individuelle Einstellungen und Wahrnehmungsverzerrungen). Die ausgeprägte Hierarchie und wirtschaftliche Ausrichtung in medizinischen Einrichtungen kann GBD zusätzlich verstärken.
Befragt wurden 392 Frauen (157 Ärztinnen, 235 Medizinstudentinnen) aus fünf norddeutschen Universitätskliniken zu ihrer Selbstwirksamkeitserwartung und ihrer Einschätzung eines Glasdeckeneffekts für Frauen in der Medizin. Aus beiden Gruppen gaben jeweils ca. 75 % an, GBD erlebt zu haben. Anhand einer offenen Frage konnten die Befragten ihre persönlichen Erfahrungen mit GBD schildern. Die qualitativen Antworten wurden nach Mayrings Methode ausgewertet und inhaltlich kategorisiert. Die induktiv gewonnenen Kategorien wurden anschließend quantitativ auf ihre Häufigkeit hin analysiert. Fünf Hauptkategorien von GBD-Erfahrungen wurden identifiziert:
Die Studie unterstreicht die Dringlichkeit struktureller Veränderungen, um GBD systematisch zu erkennen und zu bekämpfen und so eine gleichberechtigte, faire Arbeitsumgebung für alle Geschlechter zu schaffen. Wir plädieren dafür, GBD als gesamtgesellschaftlich verankertes Phänomen ernst zu nehmen und durch gezielte, langfristige Interventionen anzugehen.
E-Mail: mboos@uni-goettingen.de
Jan-Filip Tameling, Mareike Lohöfener, Judith Bereznai, Thi Phuong Anh Tran, Marie Ritter & Margarete Boos (2023). In: GMS Journal for Medical Education. Vol. 40(6).
Befragt wurden 392 Frauen (157 Ärztinnen, 235 Medizinstudentinnen) aus fünf norddeutschen Universitätskliniken zu ihrer Selbstwirksamkeitserwartung und ihrer Einschätzung eines Glasdeckeneffekts für Frauen in der Medizin. Aus beiden Gruppen gaben jeweils ca. 75 % an, GBD erlebt zu haben. Anhand einer offenen Frage konnten die Befragten ihre persönlichen Erfahrungen mit GBD schildern. Die qualitativen Antworten wurden nach Mayrings Methode ausgewertet und inhaltlich kategorisiert. Die induktiv gewonnenen Kategorien wurden anschließend quantitativ auf ihre Häufigkeit hin analysiert. Fünf Hauptkategorien von GBD-Erfahrungen wurden identifiziert:
- Sexuelle Belästigung (verbal/körperlich)
- Diskriminierung aufgrund von Mutterschaft (strukturell/verbal)
- Unmittelbare Bevorzugung von Männern
- Unmittelbare Vernachlässigung von Frauen
- Herabwürdigender Umgang aufgrund des Geschlechts
„Bei der Genehmigung einer (...) Weiterbildung forderte mein Chef mich auf, wie ein Hund Sitz zu machen.“Ärztinnen berichteten häufiger über alle Kategorien von GBD. Nur der herabwürdigende Umgang wurde häufiger von Studentinnen genannt. Besonders oft genannt: strukturelle Benachteiligung aufgrund von tatsächlicher/potenzieller Mutterschaft. Grund ist hierfür in erster Linie die ökonomische Bewertung weiblicher Arbeitskraft als „weniger verfügbar“ durch Schwangerschaft, Elternzeit oder Care-Arbeit. Unsere Ergebnisse legen außerdem nahe, dass Ärztinnen mit zunehmender Dauer ihrer Berufslaufbahn stärkeren GBD-Erfahrungen ausgesetzt sind. Dies kann sowohl mit längerer Exposition als auch mit den Machtverhältnissen auf höheren Karrierestufen zusammenhängen.
„Inadäquate Kritik durch Vorgesetzten: nicht so viele Schuhe kaufen, sondern lieber mal vernünftige Arbeit machen.“
„Wenn Sie erst mal Kinder haben, werden Sie hier nicht mehr zu gebrauchen sein.“
Die Studie unterstreicht die Dringlichkeit struktureller Veränderungen, um GBD systematisch zu erkennen und zu bekämpfen und so eine gleichberechtigte, faire Arbeitsumgebung für alle Geschlechter zu schaffen. Wir plädieren dafür, GBD als gesamtgesellschaftlich verankertes Phänomen ernst zu nehmen und durch gezielte, langfristige Interventionen anzugehen.
E-Mail: mboos@uni-goettingen.de
Jan-Filip Tameling, Mareike Lohöfener, Judith Bereznai, Thi Phuong Anh Tran, Marie Ritter & Margarete Boos (2023). In: GMS Journal for Medical Education. Vol. 40(6).