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Betrachtung über Ärztinnen in der Medizingeschichte (Teil 2)

Altes Ägypten

Dr. med. Katrin Wolf ist als hausärztliche Internistin in Berlin niedergelassen. Ihre Ausbildung führte sie nach England, Simbabwe und China. Nach einem berufsbegleitenden Public Health Studium arbeitete sie zeitweise in der Selbstverwaltung. In dieser Nähe zur Politik wurde sie vertraut mit der Bedeutsamkeit von Worten und Erzählungen. Sie begann zu schreiben, besuchte bis 2022 die „Autorenschule Schreibhain“ und gewann 2023 einen Schreibwettbewerb am Literaturhaus Zürich. Sie wird von einer Medienagentur vertreten und schreibt an einem Roman, in dem es um vergessene Künstlerinnen geht. In dieser Serie von Essays beschäftigt sie sich mit historischen Ärztinnen, die nur wenige kennen, weil Frauen in einer männlich geprägten Geschichtsschreibung lange kaum vorkamen.

Im alten Ägypten war die Medizin erstaunlich weit entwickelt. Das wissen wir aus alten medizinischen Papyri. Chirurgische Eingriffe bei Verletzungen und Knochenbrüchen, Hygiene bei Operationen, Schmerztherapie mit Cannabis: All das gab es schon vor mehreren tausend Jahren.

Aber wie sieht die Datenlage zu den Ärztinnen aus?

Als erste ägyptische Medizinerin wird Merit Ptah genannt, die 2700 vor unserer Zeitrechnung (v.u.Z) in Ägypten gelebt haben soll. Doch lässt sich das leider nicht verifizieren. Manche sagen, sie habe nie existiert und sei eine Erfindung aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. „Erfindung“ – ein hartes Wort! Gemeint ist ein Buch aus dem Jahr 1938 zur Geschichte der Frauen in der Medizin, das die Ärztin Kate Campbell Hurd-Mead geschrieben hat. Hier wird die Medizinerin Merit Ptah wohl das erste Mal erwähnt.
Etwas differenzierter wird dies in der Arbeit eines Ägyptologen aus dem Jahr 2019 betrachtet: Zwar sei die Begräbnisstätte unplausibel und eine Grabinschrift sei auch nicht gefunden worden. Allerdings gibt es an einem anderen Ort ein sehr interessantes Grab. Ein Amtsträger namens Akhethetep wurde in Gizeh begraben, und in seinem Grab gibt es eine Inschrift von Peseshet mit der Berufsbezeichnung „Aufseherin“ oder „Chefin“ der Ärzte. Vielleicht ist es also nur eine Verwechslung und die Buchautorin meinte nicht Merit Ptah sondern Peseshet.

Der Autor bemängelt aber auch, dass Merit Ptah recht weit in der Literatur verbreitet ist und immer wieder unkritisch von Zitat zu Zitat übernommen wird.

In weiteren Beiträgen ist zu lesen, die Erfindung von Merit Ptah sei einer „historischen Vereinnahmung aus dem Wunsch nach Vorbildern“ erwachsen und dies sei nur allzu menschlich.

Aber wie verhält es sich bei den männlichen Vorbildern? Als erster Mediziner im alten Ägypten wird Imhotep genannt. Seine Existenz kann als belegt gelten. In der sogenannten dritten Dynastie unter Pharao Djoser, der von 2630 bis 2611 v.u.Z. regierte, gab es einen Baumeister namens Imhotep, der die Errichtung der Stufenpyramide von Saqqara beaufsichtigte und ein hohes Regierungsamt innehatte. Aber war er auch Arzt?

Ich finde heraus, dass die Inschriften über ihn aus seinen Lebzeiten zwar relativ ausführlich sind, aber keine davon ihn als Arzt ausweist. Erst sehr viel später ist auf einmal die Rede von Imhotep dem Medizingott, frühestens etwa 1200 Jahre nach seinem Tod. Einer wissenschaftlichen Auffassung zufolge wurde der Meister des Pyramidenbaus kurzerhand zum Medizingott gemacht, weil es eine Krise gab und damit einen Bedarf.

Von Imhotep ist jedoch auch später noch die Rede. 1862 kaufte der amerikanische Ägyptologe Edwin Smith von einem ägyptischen Händler ein Pergament mit medizinischen Inhalten, das als das älteste gilt, vermutlich aus dem 17. Jahrhundert v.u.Z.. Die erste Übersetzung der Hieroglyphen stammt von James Henry Breasted. Einiges deutete darauf hin, dass es sich bei dem Papyrus um die Abschrift eines noch älteren Textes handelt. Dieser ältere, nicht mehr existierende Text, so nahm Breasted an, könnte von Imhotep verfasst worden sein. Meinte er etwa jenen Imhotep, der die Pyramide von Saqqara bauen ließ? War er also doch ein großer Mediziner? Und woher wusste Breasted das? In seinem Werk aus dem Jahr 1938 suche ich vergeblich nach Antworten. Es scheinen Vermutungen zu sein, die in einem einigermaßen luftleeren Raum stehen. Kaum zu glauben, denn er hat mehrere Bücher über das alte Ägypten geschrieben und kannte sich gut aus. Die Geschichtsschreibung aber war damals vermutlich noch eine andere. Eine, die sich mehr auf Vermutungen stützte. Es könnte aber auch eine historische Vereinnahmung aus dem nur allzu menschlichen Wunsch nach Vorbildern im Spiel sein, allerdings mit wesentlich längerer Tradition.

Es gibt noch einen anderen Aspekt, der die Archäologie betrifft. Als Ende des vorletzten Jahrhunderts in Schweden ein Wikingergrab entdeckt wurde, hatte niemand Zweifel daran, dass ein Mann darin bestattet war. Kostbare Grabbeigaben mit kriegerischen Attributen - Zeichen, dass der Verstorbene hohes Ansehen genoss, Krieger war und daher nur ein Mann gewesen sein konnte. Auch dass der Knochenbau weiblich war, was in den neunzehnhundertsiebziger Jahren noch einmal bestätigt wurde, brachte dieses Urteil nicht grundsätzlich ins Wanken. Erst DNA-Analysen führten zur Einsicht, dass es eine Frau war - eine Kriegerin mit hohem gesellschaftlichen Ansehen also.

Ob Archäologen in Ägypten seinerzeit auch mit solchen Vorannahmen ausgestattet waren, ist Gegenstand neuerer Forschung zur Archäologie. Möglicherweise wurden auch hier hochrangige Frauen übersehen. Immerhin ist alten Papyri zu entnehmen, dass Frauen im alten Ägypten viele Rechte hatten und hohe Ämter bekleideten. Warum sollen sie nicht auch Ärztinnen gewesen sein?!

Und wer weiß: Wenn es nicht Imhotep war, der das Ursprungsdokument zum Edwin-Smith-Papyrus geschrieben hat, dann war es vielleicht eine von ihnen, vielleicht sogar Peseshet.

Literatur bei der Verfasserin.
E-Mail: Dr.KatrinWolf_Autorin@gmx.de