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Bologna: Eine Betrachtung über Ärztinnen in der Medizingeschichte

Bologna hat die älteste Universität Europas. Und es ist eine sehr schöne Stadt. Historische Häuser und Arkaden, Kirchen und Basiliken so weit das Auge reicht. Während ich durch die Altstadt schlendere, sehe ich die vielen Studierenden, die einzeln oder in Gruppen lebhaft mit ihren Taschen durch die Straßen gehen. Und ich erinnere mich an meine eigene, schon dreißig Jahre zurückliegende Studienzeit, an die Aufregung und die Verheißung einer neuen, noch unbekannten Welt.

Ich möchte die alten Universitätsgebäude aufsuchen und finde immerhin eines: den etwas unscheinbaren Palazzo dell‘ Archiginnasio, der mitten im Zentrum steht und auch gleich das Teatro Anatomico beherbergt, jenen Ort der Erkenntnis aus Betrachtungen des freigelegten Inneren eines echten Körpers. Dass die Universität 1099 gegründet wurde und dieses Gebäude erst aus dem Jahr 1563 stammt, ist schnell erklärt: Anfangs soll es keine eigenen Universitätsgebäude gegeben haben. Unterrichtet wurde zunächst in Kirchen und Privaträumen.

Nur Urväter der Medizin? Teatro Anatomico der Universität Bologna
Dieses Gebäude ist immerhin auch sehr alt, sehr schön verziert, außen und innen von Arkaden umgeben. Sonnenlicht fällt in den Innenhof, an dessen Vorderseite eine Treppe nach oben führt, vorbei an zahllosen Wappen, Gemälden und Statuen und vorbei am Ticket-Counter. Schließlich stehe ich mittendrin, im Teatro Anatomico, dem Anatomiehörsaal aus dem Jahr 1637. Klein ist er. Nur drei Sitzreihen wie eine Tribüne um das zentrale Geschehen auf dem Sektionstisch angeordnet. Er wird nicht mehr benutzt, ist zur Sehenswürdigkeit geworden. Nun empfinde ich zugegebenermaßen ein bisschen Ehrfurcht. Wer hier wohl schon gestanden hat?

An den holzgetäfelten Wänden sind Statuen angebracht und Büsten von bemerkenswerten Medizinern, Urvätern der Medizin aus verschiedenen Epochen, versehen mit Namen in goldenen Lettern. Hippokrates, der den Eid für die Ausübung der Heilkunde formulierte, Galen, nach dem die Galenik in der Arzneimittelkunde benannt wurde, Malpighi, der die Malpighi-Körperchen der Niere beschrieb, und noch viele mehr, darunter einige medizinische Lokalgrößen von Bologna. Am Kopf des Saales befindet sich etwas erhaben der Ort, von dem aus doziert wurde, eine Kathedra, deren Baldachin durch zwei hölzerne Figuren abgestützt wird. Diese beiden Figuren stellen Männer dar, von denen die Muskeln zu sehen sind, auch „Spellati“, die Gehäuteten, genannt.

Der Weg führt aus dem Hörsaal hinaus auf die Galerie. In Vitrinen liegen aufgeschlagen alte Lehrbücher. Darin beschrieben ist beispielsweise die Behandlung von Knochenbrüchen durch Streckung des Beins mit einer Art Seilzug, aber auch ein verwinkeltes Gerüst, mit dem ein Arm so über dem Kopf fixiert wird, dass ein Stück Haut vom Arm langsam an der Nase festwachsen und Kapillargefäße ausbilden kann. Eine frühe Transplantation. Ich staune und überlege, was das für ein Mensch war, der so etwas angewendet hat. Jemand, der Verletzten wieder ein annähernd normales Aussehen ermöglichen wollte.

An der Wand ein großes Halbrelief von Antonio Maria Valsalva mit Barockperücke. Nach ihm ist das Valsalva-Manöver zum Beenden von Vorhofflimmern benannt. Seit 300 Jahren weiß die Medizin also schon um den Zusammenhang zwischen Druck im Brustkorb und Herzfrequenz. Bilder, Reliefs und Namen hängen an den Wänden von jenen, die große Leistungen vollbracht und die Medizin gestaltet haben. Ohne sie wäre die Medizin nicht dieselbe, so wie nichts denkbar ist ohne etwas, das dem vorangegangen ist, den Boden geebnet hat und Ausgangspunkt wurde für Neues.

Am nächsten Tag kommt die Überraschung. Während ich am Tag zuvor keine einzige historische Frau gesehen habe, begegnen mir nun gleich zwölf Büsten von zwölf Frauen, die sich um Bologna verdient gemacht haben. Sie sind ausgestellt
im Museo Civico Medievale, dem Museum für das Mittelalter.

Unter ihnen ist Dorotea Bucca, die im vierzehnten Jahrhundert lebte, an der Universität von Bologna studierte und 46 Jahre lang einen Lehrstuhl für Medizin und Philosophie innehatte. Ihr Talent wurde vom Vater entdeckt, der ebenfalls Medizin und Philosophie an der Universität von Bologna unterrichtete. Interessierte aus ganz Europa reisten an, um ihre Vorlesungen zu hören. Ehrwürdig sieht sie aus, ein bisschen nachdenklich vielleicht.

Hat in Bologna Anatomie gelehrt: Anna Morandi Manzolini
Mein Blick fällt auf die Büste einer Frau aus Wachs. Anna Morandi Manzolini (1714–1774) hat sie von sich selbst angefertigt. Sie unterrichtete ebenfalls an der Universität von Bologna und stellte Wachsmodelle anatomischer Präparate her. Sie konnte so geschickt präparieren, dass sie unter anderem den bis dahin unentdeckten Verlauf eines Augenmuskels erstmals beschrieb.

Trota von Salerno: Womöglich erste Professorin der Medizin
Ich finde heraus, dass komplette Lehrbücher seit etwa dem zehnten Jahrhundert von den „Mulieres Salernitanae“, den Frauen von Salerno, geschrieben und in ganz Europa gelesen wurden. An der seinerzeit berühmten Medizinschule von Salerno konnten Frauen offensichtlich – zumindest zeitweise – studieren und forschen. Eine unter ihnen, Trota, hat sich so um die Medizin verdient gemacht, dass ein Lehrbuch nach ihr benannt wurde. In Athen gab es Anfang des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung eine Ärztin namens Aspasia, deren Operationsmethoden für Hydrozelen und Hämorrhoiden noch bis heute in ähnlicher Weise durchgeführt werden .

Es gab immer wieder Frauen, die bedeutende Ärztinnen waren. Von einigen haben wir Kenntnis. Sicher aber nicht von allen, und schon gar nicht von all den schwierigen Wegen, die sie gehen mussten und von der Kraft, die es gekostet hat.

Ohne jede Einzelne von ihnen wäre die Medizin nicht dieselbe, weil nichts denkbar ist, ohne etwas Vorangegangenes, das den Boden ebnet und wiederum Ausgangspunkt für Neues wird.

Die Medizin erschien mir immer als eine Welt der großen Männer und Urväter, in die seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch Frauen hineingelassen wurden. Es war aber immer auch eine weibliche, nur ist das nicht so offensichtlich.

Dr. med. Katrin Wolf ist als hausärztliche Internistin in Berlin niedergelassen. Ihre Ausbildung führte sie nach England, Simbabwe und China. Nach einem berufsbegleitenden Public Health Studium arbeitete sie zeitweise in der Selbstverwaltung. In dieser Nähe zur Politik wurde sie vertraut mit der Bedeutsam­keit von Worten und Erzählungen. Sie begann zu schreiben, besuchte bis 2022 die „Autorenschule Schreibhain“ und gewann 2023 einen Schreibwettbewerb am Literaturhaus Zürich. Sie wird von einer Medienagentur vertreten und schreibt an einem Roman, in dem es um vergessene Künstlerinnen geht.

Literatur bei der Verfasserin
E-Mail: Dr.KatrinWolf_Autorin@gmx.de