Foto: privat
Foto: privat

Ernährungswende jetzt: Die neue Bundesregierung muss handeln!

Ein breites Bündnis aus Ernährungs-, Gesundheits- und Umweltorganisationen drängt auf eine zukunftsfähige Ernährungspolitik, bevor die Kosten für Gesellschaft und Wirtschaft weiter steigen.

Unser Ernährungssystem ist maßgeblich verantwortlich für das drohende Überschreiten von mindestens fünf planetaren Grenzen: Klimawandel, Biodiversität, Landnutzungsänderung, Wasserverbrauch und Stickstoff-Kreislauf. Warum ist das so? Rund ein Drittel der globalen menschengemachten Treibhausgasemissionen sind auf unser Ernährungssystem zurückzuführen: Hauptverursacher der Emissionen ist die Produktion tierischer Lebensmittel. Unsere Landwirtschaft ist verantwortlich für den Großteil der globalen Entwaldung, insbesondere in den Tropen. Unser Ernährungssystem ist Haupttreiber des weltweiten Artensterbens. Auch die Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden sowie die Veränderung von Nährstoffkreisläufen sind zum großen Teil auf unsere Landwirtschaft zurückzuführen. Zudem herrscht große Ungerechtigkeit: Während ein Drittel der weltweit verfügbaren Kalorien an Nutztiere verfüttert und global rund 80 % der landwirtschaftlichen Flächen für die Herstellung von tierischen Lebensmitteln genutzt werden, leiden fast 10 % der Weltbevölkerung unter chronischem Hunger. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Klimakrise als größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert ein. Umweltveränderungen wie die Klimakrise und der Verlust fruchtbarer Böden beeinflussen unsere Ernährungssicherheit. Die Häufigkeit von Ernteausfällen nimmt mit steigender Erderhitzung und häufigeren Extremwetterereignissen zu.

Als Zielsetzung für Deutschland sollte laut dem Bündnis #ErnährungswendeAnpacken ein Ernährungssystem gelten, das die planetaren Grenzen einhält und das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele gewährleistet. Andernfalls drohen erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Kosten in den Bereichen Gesundheit, Umweltschutz und soziale Teilhabe. Eine Lösung für die gesundheitlichen und ökologischen Probleme liegt u. a. in einer Ernährungsumstellung hin zu einer vollwertigen, überwiegend pflanzenbasierten Ernährung wie der „Planetary Health Diet“. Diese umfasst vor allem den Verzehr von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen; Milchprodukte sollten nur in Maßen und Fleisch, besonders rotes, nur sparsam konsumiert werden. Mit dieser Strategie könnte man Menschen weltweit bis zum Jahr 2050 nachhaltig und gesund ernähren, zeigt ein 2019 veröffentlichter Report der EAT-Lancet-Kommission (weitere Infos siehe ärztin 03/2024: 21 f).


Auf dieser wissenschaftlichen Basis empfiehlt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in ihren nationalen Verzehrempfehlungen eine pflanzenbasierte Kost. Somit brauchen wir die Stärkung einer pflanzenbetonten Ernährung und Landwirtschaft. Der Selbstversorgungsgrad mit Obst, Gemüse und pflanzlichen Proteinquellen in Deutschland muss erhöht werden – das heißt eine Förderung einerseits von Anbau und andererseits von Vermarktung (also kurze Lieferwege sowie regionale Verarbeitung und Verteilung) von heimischem Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen. Gleichzeitig müssten Schritte unternommen werden, um die Nutztierzahlen und den Konsum tierischer Produkte in Deutschland deutlich zu reduzieren. Hier wird Qualität (inklusive Kennzeichnung) statt Quantität gefordert. Auch sollten die wahren Kosten von Lebensmitteln eingepreist werden („True Cost Accounting“). Das bedeutet, dass die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Kosten von Produkten von den Verursacherinnen und Verursachern getragen werden müssen. Damit müsste Fleisch beispielsweise erheblich teurer werden. 

Des Weiteren sollte eine gesunde und nachhaltige Ernährung für alle Verbraucherinnen und Verbraucher leistbar sein und zur einfachsten Wahl werden. Hierfür wäre es sinnvoll, Mehrwertsteuer für gesunde und pflanzliche Nahrungsmittel wegfallen zu lassen. Zudem muss eine Anpassung der Sozialleistungen erfolgen, damit sich auch einkommensschwache Bevölkerungsgruppen gesundes Essen leisten können: Das Bündnis fordert die Umsetzung des Rechts auf angemessene Nahrung als Teil der Daseinsvorsorge. Hier werden insbesondere Kinder und Jugendliche in den Fokus genommen, denn nach Angaben von "Save the Children” ist in Deutschland jedes fünfte Kind von Armut betroffen. Daher wird zusätzlich gefordert, eine beitragsfreie und qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpflegung zum bundesweiten Standard zu machen. Gleiche Bildungs- und Entwicklungschancen bedeute auch, dass kein Kind mit leerem Magen lernen muss. Wenn sich alle Bevölkerungsschichten gesunde Ernährung leisten können, wenn Auswirkungen der Ernährungsgewohnheiten auf Umwelt und Gesundheit für alle nachvollziehbar sind, dann kann eine Ernährungs- und Gesundheitswende gelingen. Für diesen Prozess wird nachvollziehbares und transparentes Monitoring gefordert, um Auswirkungen unserer Ernährungsgewohnheiten auf Umwelt, Gesundheit und Sozialverträglichkeit zu bilanzieren.

Ein gesundes und nachhaltiges Mittagessen würde Kinder und Jugendliche auch informieren und ihnen den Wert dieser Ernährung näherbringen. Somit könnte die Basis für gesundheitsfördernde Ernährungsvorlieben und Umweltbewusstsein gelegt werden. In dieses Thema greift auch die Forderung nach einem Verbot für Werbung ungesunder Nahrungsmittel. Vor allem Kinder und Jugendliche würden gezielt durch Werbung für Lebensmittel, die viel Zucker, Fett oder Salz enthalten, in ihrem Ess- und Kaufverhalten beeinflusst. Zu begrüßen wäre zudem, für Konsumentinnen und Konsumenten jeden Alters ein einheitliches System zur Kennzeichnung von Nachhaltigkeitskriterien und ein etablierter Nutri-Score für mehr Orientierungshilfe beim Einkauf von verarbeiteten Lebensmitteln.

Das Thema „Edukation“ und „Prävention“ durch gesunde und nachhaltige Ernährung berührt unser ärztliches Handeln. Im Jahr 2023 hat die Bundesärztekammer in ihrem Positionspapier die Bedeutung von Ernährung für die menschliche und planetare Gesundheit beschlossen und darin empfohlen, dem Thema Ernährung bei der Beratung eine Schlüsselrolle zukommen zu lassen. Wir Ärztinnen und Ärzte sollten uns dem Thema „Ernährung“ annehmen, die aktuellen Empfehlungen kennen und diese weitergeben. Aufklärungsmaterial finden Sie zum Beispiel bei KLUG e. V. (Flyer: Gesund Essen – Gutes Klima) oder bei den KlimaDocs (Flyer: Gut für das Klima – doppelt gut für mich).

Ein besonders wichtiger Hebel für die Ernährungswende wird deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, dass etwa 16 Millionen Menschen täglich in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung essen. Das Bündnis fordert daher eine flächendeckende Einführung der Qualitätsstandards der DGE in Kitas, Schulen, Pflegeheimen, Krankenhäusern und Betriebskantinen bis 2030 und eine sukzessive Erhöhung des Anteils an Bioprodukten (50 % bis 2030) sowie verpflichtende Maßnahmen zur Messung und Vermeidung von Lebensmittelabfällen.

Krankenhäuser sollten aus Sicht vieler Gesundheitsverbände beim Thema Ernährung eine besondere Vorbildfunktion einnehmen. Aktuell ist die Kost in Kliniken häufig weder gesundheitsförderlich noch gesund für die Ökosysteme unseres Planeten. Der ökologische Fußabdruck eines Krankenhauses ist beträchtlich. Rund 17 % der von Krankenhäusern verursachten Treibhausgasemissionen entfallen auf die Verpflegung von Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitenden.

Um diesen negativen Umwelteinfluss zu reduzieren, geht das Universitätsklinikum Essen mit der Initiative „Green Hospital Food“-Initiative mit gutem Beispiel voran. Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitende werden hier künftig mit pflanzenbasierten und umweltfreundlichen Speisen nach den Empfehlungen der Planetary Health Diet verpflegt. Dazu wurde ein mit allen Beteiligten inklusive Caterer und Lieferanten abgestimmtes Konzept zur Umstellung erarbeitet. Für viele Kliniken ist die mangelnde Finanzierung der Verpflegung problematisch: Für durchschnittlich etwa 5 € pro Tag und Mensch müssen drei Mahlzeiten zubereitet werden – auch hier besteht unbedingt Nachbesserungsbedarf!

Allerdings ist laut Projektleitung „Green Hospital Food“ zwar ein einmaliger finanzieller Mehraufwand mit der Umsetzung einer Planetary Health Diet an Krankenhäusern verbunden, z. B. durch die Veränderung von Rezepten, die Sensibilisierung der Beschäftigten, durch einen Lieferantenwechsel oder andere Raumaufteilungen (mehr Platz für die Lagerung von frischem Obst und Gemüse). Auf der anderen Seite ließen sich aber Kosten sparen, etwa durch den Einkauf von weniger Fleisch.

Wenn Sie sich als Ärztin und Arzt für eine gesundheitsförderliche und ökologisch nachhaltige Ernährung an Kliniken und in Kantinen einsetzen wollen, finden Sie viele Anregungen im Kochbuch „Klimagesund kochen und genießen – Rezepte, Infos und Tipps für soziale Einrichtungen“. Es ist als Download erhältlich über den paritätischen Gesamtverband.

Zusammenfassend liegt das Potential einer Ernährungstransformation auf der Hand: Eine nachhaltige und gleichzeitig gesunde Ernährung spielt eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der größten globalen Herausforderungen. Die Verantwortung für gesunde Ernährung liegt aber nicht nur beim Individuum, sondern vor allem bei Politik, Unternehmen und Einrichtungen. Der Zeithorizont für effektive Lösungen schließt sich zunehmend. Die Ernährungswende muss auch aus unserer Sicht dringend angepackt werden!

Literaturempfehlungen:
Der Ausschuss „Klimawandel und Gesundheit“ des DÄB wurde 2021 gegründet. Wir möchten einen Beitrag leisten zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen. Der DÄB ist Mitglied und kooperiert mit anderen Verbänden, die sich im Bereich Klima und Gesundheit engagieren, um Synergien zu nutzen, z. B. KLUG und KlimaDocs. Weitere Informationen finden Sie im Internet!

Ein neues Angebot ist der Download „one slide for the future“. Nutzen Sie gerne eine Folie für Ihren Vortrag und machen Sie sich stark für unser Klima! Im geschützten Bereich der Homepage des DÄB stehen für alle Mitgliederinnen mehrere Folien zur Verfügung, die im Rahmen von Vorträgen oder bei Qualitätszirkel verwendet werden können. Auch wenn das eigentliche Fortbildungsthema keinen Klimabezug hat, bietet sich die Einbindung kurzer Impulse an um das Wissen rund um das Thema Klimawandel und den persönlichen Umgang mit Veränderungen zu verbessern.

Dr. med. Tonia Iblher und Dr. med. Ulrike Berg leiten gemeinsam den Ausschuss „Klima und Gesundheit“ im DÄB.