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Betrachtung über Ärztinnen in der Medizingeschichte (Teil 3)

Griechische und römische Antike

Dr. med. Katrin Wolf ist als hausärztliche Internistin in Berlin niedergelassen. Ihre Ausbildung führte sie nach England, Simbabwe und China. Nach einem berufsbegleitenden Public Health Studium arbeitete sie zeitweise in der Selbstverwaltung. In dieser Nähe zur Politik wurde sie vertraut mit der Bedeutsamkeit von Worten und Erzählungen. Sie begann zu schreiben, besuchte bis 2022 die „Autorenschule Schreibhain“ und gewann 2023 einen Schreibwettbewerb am Literaturhaus Zürich. Sie wird von einer Medienagentur vertreten und schreibt an einem Roman, in dem es um vergessene Künstlerinnen geht. In dieser Serie von Essays beschäftigt sie sich mit historischen Ärztinnen, die nur wenige kennen, weil Frauen in einer männlich geprägten Geschichtsschreibung lange kaum vorkamen.

Wir schreiben das Jahr dreihundertzwölf unserer Zeitrechnung. Ein frischer Wind weht vom Meer aufs griechische Festland in den Säulengang des Atriums hinein, das sich inmitten der Mauern des Heilzentrums befindet. Ein Kranker sitzt hier und versucht, eine große, runde Schwellung des Hodens mit seinem Mantel zu bedecken. Schmerzen hat er keine, aber sie wird beständig größer, obwohl schon mehrfach Wasser daraus über einen kleinen Einschnitt abgelassen wurde. Von weit her ist er gekommen, denn wenn es irgendwo eine Heilung gibt, dann hier, bei dieser Ärztin, die weithin bekannt ist.

Ihr Patient wird nun endlich in den Behandlungssaal gebracht, und da steht sie, Aspasia, in ihrem langen, weißen Gewand, umgeben von mehreren Ärzten aus dem arabischen Raum. Sie wollen von ihr lernen. Aspasia hat eine Technik entwickelt, die große Geschicklichkeit erfordert, aber dafür nachhaltige Linderung bringt – auch für diesen Patienten, der schon bald mit gut sitzender Kleidung den Heimweg antreten können wird.

Dass sich so etwas auf diese Weise abgespielt hat, ist natürlich nur eine Vorstellung. Als sicher aber gilt, dass es diese Ärztin gegeben hat und dass sie die Heilkunde ausüben durfte. Die Überlieferung ihres Schaffens hat den Weg über den arabischen Raum genommen, denn von hier kamen Ärzte, die ihre Methoden erlernt, in maßgeblichen Medizinbüchern dokumentiert und in angemessenem Anstand Aspasia als die Erfinderin dieser Methoden benannt haben.

Im Jahr 2012, also 1700 Jahre später, nahmen griechische Chirurgen Recherchen zu ihr auf und veröffentlichten einen medizinhistorischen Beitrag in einer Fachzeitschrift, in dem sie ihre Ahnin würdigten. Sie stellten fest, dass ihre Techniken zur Operation von Hydrozelen, Hämorrhoiden, Varicozelen sowie zu einigen geburtshilflichen Eingriffen in weiten Teilen noch heute so oder ähnlich angewandt werden.

Vielleicht war Aspasia eine Ausnahmeerscheinung, aber sie war nicht die einzige Ärztin der Antike. Dafür können verschiedene Arten von Quellen herangezogen werden, beispielsweise Inschriften auf Gräbern und Denkmälern oder schriftliche Zeugnisse.

In den Schriften Galens (129 bis 216) sind beispielsweise mehrere Ärztinnen zitiert. So etwa Aquilla Secundilla mit einem Verband für Varizen, Origeneia mit einer Tablette gegen Magenschmerzen, und einem Rezept gegen Hautinfektionen und Ulcera, Samithra mit Rezepturen gegen Analerkankungen, Xanite mit Mitteln gegen Impetigo und Krätze, Kleopatra, die von der berühmten Pharaonin zu unterscheiden ist, mit Rezepturen gegen Schuppen, Krätze und Haarausfall und zu guter Letzt noch Eugerasia mit Mitteln gegen Wassersucht und Tobsucht.
Eine andere griechische Ärztin mit dem Namen Metrodora, die ja nach Quelle irgendwann zwischen dem ersten und siebten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebte, hat selbst ihre medizinischen Erkenntnisse schriftlich weitergegeben. Die älteste erhaltene Abschrift ihres Werkes umfasst 108 Kapitel und stammt aus dem zwölften Jahrhundert.

Inschriften auf Gräbern und Denkmälern geben über weitere 55 Ärztinnen Auskunft. Der älteste Grabstein stammt von einer Ärztin namens Phanostrate, die im vierten vorchristlichen Jahrhundert gelebt und gewirkt hat. Auch von Primilla aus dem zweiten Jahrhundert, von Empeiria, Venuleia Sosis, und Mousa, die alle auf den Grabinschriften als Ärztinnen bezeichnet werden, und von Sallustia Athenais, die als Hebamme bezeichnet wird, haben wir Kenntnis. Es gibt aber auch Grabinschriften, die auf eine akademische Tätigkeit der Ärztinnen hinweisen, so etwa Naevia Clara (medica philologa) oder Aurelia Alexandra Zosime.

Antiochis von Tlos hat die Sache selbst in die Hand genommen: Auf den Sockel einer Statue, die sie von sich hat errichten lassen, ließ sie eingravieren, dass sie von Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie von der Regierung für ihre Verdienste der ärztlichen Kunst geehrt wurde – als hätte sie geahnt, dass eine Zeit kommen würde, in der die Existenz von Ärztinnen im Altertum einmal in Zweifel gezogen werden würde.

Auch der Geschichtsschreiber Plinius der Ältere, der einigen vielleicht durch seine Beschreibungen über den Ausbruch des Vesuv bekannt ist, hat in einem Werk als Entdeckerin der Heilkraft des Wermut eine Artemisia genannt, Königin von Caria, die auch Ärztin, Botanikerin und Kräuterspezialistin war. Sie soll etwa 350 vor unserer Zeitrechnung gestorben sein. Wermut hat daher den botanischem Namen Artemisia Absithum.

Insgesamt überwiegen die Überlieferungen zu männlichen Medizinern auch bei den Grabinschriften. Frauen machen nur fünf Prozent aus, was von dem überwiegend durchgesetzten Verbot der Ausübung der Heilkunst für Frauen zeugt.

Wie steht es überhaupt um den Wahrheitsgehalt von Berichten? Zur Entstehung von Mythen um einen Medizingott namens Asklepios oder eine Heilerin namens Agamede etwa 1200 vor unserer Zeitrechnung gibt es weitreichende Betrachtungen. Aber selbst die Authentizität antiker medizinischer Texte ist mitunter sehr unsicher. Oft sind nur Rückschlüsse möglich, die etwa aus unterschiedlichen Handschriften oder Sprachstilen abgeleitet werden. Daraus ergibt sich beispielsweise die Vermutung, dass das Corpus Hippocraticum eher eine Gemeinschaftsarbeit war, die aus Abschriften noch älteren Wissens und immer neu hinzutretenden Erkenntnissen bestand. Jedenfalls gibt es keine Gewissheit, dass irgendeiner dieser Texte von Hippokrates selbst stammt, am allerwenigsten der Hippokratische Eid. Wer gern eine kurzweilige Lektüre zu diesem Thema lesen möchte, dem sei Helen Kings „Hippokrates Now - What we thought we knew“ empfohlen. In humorvoller Weise legt sie dar, dass die Erzählung über die Zusammenhänge der Urheberschaft je nach Zielrichtung einmal mehr, einmal weniger von dem abweicht, was tatsächlich nachweisbar ist.

Ärztinnen jedenfalls gab es trotz aller Hindernisse auch in der griechischen und römischen Antike – darunter auch solche, die die Medizin maßgeblich voran gebracht haben.

Literatur bei der Verfasserin.
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