Dr. med. Tonia Iblher
Foto: privat

Was hat unsere Ernährung mit dem Weltklima zu tun?

Als Ärztinnen sind wir Multiplikatorinnen – in der Praxis, in der Klinik, auf politischer Bühne und im privaten und familiären Umfeld. Und diese Stellung sollten wir unbedingt nutzen, zum Beispiel auch, wenn es um das Thema „Ernährung und Klima“ geht.

Ich selbst bin mit „Ernährung“ und „Klimaschutz“ groß geworden, war als Kind auf Demonstrationen gegen Atomenergie nach der Nuklearkatas­trophe von Tschernobyl. Trotzdem ist es eine Daueraufgabe, die Zusammenhänge auf dem aktuellen Forschungsstand parat zu haben. Hier ein Überblick.

Vor wenigen Jahren wurde der Begriff „One Health“ von der Forschergruppe um Walter Willett von der Harvard Univer­sität in den USA geprägt. Er basiert auf dem Verständnis, dass unser aller Gesundheit unmittelbar mit der Gesundheit unseres Planeten zusammenhängt und dass unsere Ernährungsweise die entscheidende Stellschraube dafür ist.

Treibhausgase, kurz erklärt

Weltweit verursacht die Lebensmittelproduktion bis zu ein Drittel der Emissio­nen an Treibhausgasen! In dem Buch „Kleine Gase – große Wirkung. Der Klima­wandel“ habe ich noch einmal nachge­lesen, was diese Emissionen bedeuten. Der größte Teil der Sonnenstrahlung durchdringt die Erdatmosphäre und trifft auf die Erdoberfläche. Diese Strahlung wird von der Erde aufgenommen und als Wärmestrahlung auch wieder abgegeben. Ohne Erdatmosphäre und die dort befindlichen Gase wie Wasserdampf, Kohlenstoffdioxid, Ozon, Lachgas und Methan würde die Wärmestrahlung ungehindert ins Weltall entweichen und die Erde wäre vollständig eingefroren.

Die Treibhausgase machen also – in der richtigen Menge – unseren Planeten erst wohnlich. Insbesondere durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe ist seit der Industrialisierung die Konzentration der Treibhausgase aber enorm gestiegen und durch oben genannten Effekt auch die bodennahe Lufttemperatur. Steigt die Temperatur weiter, hätte das die uns allen bekannten dramatischen Folgen, von denen wir bereits jetzt einige hautnah zu spüren bekommen.

Emissionen durch Nahrungsmittel

Verträglich für unseren Planeten wäre es, wenn jede und jeder von uns pro Tag maximal 6,8 Kilogramm CO2-Äquivalente verursacht. Der Begriff CO2-Äquivalent schließt auch andere Klimagase wie Methan oder Lachgas ein. Ihre Wirkung wird in CO2-Äquivalente umgerechnet, um die Emissionen vergleichbar zu machen.

Um erlebbar zu machen, was eine Zahl wie 6,8 Kilogramm C02-Äquivalente bedeutet, gibt es die Initiative www.eingutertag.org. Hier haben alle Bürge­r:innen je 100 Punkte am Tag auf dem Konto. Der Genuss von 100 Gramm Schweinefleisch schmälert das Konto beispielsweise um 15 Punkte. 100 Gramm Bergkäse bedeuten ein Minus von 10 Punkten. 100 Gramm Tofu 2 Punkte. Mit einem Kurzstreckenflug von 500 Kilometern überziehen wir unser Verträglichkeits-Konto gewaltig: Wir verbrauchen 1838 Punkte.

Muss alles vegan sein?

In einem Artikel aus der ZEIT von Juli 2022 mit dem Titel „Essen ohne Reue“ habe ich mit Erstaunen gelesen, dass Reis eine sehr schlechte Klimabilanz hat! Die Produktion von einem Kilo Reis verursacht eine Emission von etwa 75 Punkten, 1 Kilogramm Kartoffeln nur 8 Punkte. Das liegt daran, dass Reisfelder unter Wasser gesetzt werden und hierbei Organismen im Boden verfaulen, die das sehr klimaschädliche Methan freisetzen. Methan, welches auch von Wiederkäuern ausgestoßen wird, ist besonders schlecht für das Klima. Überall da, wo viel Milch zur Produktion benötigt wird – egal ob Butter, Sahne oder
Käse – sollten wir also nach Alternativen suchen!

Käse bewirkt fast die gleiche CO2-Emission wie Rindfleisch. Eier dagegen hinterlassen etwa den gleichen CO2-Abdruck wie Hühnchenfleisch oder Tofu! Die ethischen Aspekte einmal nicht betrachtet, wäre eine klimafreundliche Ernährung also auch möglich, ohne rein vegetarisch oder vegan zu leben.

Allerdings: Um alle Menschen auf diesem Planeten satt zu machen, müssen wir unsere Speisepläne ändern. Mit unserem Lebensmittelkonsum stimmen wir immer auch über weltpolitische Themen ab, selbst wenn wir es uns nicht bewusst machen! Laut Prognose wächst die Weltbevölkerung bis 2050 auf zehn Milliarden Menschen an. Zugleich werden Missernten durch die Klimakrise noch häufiger werden. Aktuell wird ein Drittel aller landwirtschaftlichen Erträge weltweit zur Mästung von Nutztieren eingesetzt, die uns Fleisch, Milch, Milchprodukte und Eier liefern.

Essen für 10 Milliarden Menschen

Um eine tierische Kalorie zu erzeugen, müssen drei bis sieben pflanzliche Kalorien verfüttert werden. Ein enormer Verbrauch von Ackerland. Würden wir Deutschen alleine unsere Schweinefleischproduktion um 30 Prozent reduzieren, würde eine Ackerfläche frei, die den Anbau von fünf Millionen Tonnen Getreide erlaubt.

Die Fachzeitschrift „Lancet“ hat in der Kommission „EAT“ eine Strategie für Landwirtschaft und Ernährung erarbeitet, die die Gesundheit der Menschen und Erde gleichermaßen schützen soll. Der Report zeigt, dass es machbar ist, etwa zehn Milliarden Menschen auf der Erde gesund zu ernähren, ohne den Planeten zu zerstören. Dafür müssten wir allerdings den Konsum von Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen verdoppeln, den Verzehr von Fleisch und Zucker dagegen halbieren. Pro Tag wären 250 Gramm Vollmilch oder eine Scheibe Gouda erlaubt, pro Woche außerdem 100 Gramm Fleisch, 200 Gramm Geflügel – etwa ein Brustfilet. Einmal wöchentlich könnten wir Fisch essen sowie zwei kleine Eier. Alles andere: rein pflanzlich.

Die pflanzenbasierte Ernährung gilt heute als alternativlos, um die Gesundheit der Menschen und des Planeten zu sichern. Mehr zur „Planetary Health Diet“ ist auf der Website des Bundeszentrums für Ernährung zu finden. Um schneller voran zu kommen, wäre es gut, die Veränderung nicht nur auf dem eigenen Teller umzusetzen, sondern auch in der Schul- und Universitätsmensa, in der Klinik-Kantine oder bei Kongressen!

Spezielle Motivationsstrategie

Aber: Haben wir nach der Corona-Pandemie und in der Energiekrise überhaupt Kapazitäten für weiteren Verzicht? Dazu wurde im ARD-Podcast „Energiekrise – und jetzt?“ Prof. Dr. Gerhard Reese, Umweltpsychologe an der Uni Koblenz-Landau, befragt. Wir alle haben eine natürliche Verlustaversion. Aber die Krisen werden nicht verschwinden, wenn wir die Augen schließen. Und es wird sich auch nur etwas ändern, wenn sich viele Menschen beteiligen. Hier kommt motivationspsychologisch die Herdenproblematik ins Spiel. Der Wandel kann gelingen, wenn wir ein kollektives Selbstwirksamkeitsgefühl anstoßen. Nach dem Motto: „Wir alle zusammen schaffen es.“ Dabei sollten wir nicht vergessen: Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt – hin zu „One Health“.

Um Hintergründe noch besser zu verstehen, sei das Buch „Öfter mal die Sau rauslassen“ von den Ernährungswissenschaftler:innen Dr. Markus Keller und Annette Sabersky empfohlen. Viele genussvolle Rezeptideen liefert das Buch „Kochen mit gutem Gewissen“ von Anneliese Bunk. Übrigens: Ein Buch zu kaufen verbraucht 15 Punkte vom 100-Punkte- Konto, ein Buch in der Bibliothek zu leihen 0 Punkte.

Dr. med. Tonia Iblher ist Fachärztin für Allgemeinmedizin, Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ und „Akupunktur“, und in einer Gemeinschafts­praxis selbstständig tätig. Privat kocht sie leidenschaftlich gerne für ihre Fa­milie. Im Oktober 2021 hat sie mit Dr. Ulrike Berg den Ausschuss „Klima und Gesundheit“ im DÄB gegründet.


E-Mail: klima@aerztinnenbund.de
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