Dr. rer. soc. Beate Kortendiek
Foto: Bettina Steinacker

Geringer Professorinnenanteil in der Medizin ist keine Generationenfrage

In keiner anderen Fächergruppe ist die Diskrepanz zwischen dem Studentinnenanteil und dem Professorinnenanteil so groß wie in der Medizin. Oft wird eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gründen mit dem Argument abgewehrt, dass sich das Problem mit der Zeit von allein erledige. Doch dem ist nicht so.

Es mag naheliegen, den niedrigen Frauenanteil auf Medizinprofessuren vor allem mit einem Verzögerungseffekt, einem Time Lag, zu erklären. Eine wissenschaftliche Laufbahn in der Medizin umfasst einen langen Qualifizierungsweg. Es dauere, bis die Studentinnen von heute die Professorinnen von morgen werden. Doch Daten der bundesdeutschen Entwicklung widerlegen diese Argumentation: Wer 2018 auf eine Medizinprofessur berufen wurde, studierte Medizin, als der Frauenanteil in diesem Fach bundesweit bereits über der Geschlechterparität lag. Es existierte also vor gut 25 Jahren ein großes Potenzial an Frauen für Wissenschaftskarrieren in der Hochschulmedizin. Es wurde aber nicht ausgeschöpft.

Gleicher Rahmen – ungleiche Frauen anteile
Die Schere zwischen den Frauen- und Männeranteilen öffnet sich bei den Habilitationen am stärksten: Der Männeranteil beträgt 73 % und der Frauenanteil lediglich 27 %. Die entscheidende Frage, der sich Medizinerinnen zu stellen haben, lautet somit: „Wie halte ich es mit der Habil?“ Damit diese Frage positiv beantwortet werden kann, brauchen Ärztinnen als Wissenschaftlerinnen insbesondere an den Unikliniken vermehrt Unterstützung und Förderung seitens der Professoren und medizinischen Fakultäten. Die Karriereaussichten und Habilitationsmöglichkeiten sind für Frauen je nach Uni-Standort unterschiedlich, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen gleich sind. Das bedeutet auch, dass eine gezielte Erhöhung des Professorinnenanteils in der Hochschulmedizin möglich ist und die medizinischen Fakultäten und Universitätskliniken Handlungsspielräume besitzen, um den Gender Gap in der Hochschulmedizin zu überwinden – unabhängig von Ost und West.

Time Lag im Qualifizierungsverlauf in der Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften 1995 bis 2018
GWK, Heft 65 sowie Statistisches Bundesamt, Reihe 4.2, Prüfungen an Hochschulen Berichtsjahr 2007 und Reihe 4.4., Personal an Hochschulen Berichtsjahr 2018 und Sonderauswer-tung; eigene Berechnungen
Frauenförderung bundesweit nötig
Die Ergebnisse des Gender-Reports zum Gender Gap in der Hochschulmedizin in Nordrhein-Westfalen zeigen, dass Medizinerinnen Maßnahmen zur Förderung der wissenschaftlichen Arbeit benötigen. Die Steigerung des Professorinnenanteils ist kein Selbstläufer. Von daher fördert das Wissenschaftsministerium NRW seit 2019 gezielt Wissenschaftlerinnen in der Postdoc-Phase an den medizinischen Fakultäten durch das Programm „FF-Med“. Ärztinnen erhalten die Möglich keit, klinische und forscherische Tätigkeit besser miteinander zu verbinden, indem sie zum Beispiel für ein halbes Jahr keine klinische Tätigkeit ausüben oder einen Tag in der Woche über einen längeren Zeitraum „klinikfrei“ haben. Zeit ist eine der wichtigsten Ressourcen bei der Erstellung der Habilitationsschrift und von Publikationen.

Darüber werden Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Mütter und Väter benötigt. Die (Hochschul-)Medizin ist durch traditionelle Geschlechterbilder geprägt.

Vereinbarkeit wird dabei nach wie vor als ein Problem für Mütter und nicht als eine Herausforderung für Väter interpretiert. Unabhängig davon, ob Frauen Karriere machen wollen oder nicht, wird Ärztinnen in der Weiterbildung häufig unterstellt, dass sie zukünftig vor allem für die Familie da sein möchten. Mit diesem Argument werden sie vielfach von einer Karriereförderung ausge schlossen. Wer Professorin werden will, müsste das Karriereziel deshalb deutlich formulieren, wodurch Frauen – im Sinne einer Bringschuld – stärker gefordert sind.

Planbarkeit erleichtert Karriere
Zur Reduzierung des Gender Gaps ist es unabdingbar, Wissenschaftskarrieren planbarer zu gestalten, die Habilitation von Wissenschaftlerinnen gezielt zu fördern, die Arbeits- und Forschungsbedingungen grundlegend zu verbessern und eine Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Forschung strukturell zu ermöglichen. Eine proaktive Gestaltung und Begleitung ist notwendig und beinhaltet auch eine gezielte Erhöhung des Professorinnenanteils in der Medizin – nicht zuletzt durch eine aktive Gleichstellungsarbeit.

Dr. rer. soc. Beate Kortendiek ist Leite­rin der Koordinations­ und Forschungs­stelle des Netzwerks Frauen­ und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg­Essen. Sie ist Erstautorin des Gender­Report 2016. Geschlechter(un)gerechtigkeit an nord­rhein­westfälischen Hochschulen.

E-Mail: beate.kortendiek@netzwerk-fgf.nrw.de
Mehr zum Thema